Menschen, die die Welt bewegen. Nicola Vollkommer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicola Vollkommer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783417227390
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war ausgerechnet seine Fantasiefigur „Screwtape“ gewesen, die Erfindung, die ihn weltweit zu einem Haushaltsnamen gemacht hatte. „Billige Science Fiction, und das will er als Literatur verkaufen“, war die Reaktion seiner empörten Kollegen gewesen. Und dann waren da seine Radiosendungen über die Grundthesen des Christentums, die seinen tiefen Tonfall, zusammen mit dem von Winston Churchill, zur beliebtesten Stimme Großbritanniens gemacht hatten. Dass einer aus ihren Reihen von analphabetischen Bergwerkarbeitern in den innenstädtischen Pubs nun verehrt wurde, das war für die gebildeten Köpfe der Elite Englands ein Skandal zu viel.

      Intellektueller Kampfplatz

      Und überhaupt die Sache mit dem Glauben. Persönliche Überzeugungen zu haben, das stand selbst einem modernen Professor zu. Aber Vorlesungssäle mit neugierigen Studenten zu füllen und atheistische Gegner vor den Augen aller in Grund und Boden zu reden, das konnten Lewis’ Kollegen ihm nicht verzeihen. Kaum ein Agnostiker oder Christengegner traute sich inzwischen in den rhetorischen Zweikampf mit dem gekonnten Meister der apologetischen Schlachten.

      Lewis bestellte ein weiteres Bier, während seine Gedanken zu einem unvergesslichen Abend fünf Jahre zuvor im berüchtigten „Socratic Club“ zurückschweiften, wo sich regelmäßig aufstrebende, streitsüchtige Jungpolitiker sammelten, um prominente Persönlichkeiten gegeneinander aufzuhetzen und Blut zu lecken. Der Saal war brechend voll gewesen und die Atmosphäre aufgepumpt mit Adrenalin, als der christliche Apologet Lewis von einem Schriftsteller öffentlich herausgefordert werden sollte, der als eifriger Verfechter des modisch gewordenen Relativismus galt. Die Hauptthese seiner Bücher: Es gäbe keine absolute Wahrheit, die Existenz Gottes sei eine Lüge, jede Form von Existenz relativ, nichts als eine Sache der Wahrnehmung. Seine Rede hatte er mit dem donnernden, dramatischen Schlusssatz abgeschlossen: „Die Welt existiert nicht, England existiert nicht, Oxford existiert nicht, und ich bin guter Zuversicht, dass auch ich nicht wirklich existiere!“

      „Danke für das Bier.“

      Lewis hob das Glas an seinen Mund und schmunzelte, als er an den tosenden Applaus der Studenten nach der Rede dachte und an die spöttische Frage der Vereinspräsidentin: „Mr. Lewis, haben Sie darauf eine Antwort?“.

      Man hätte die Stille im Saal mit einem Messer schneiden können.

      Lewis hatte sich langsam von seinem Sitz erhoben, der Moderatorin in die Augen geschaut und trocken gesagt: „Frau Präsidentin, wie soll ich einem Herrn Antwort geben, der nicht wirklich existiert?“, und sich wieder hingesetzt. Ende seiner Verteidigung. Schallendes Lachen bei den Studenten, grimmiges Schweigen bei einer Reihe von Dozenten, die demonstrativ und im Gänsemarsch den Raum verlassen hatten. Einer von ihnen soll so etwas wie: „Pompöser Trottel – wieder typisch“, gemurmelt haben. Die Studenten waren aber auf ihre Kosten gekommen. Ein Abend mit Lewis am Rednerpult war Unterhaltung pur. Aber dieses Mal wusste der Professor, dass er eine Grenze überschritten hatte.

      Applaus im Alltag

      „Ich möchte bezahlen.“

      Lewis seufzte, steckte den Brief wieder in seine Jackentasche und leerte die letzten Tropfen seines Biers. Er schlenderte langsam und mit hängenden Schultern über die Straße und warf einen kurzen Blick auf die schwarzen Regenwolken, die sich am Himmel auftürmten. Die Zeitungen würden bald von dem Wahlergebnis für den Lehrstuhl berichten, seine Feinde sich vergnügt die Hände reiben, seine Freunde besorgt anrufen. Wie hatte man sich bei einer derart öffentlichen Demütigung zu verhalten? Wie enttäuscht würden die „Inklings“ sein! Sein Freund Tolkien setzte sich schon seit fünf Jahren dafür ein, dass Lewis diese Ehre zuteilwerden sollte.

      „Tag, Professor! Regen ist angesagt, nehmen Sie Ihren Schirm, wenn Sie das nächste Mal rausgehen“, begrüßte ihn der Pförtner und hob kurz seinen Hut.

