Pia schickte ihm ein spöttisches Lachen nach, das sein Blut zum Sieden brachte. Aber er beherrschte sich und verließ mit steifem Rücken die Bar. Schnurstracks fuhr er heim. Dort wartete er – allerdings vergeblich – auf einen Anruf von Pia oder auf ihren Besuch.
Pia war wie hypnotisiert von Karl Kunze. Sie stellte sich vor, wie es sein müßte, wenn er sie küßte. Umgekehrt gefiel sie auch Karl Kunze. Außerdem fand er, daß Mädchen wie Pia nur gewinnbringend für seine Geschäfte waren. Er konnte sie bei hartnäckigen Kunden einsetzen. Ein schönes entgegenkommendes Mädchen war immer von Vorteil. Obendrein reizte sie ihn selbst so sehr, daß er fest entschlossen war, sie zu seiner Geliebten zu machen.
»Pia würde es dir gefallen, mit mir zu arbeiten?« fragte er, als Guido fort war, und legte seinen Arm um ihre Taille.
Diese Berührung durchzuckte sie wie ein elektrischer Schlag. Unwillkürlich drängte sie sich näher an ihn heran und legte für einen Augenblick ihren Kopf an seine Schulter. »Sehr«, erwiderte sie und sah ihm tief in die Augen.
»Dann liebst du Guido nicht mehr?«
»Ich habe ihn eigentlich nie geliebt. Er ist ein Feigling. Das habe ich aber erst jetzt erkannt.«
»Glaubst du, daß du wieder Morphium beschaffen kannst?«
»Klar, Karl. Aber noch muß ich ein Weilchen damit warten. Der Apotheker ist nach dem Besuch der Polizei etwas wachsamer geworden. Aber laß mich nur machen. Er ist ganz verrückt nach mir. Und ich mache ihm Hoffnungen.« Sie lachte erheitert auf. »Der alte Esel glaubt doch tatsächlich, daß ich seine Gefühle erwidern würde.«
»Pia, du wirst bei mir das Doppelte verdienen. Ist das ein Angebot? Hast du noch etwas zum Trinken bei dir zu Hause?«
»Natürlich habe ich das.« Heiße Wellen jagten durch ihren Körper, als sie seinem Blick begegnete. Mit einem verheißungsvollen Lächeln erwiderte sie ihn.
»Dann komm, mein Kind.« Großspurig warf er zwei blaue Scheine auf die Theke. »Den Rest können Sie behalten!« rief er dem Wirt zu und half Pia vom Barhocker herunter.
In dieser Nacht begriff Pia, daß Karl Kunze Guido Laurens in jeder Beziehung weit überlegen war. Sie fand, sie wäre wirklich dumm, wenn sie nicht bei Karl bleiben würde.
*
Denise gelang es, Ingrid so weit zu beruhigen, daß sie am nächsten Tag ihren Kindern unbefangen gegenübertreten konnte.
Kuni und Mathias waren selig über den Besuch ihrer Mutter. Ingrid blieb aber nur einen Tag in Sophienlust. Sie fuhr dann nach Maibach zurück in der Hoffnung, vom Krankenhaus die Mitteilung zu erhalten, daß man sich geirrt habe. Außerdem hoffte sie auch, endlich Nachricht von Guido zu bekommen.
Wieder in ihrer Wohnung, zuckte Ingrid jedesmal zusammen, wenn das Telefon läutete. Einigemale waren es Fehlverbindungen, einmal aber war Dr. Heidenreich am Apparat. Erschrocken legte Ingrid auf, ohne sieh gemeldet zu haben. Sie war ganz fest überzeugt, daß er ihr ebensowenig Glauben schenken würde, wie die Ärzte im Krankenhaus. Nein, sie wollte Dr. Heidenreich nicht wiedersehen. Sie würde es einfach nicht ertragen, von ihm verachtet zu werden.
An diesem Tag läutete das Telefon noch mehrmals, aber Ingrid nahm nicht mehr ab. Und dann läutete es an ihrer Wohnungstür. Nach einem Blick aus dem Fenster sah sie den Wagen von Dr. Heidenreich vor der Haustür stehen.
Ingrid war nahe daran, ihm zu öffnen. Doch dann tat sie es doch nicht. Nein, sie konnte mit ihm nicht über diesen Fall sprechen. Mit dieser Geschichte mußte sie ganz allein fertig werden.
Daß Dr. Heidenreich sich ernsthafte Sorgen um sie machte, ahnte Ingrid allerdings nicht.
*
Dr. Heidenreich fuhr nun ohne Ingrid nach Sophienlust, wo er voller Sehnsucht von seinem Sohn erwartet wurde. Aber auch die Laurens-Kinder begrüßten ihn voller Freude und erzählten ihm, daß ihre Mutti sie erst vor kurzem besucht habe.
