Kriegsbuch. Klabund. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klabund
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
p>Kriegsbuch

      BETT Nr. 13

      »Chinin«, sagte der junge Assistenzarzt und sah durch das Fenster der Baracke.

      Auf dem Hofe hüpften vier Mann um ein Maschinengewehr. Ein Leichtverwundeter schwebte blaugestreift unter den Kastanien. Im Schützengraben, der zur Übung angelegt war, turnte eine Katze.

      Schwester Crescenzia neigte die schmale weiße Stirne und ging zur Hausapotheke.

      Der junge Assistenzarzt seufzte.

      Er dachte an Manon.

      Er sehnte sich nach ihr.

      Pferde sind doch netter als Frauen. Und mindestens ebenso hysterisch.

      Er faßte die Hand des Kranken, zählte den Puls, sah auf die Uhr und ging zerstreut und sporenknarrend hinaus.

      Nr. 13 hob sich sanft aus dem Bett.

      Seine grauen Augen schlichen hinter dem Arzt her, wie Ringelnattern. Sie versuchten sich zwischen den Türspalt zu schieben. Die Tür fiel klappernd und zitternd ins Schloß.

      Die Augen kamen zurück. Nr. 13 dachte nach.

      Chinin hat er gesagt. Was heißt das?

      Nr. 13 sank in die kahlen Kissen zurück.

      Man ist so einsam. So einsam, wie … wie … wie ein Mensch. Die Kissen sind so kalt. Man selber so heiß. Und die ganze Stube brennt vor Hitze.

      Herrgott ist das eine Hitze.

      Wie damals in Südwestafrika.

      Die Zuckerfabrik von Souchez … alle Wetter … alle Himmel … das war keine Kleinigkeit. Auf der Fabrik möcht ich keine Aktien stehen haben.

      Chinin – Gott, wo hab' ich das nur schon gehört. Chi-nin. Chi-na. Nein, das ist es nicht.

      Nr. 13 versuchte sich aufzurichten. Hinter ihm, am Bett, drohte eine schwarze Tafel. Da waren Zahlen drauf geschrieben und ein paar lateinische Namen. Fieberkurven kletterten in den Himmel.

      Nr. 13 erschrak.

      Ich erblinde.

      Ich muß blind geworden sein. Ich kann nicht mehr lesen. Kann ich noch schreiben? Ich möchte was schreiben. Kleine Gedanken. Einen Vers. Ich bin doch nicht dumm. Ich hab' doch mal zwei Gedichte in der »Jugend« gehabt. Und eine Geschichte von mir ist ins Russische übersetzt worden. Von einer weichen Russin.

      Die war meine Geliebte. Meine einzige.

      Nein: Meine einzige nicht. In Südwest damals: da war noch eine. Ein Hereromädchen. 14 Jahre alt. Mit Brüsten wie Kupfer. Das wird jetzt beschlagnahmt. Mit Händen wie Wiese. Und stolzen Knabenfüßen. Und einem Oasenmund.

      Ich bin dazu verdammt, meine Feinde zu lieben. Meine Feindinnen.

      Ich bin ein Christ. Von Pastor Gluschke konfirmiert.

      Wie hieß die süße Negerin. Ro – ri. Ro – ri. Das klingt eigentlich wie ein alkoholfreies Erfrischungsgetränk.

      Sie war gar nicht schwarz, sondern kakaobraun. Und ein Kind hatte sie: drei Monate alt. Das schnupperte wie eine Maus, und schnappte spielend nach meiner Hand.

      Wenn ich nur ein Kind von ihr hätte.

      Nr. 13 bebte.

      Ich will noch nicht sterben. Ich will ein Kind haben. Einen Sohn. Einen Afrikaner. Damit ich leben bleibe, wenn ich sterbe.

      Schwester… Schwester, kommen Sie … helfen Sie mir… ich will ein Kind …

      Die Schwester nahte mit kurzen hasenhaften Schritten.

      »Was haben Sie?« fragte sie mild und ihre Haube neigte sich über ihn, »haben Sie Schmerzen?«

      »Chinin – was ist das? Was hab' ich für eine Krankheit?«

      Nr. 13 bebte.

      »Es wird alles wieder gut«, sagte die Schwester leise und streifte das Bett.

      Dann wandte sie ihr kühles Gesicht zur Seite.

      Meine Lunge ist ganz voll Sand, fühlte er.

      Ein heißer Wind kräuselt meinen Kopf, als ob er ein Meer wäre. Die Steppe steigt über meine Schultern. Mit funkelnden Sohlen. Sandflöhe wimmeln in meinem Hemd.

      Kakteen stechen mein Herz.

      Schwester! Ich habe Südwest mitgemacht. Ich bin ein Südwest-Afrikaner. Sehen Sie die gelbe Medaille auf meiner Brust?

      Windhuk bricht aus meinen Blicken. Okahandja weint. Tausend Ochsen stampfen durchs Gelände. Antilopen springen fern auf bläulichen Gipfeln. Affen hängen in schwankenden Ästen. Ich blühe auf wie die Victoria regia.