      „Guten Tag, Williamson!“, antwortete der Professor und zerrte seine Gedanken mit einem inneren Kraftakt von seinen Grübeleien zurück in die Gegenwart: „Und wie geht es Ihrer Frau heute, mein Freund?“

      „Viel besser, danke, Sir! Wir gingen gestern an die Luft, wie Sie es verordnet haben, Sir! Und sie konnte danach wieder essen, aber wie. Riesenportion Apfelauflauf, Sir, mit Vanillesoße. Danke für den Tipp. Oh – übrigens, da war für Sie ein Brief, Sir …“

      „Danke, Williamson, ich habe den Brief schon heute Morgen abgeholt. Sagen Sie Ihrer Frau einen Gruß von mir und wünschen Sie ihr in meinem Auftrag weiterhin eine gute Besserung!“

      „Danke Sir, sie wird sich geehrt fühlen, Sir!“

      „Das mag ich so an dem Professor“, sagte Williamson zum Gärtner, der gerade in die „Porters Lodge“ hineinkam und Regentropfen von seinem Mantel abschüttelte, „immer ein nettes Wort. Als ob so’n gescheiter und berühmter Mann nix Wichtigeres im Sinne hätte, als nach meiner Frau zu fragen.“

      „Allerhand.“ Der Gärtner holte einen Schlüssel aus dem kleinen Fach an der Wand. „Gestern hielt er beim Spazierengehen an, nur um mich zu fragen, ob ich den Gips an meinem Fuß schon weghatte. Die anderen vornehmen Gentlemen werfen nicht mal einen Blick in meine Richtung.“

      Zurück in seinem Arbeitszimmer im Magdalen College angekommen, holte Lewis das Buch, das ihn von jetzt auf gleich in die Schlagzeilen der internationalen Medien befördert hatte, mit einem einzigen trägen Griff vom Bücherregal, zündete seine Pfeife wieder an, warf sich in seinen Lesesessel neben dem Kamin und schlug das Werk willkürlich auf. Screwtape war der Auslöser der Krise, also sollte Screwtape nun auch Rede und Antwort stehen. Er schlüpfte noch einmal kurz in die Rolle des Oberteufels, der seinem Neffen Wormwood Anweisungen gibt, wie man einen Christen verführen und von seinem Glauben an den christlichen Gott – den „Feind“ – abbringen kann.

      „Der Feind möchte den Menschen in eine Geistesverfassung bringen, in der er die schönste Kathedrale der Welt entwerfen könnte … und sich tatsächlich darüber freut, ohne dass er doch mehr oder weniger oder in anderer Weise glücklich wäre, wenn ein anderer sie gebaut hätte … sein ganzes Mühen geht dahin, den Menschen von sich selbst zu befreien.“ 2

      Von sich selbst befreit sein. Dieses Thema begleitete ihn seit dem Tag seiner Bekehrung. Groß werden dadurch, dass man nicht nach Größe strebt. Er hatte das Rampenlicht nie gesucht, nahm es lediglich in Kauf, wenn es darum ging, als Verfechter des christlichen Glaubens Flagge zu zeigen. Prominent, wie er in der Welt der akademischen Elite war, hatte er sich bisher felsenfest geweigert, sich dem antichristlich geprägten intellektuellen Zeitgeist anzubiedern. Als Christ überzeugen, das wollte er. Aber nicht durch Argumente, gefeilte Rhetorik, Predigten und Schriften – sondern als pragmatischer, bescheidener Alltagschrist, der bemüht ist, gerade die Menschen, die einem am nächsten stehen, gelebte christliche Tugenden auf authentische Weise spüren zu lassen. Als „einen bekehrten Heiden, der unter abgefallenen Frommen lebt“, hatte er sich in seiner Autobiografie „Überrascht von Freude“ humorvoll bezeichnet. In diesem Licht betrachtet, war der freundschaftliche Austausch mit dem Pförtner vielleicht wichtiger als die Frage, wer die Wahl zum wichtigsten Lehrstuhl Oxfords gewonnen hatte. Gott sieht die Dinge eben anders. An diesem Abend, mitten im einsamen Ringen um Fassung am Tiefpunkt seiner Karriere, kam diese Lebenslehre auf den Prüfstein. Er legte Screwtape zurück auf das Bücherregal, versank wieder in seinem Sessel und dachte nach.

      Den Schmerz verwandeln

      Es war immer spät, wenn Lewis nach einem langen Arbeitstag in seinem abgelegenen Landhaus „The Kilns“, außerhalb von Oxford, ankam. So auch an jenem Abend nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses. Sein Bruder Warren wartete besorgt an der Haustür und blickte auf seine Uhr. „Ich muss schnell auf die Post“, erklärte Lewis. „Briefe und den Scheck für Mrs Kelly einwerfen, sie braucht das Geld bis Ende der Woche. Ich habe versprochen, ihr immer wieder etwas zukommen zu lassen. Reich mir bitte den Regenschirm.“

      Befreundete Schriftsteller machten sich oft darüber lustig, dass Lewis sich die Hilferufe Not leidender Anhänger mit der gleichen Dringlichkeit zu Herzen nahm wie verehrende Rezensionen in den Kolumnen der großen Zeitungen. Von den riesigen Umsätzen, die er nach und nach von seinen Büchern bekam, behielt er nur wenig für