»Weißt du, Vati, sie war ein bißchen traurig. Ich habe das gesehen«, raunte Peter ihm zu. »Sie hat Kummer.«
»Glaubst du das wirklich?« fragte Dieter Heidenreich besorgt.
»Ja, Vati, sie hatte ganz verweinte Augen.«
Daraufhin nahm sich der Arzt vor, mit Denise über Ingrid Laurens zu sprechen. Die Gelegenheit ergab sich noch am gleichen Nachmittag.
Denise kam aus Bachenau, wo sie einige Besorgungen gemacht hatte. Herzlich begrüßte sie Dr. Heidenreich, der mit den Kindern auf dem englischen Rasen Kricket spielte.
»Frau von Schoenecker, haben Sie etwas Zeit für mich?« fragte er.
»Natürlich, Dr. Heidenreich. Gehen wir doch ins Haus. Mir ist nach einer Tasse Tee zumute. Ihnen auch?« fragte sie lächelnd.
»Ich nehme Ihre Einladung gern an.« Er folgte ihr ins Biedermeierzimmer. Eine der Praktikantinnen, die ihr Pflichtjahr in Sophienlust absolvierten, servierte bald darauf Tee. Dann war Dieter mit seiner hübschen Gastgeberin wieder allein.
Sofort kam der Arzt auf den Kern seines Besuches zu sprechen.
Denise zögerte nicht lange. Sie erzählte ihm, welcher Verdacht auf Ingrid Laurens ruhte.
»Das ist empörend!« rief Dieter aufgebracht. »Nie und nimmer würde sie so etwas tun!«
»Ich bin derselben Meinung wie Sie, Doktor. Aber damit helfen wir Frau Laurens auch nicht. Vergeblich habe ich einigemale bei ihr zu Hause angerufen. Sie hat sich nicht gemeldet.«
»Mir ist es genauso ergangen. Einmal hatte sie aber abgehoben. Ich habe deutlich ihren Atem gehört. Mehr aber nicht. Und dann war ich heute morgen bei ihr. Vergebens habe ich an ihrer Wohnungstür geläutet. Ich bin nun sicher, daß sie dagewesen ist. Vermutlich hat sie mein Auto vor der Tür parken sehen. Ich versuche es heute abend noch einmal.
»Das wäre nett von Ihnen, Doktor. Denn ich bin in großer Sorge um
sie.«
»Ich werde der Sache auf den Grund gehen«, versprach Dieter und verabschiedete sich. Sein Sohn und die Laurens-Geschwister brachten ihn noch zum Wagen und winkten ihm nach, als er Sophienlust verließ, um so schnell wie möglich zu Ingrid zu fahren.
*
Ingrid Laurens hatte es in ihrer Wohnung nicht mehr ausgehalten. Deshalb war sie stundenlang in dem Stadtwäldchen umhergelaufen. Erst als die Abenddämmerung über das Land fiel, kehrte sie müde nach Hause zurück. Als sie das Treppenhaus betrat, hörte sie Schritte hinter sich und wandte sich um.
»Sie?« stammelte sie und wich unwillkürlich vor Dr. Heidenreich zu-rück.
»Frau Laurens, ich habe auf Sie gewartet«, sagte er so unbefangen wie möglich. »Ich war schon heute morgen bei Ihnen.«
»Wirklich?« fragte sie und überlegte, wie sie ihn abwimmeln könnte.
»Wir hatten doch vereinbart, gemeinsam nach Sophienlust zu fahren«, ergriff er wieder das Wort. »Hatten Sie das vergessen?«
»Ach ja, das hatte ich ganz vergessen«, murmelte sie.
»Ich komme gerade von dort. Ihre Kinder lassen Sie herzlich grüßen. Ich habe ihnen versprochen, Sie zu besuchen. Darf ich für einen Augenblick zu Ihnen heraufkommen?« Bittend sah er sie an.
»Ja.« Ingrid gab nur zögernd nach. Vor ihm stieg sie die Treppe hinauf. Als sie die Wohnungstür aufschloß, zitterten ihre Hände so sehr, daß er ihr die Schlüssel abnahm.
Verlegen lächelte sie ihn an. Dieses herzerweichende Lächeln schnitt ihm tief ins Herz. »Ich möchte Ihnen helfen, Frau Laurens«, sagte er leise und nahm ihr den Mantel ab, um ihn aufzuhängen.
»Helfen? Mir?« Sie blickte ihn an und begriff nun, daß es keinen Sinn hatte, ihm weiter etwas vormachen zu wollen.
»Haben Sie heute überhaupt schon etwas zu sich