      Glanz bin ich und flach: ein riesiges Blatt. Ein rosiger Laubfrosch sitzt auf meinem Bauch.

      »Malaria im Rückfall«, sagte der junge Assistenzarzt und dachte an Manon. »Ich habe ihn sowieso bloß auf zwei Tage geschätzt.«

      DER STERBENDE SOLDAT

      Tag und Nacht sind nicht mehr. Sind versunken wie Segelschiffe hinterm Horizont des Meeres. Ich weiß nicht mehr von Tag und Nacht. Von Sonne und von den grauen Krähen der Dämmerung. Von der Erde und von der runden Kugel des Glücks. Wir marschieren. Wir marschieren bei Tag. Wir marschieren bei Nacht. Wir schlafen in der Nacht. Wir schlafen am Tag. Wir schießen Tag und Nacht. Wenn ich mich umdrehe, steht die Zeit wie eine rosaschwarze Wand vor mir. Kein Tag. Keine Nacht. Kein Monat. Kein Jahr. Nur ein blutendes Feld, blutrote Ackererde, aus dem unsere Leiber wie weiße Blumen in den Himmel wachsen. Wie Tau netzt der Himmel meine Augen. Ich möchte immer blühen. Schmale Lilie. Schwertlilie. Ich habe nie so stark an mich geglaubt. Wenn ich die Hand hebe, werde ich eine Granate im Fluge aufhalten. Ich habe Durst. Nach Wasser. Nach Feuer. Ich will Feuer schlucken wie die östlichen Zauberer. Mein Pferd ist tot. Es muß irgendwo neben oder unter mir liegen. Worauf soll ich nun reiten? Ich werde auf einem toten Engländer in die Hölle reiten. Aber Lilli will es nicht. Sie faßt meine Hand, ich bin ja blind, und wird mit mir den Himmel suchen gehen. Lilli, sag' ich, hier riecht es nach Veilchen, hier ist der Himmel. Sie läßt meine Hand los. Ich sehe sie nicht mehr. Da vorn ist eine andere Hand. Eine leuchtende Hand. Rauchgeschwärzt. Sie greift nach dem Haus mit dem Schindeldache. Die Hand wird auf einmal Mund. Sie frißt das Haus. Kaut an ihm. Wenn der Wachtmeister wüßte, daß ich hier so faul liege, während er Appell hält. »Ulan Bubenreuther«, wird er rufen. »Ulan Bubenreuther…?« Niemand meldet sich. »Ulan Bubenreuther vermißt…« Ich habe Durst. Ich möchte etwas trinken. Etwas Heißes. Ich friere. Heißen Tee. Ich muß lachen, wenn ich an die polnischen Juden denke, die uns immer Tee verkauften: »Gebe Sie Münz, Herr, kriege Sie heiße Tei…« Sie haben keine Heimat. Niemand hat eine Heimat. Nur der Tod. Er ist überall zu Hause. Wo ist die kleine Stadt, in der ich geboren wurde? Die engen Straßen gehen krumm und gebückt vor Alter. Die jungen Mädchen laufen Schlittschuh. Bürger eilen mit wichtigen Mienen zu Geschäft, Versammlung oder Kneipe. Die Oder rauscht unter den Schollen. Die Patina des Marienkirchturms glänzt in der Wintersonne violett und grün. Es muß wer gestorben sein – der Küster läutet die Glocken. Ich will leise mit der Lanze winken. Vielleicht, daß er mich sieht.

      MEIN BRUDER ERZÄHLTE

      Weißt du, daß von den Verwundeten, die aus der Front zurückkehren, keiner mehr singen will? Wir haben eine ganze Anzahl Leichtverwundeter, die schon wieder Garnisondienst tun, in der Kompagnie, aber wenn wir singen: 'Drei Lilien' oder 'Heimat, o Heimat, ich muß dich verlassen…', schweigen sie und haben große Augen. Die beiden Reber – du kennst sie doch? die Söhne vom Hauptlehrer Reber – stehen schon im Feld … in Galizien oder Polen … und haben fünf Tage nichts als rohe Rüben gegessen … Hans ist am 28. Oktober nach Belgien gekommen. Kaum auswaggoniert, mußten sie bei Dixmuiden zum Sturm vor. Dreimal in 36 Stunden. Dixmuiden brodelte wie der Hexenkessel in Goethes 'Faust'… Hans ist verwundet … Bauchschuß… Er ist schon wieder zurück und liegt im Lazarett … Ich habe ihn gestern besucht … Sie lagen zu zwölfen im Zimmer, und einer saß auf dem Bettrand und spielte Harmonika. Es war ein Pole, und er spielte eine schwermütige Melodie. Einige lasen Zeitung und einem, dem der Kopf ganz verpackt war, flößte die Schwester durch eine Glasröhre warme Milch ein. Er lächelte dankbar … Hans' Aussehen hat sich derartig verändert, daß ich ihn kaum wiedererkannte und betroffen anstarrte. »Guten Tag, Hans.« »Guten