CASPAR
IM FAHRWASSER DER GESCHICHTE
Abb. 1 Hamburg um 1750
Caspar im Fahrwasser der Geschichte ist ein historischer Roman, der die Lebensumstände einer Hamburger Kaufmannsfamilie im Jahre 1755 erzählt. Im Zeitalter der Aufklärung hatten einige Menschen schon sehr früh verstanden, warum eine Veränderung in der Gesellschaft unumgänglich wurde. In immer größerer Zahl wurden Bücher und Zeitungen in Europa publiziert, so dass einer breiten Schicht der Bevölkerung die Informationen zugänglich gemacht werden konnten. Die außergewöhnliche Reise Caspar Kocks, die als Walfangfahrt für Kock & Konsorten nach Grönland begann, entwickelte sich zunehmend als gefährliche Tortour für die zusammen gewürfelte Mannschaft des Walfängers. Die Vorboten des tatsächlichen 1. Weltkrieges, der als Siebenjähriger Krieg in unsere Geschichte eingegangen war, sind Reibereien in den Kolonien der Seemächte in Indien und Amerika gewesen. So kam der Walfänger Konstanze zwischen die Fronten und sah sich in einer fast ausweglosen Situation ausgesetzt. Doch dann entschieden sich die Seeleute für einen spektakulären Plan...
Inhalt des Buches:
Abbildungen:
Abbildung 1 Blick auf Hamburg vom Südufer der Elbe um 1750
Abbildung 2 Hamburger Binnenhafen und Umgebung um 1755
Abbildung 3 Reiseroute Caspars im gleichen Jahr
1.Walfang
Die neue Geschäftsidee
Es war ein heißer Sonntag im Juli des Jahres 1755. In unserem Haus in der Katharinenstraße war nur noch die Dienstmagd Maria anwesend. Sie saß mit ihrem Strickzeug in der gläsernen Kammer der großen Diele. Sie hatte alles im Blick, wenn die Bewohner des Hauses ausgeflogen waren. Meine Eltern verbrachten den Sonntag wie gewöhnlich im Gartenhaus in Billwerder vor den Toren Hamburgs und entzogen sich der staubigen stickigen Stadt, sowie es viele andere auch taten. Mein Bruder Hinrich, meine Schwester Josephine und auch ich, waren schon lange nicht mehr mit ihnen dorthin gefahren. Vater, einstmals ein dunkler Typ mit mächtigen Augenbrauen, gewöhnte sich langsam, Mutter allerdings sehr langsam daran, dass wir unsere eigenen Wege gingen. Meine Mutter Charlotte, eine schmächtige Person mit freundlichem Gesicht, war der ruhende Pol der Familie, zugleich hielt sie alle Fäden zusammen. Hinrich wollte sich nach dem anstehenden Walfang mit Konstanze verloben, mit der er schon lange befreundet war. Mein großer Bruder hatte die braunen Augen meines Vaters, aber die Gestalt eines Leuchtturmes. Josephine, die ebenfalls älter ist als ich, konnte sich bei vielen Bewerbern kaum für einen Mann entscheiden. Sie hatte eine quirlige fröhliche Natur, die überall gute Laune verbreitete. Wem das noch nicht genügte, der schaute in ihre großen braunen Augen und auf ihr langes kastanienbraunes Haar. Derweil suchte ich neben der großen Diele im Kontor von Kock & Konsorten, dem Familienunternehmen, nach speziellen Plänen für den Schiffsneubau. Der fast fertig gebaute Walfänger hielt unsere Familie seit einiger Zeit in Atem. Mein Bruder Hinrich hatte vorgestern mit Vater die letzten Einzelheiten vor der Schiffstaufe besprochen und die Pläne nicht zur Werft mitgenommen. Das sollte ich jetzt nachholen. Die Unterlagen waren nicht dort wie vermutet, wo sie hätten sein sollten. Nach einer Weile hatte ich sie woanders endlich gefunden.
Kurzum verließ ich unser Haus. Ein letzter grüßender Blick zu Marie. Sie schaute mir lange mit ihren wässrigen Augen nach, ohne dabei ihren Strickrhythmus ändern zu müssen. Sie genoss die stillen Sonntage im Sommer. So viel Ruhe zur Handarbeit gab es nur an diesen Tagen, wenn niemand zuhause war und sie mit der Katze Katinka als Herrin wachte.
Die Sonne arbeitete sich aus einer Riesenmenge aufgetürmter Wolken heraus, als ich durch die Katharinenstraße schlenderte, die im Herzen von Hamburg lag. Die Schnitzereien und Verzierungen der Giebel in unserer Straße waren bei Sonnenschein besonders eindrucksvoll. Leuchtende Farben hatten die holländischen Baumeister verwand, um die Fassaden der Kaufmannshäuser prachtvoll erscheinen zu lassen.
In einer halben Stunde war ich mit meiner Freundin Lisa verabredet, an unserem Lieblingsplatz im Hafen. Ich erhöhte mein Tempo und bog in die Mattentwiete ein, die als Straße kaum erkennbar war, weil die gegenüberliegenden Häuser sehr eng zueinander standen. Hier konnte die Sonne mir nicht folgen, da die Twiete außerdem hoch bebaut war. Seitliche Gänge führten in gedrängte Hinterhöfe. Hier passte kein Pferderücken mehr durch, wie man so sagte. Wäscheleinen wurden über die Gänge gespannt, dadurch wirkten sie noch enger. Ich hörte ein kleines Kind wimmern und schaute in die verwinkelte Gasse eines Ganges. Es saß auf dem blanken Kopfsteinpflaster im Unrat und wurde mit Fischabfällen von größeren Kindern beworfen. Eine Frau, mit einem Säugling auf dem Arm, kam schimpfend aus einem Hauseingang und klärte die Situation, so dass ich mich auf den Weg machen konnte.
Obwohl ich mich darauf freute, Lisa zu sehen, war meine Stimmung dennoch getrübt. Bis vor einiger Zeit hatte ich die Hoffnung, den anstehenden Walfang als Besatzungsmitglied unseres neu gebauten Schiffes zu begleiten. Doch meine Eltern, Charlotte und Johann Ludwig Kock, hatten sich anders entschieden. Hinrich und unser Cousin Jacob aus La Rochelle sollten die Fahrt nach Grönland bestreiten. Vater hatte es vermieden, mir zu sagen warum ich nicht fahren durfte. Er ging derartigen Schwierigkeiten mit der Familie gerne aus dem Weg. Doch insgeheim wusste ich, dass einer der Gründe dafür mein Alter in Verbindung mit dem mangelnden Zutrauen meiner Eltern war. Dabei gehörten auch andere Männer mit 22 Jahren zur Besatzung! Der Schiffsjunge war gerade 15 Jahre alt geworden. Die Mutter, die schon öfter meine vom Kurs abweichenden Vorhaben ausbremste, argumentierte mit fadenscheinigen Begründungen, warum ich nicht mitfahren sollte. Auch sie vermied es, die ehrlichen Gründe zu nennen. Ich bin deshalb ziemlich enttäuscht gewesen. Sie verwiesen mich auf ein weiteres Jahr, bis zur nächsten Walsaison eben, wenn nichts dazwischen kommen würde. So hieß es. Dabei hatte ich genau wie Hinrich meine Seefahrer-Ausbildung mit guten Leistungen beendet. Uns fehlte nur noch die Praxis, die auf der Fahrt ins Eismeer vermittelt werden konnte.
Meine Schritte in der hohlen Gasse empfand ich besonders laut, da hier jedes Geräusch durch den Halleffekt verstärkt wurde. Dabei versuchte ich den Krach meiner Sohlen zu dämpfen, indem ich nur noch mit den Zehen auftrat, ohne langsamer zu werden, denn die Zeit drängte. Mein Bruder erwartete mich vor Ort mit den Plänen des Schiffes. Seine Aufgabe an Bord war die Lagerung und der Transport der Speckfässer. Mit unserem Böttcher entwickelte Hinrich neue Verschlüsse, um den Walspeck länger haltbar zu machen und vor allem die Verluste in Grenzen zu halten. Besondere Sorgfalt war hier von Nöten, damit bei stürmischer See