Aus zwei Welttheilen, Erster Band. / Gesammelte Erzählungen
Heimweh und Auswanderung.
Skizze
Vor Jahren, und noch nicht einmal vor so gar langen Jahren, war eine Reise von mehr als zwanzig Meilen ein Gegenstand, der nicht allein jede nur erdenkliche Vorbereitung erforderte, sondern den Reisenden selbst fast wie einen tollkühnen Wagehals erscheinen ließ, der sein eigenes Leben und die Ruhe seiner Verwandten und Freunde keinen Deut hoch achtete, sondern nur, ein zweiter Robinson Crusoe, Lust habe, seine Tage unter Wilden und Cannibalen zu beschließen. Damals standen noch wohlbeleibte Wirthe mit den dicken, gemüthlichen Gesichtern in der Thür ihrer Gasthäuser und unter den an starken eisernen Stäben hin- und herknarrenden Conterfeys von rothen Drachen oder noch rötheren Potentaten, sahen die alte, wohlbekannte Landkutsche halbe Stunden lang bedächtig auf der ausgefahrenen Straße heranrasseln, und berechneten schon im Voraus, für wie viel Gäste die hochlägerigen, schneeweiß überzogenen Betten hergerichtet, wie viel Paar Pantoffel zum Wärmen an den Ofen gestellt werden müßten.
Jetzt dagegen zischen und schnauben keuchende Locomotiven ihre eiserne Bahn entlang – die Drachen und Potentaten sind (beide jedoch nur von den Wirthshausschilden) verschwunden und haben französirten Hotels – »de Leipsic, de Katzenellenbogen etc.« – Platz gemacht, und langbeinige, dünnleibige Wirthe und Kellner stürzen, mit ganzen Armladungen voll Erfrischungen, von Coupee zu Coupee, um die nie mehr einkehrenden Passagiere zu veranlassen, ihr Geld im Fluge zu verzehren.
Der Ocean hält mit dem festen Lande Schritt; sonst nannte man eine Fahrt von Hamburg nach Helgoland eine »Seereise«, jetzt heißen die, zwischen Newyork und Liverpool »spielenden«, ungeheueren Packetdampfschiffe »Fährboote«, und Pianofortes und Brüsseler Spitzen werden nach Gegenden hingeschafft, in denen noch vor kurzer Zeit Schellen und Glasperlen als Wunderwerke der Kunst galten.
Der Mensch selbst bleibt dann natürlich nicht hinter dem Fortschritt der Länder zurück – der enge Kreis, der sonst den Hausvater an die Scholle bannte die er bewohnte, wird ihm jetzt zu eng, und wenn er die Seinen nicht verlassen kann, ei nun, so nimmt er sie mit zu anderen Zonen. Ein mit dem Vaterland Zerfallener – ein »Weltschmerzdurchtobter« – dachte früher nur selten daran, die alten Ketten und Verhältnisse, die ihn bisher gebunden, abzuschütteln und auf neuem Boden, von der neuen, lebensfrischen Keimkraft einer anderen Welt durchglüht, ein ebenso neues, ein ebenso frisches Leben zu beginnen, – das Wort »Europamüde« stand noch in keinem deutschen Wörterbuch. Jetzt ziehen Tausende von ruhigen Landleuten, die bis dahin von Schiffen keine anderen kannten als Weberschiffe, und das Wasser, außer dem Hausgebrauch, nur noch zum Mühlentreiben verwendbar hielten, mit schwellenden Segeln über brausende Wogen hin, einer neuen, ferngelegenen Heimath zu, und befinden sich auch dort schon, nach ganz kurzem Aufenthalte so wohl, so bekannt, als ob sie zwischen lauter Negern und Mulatten aufgewachsen wären, und von frühester Kindheit an nichts Anderes gegessen hätten, als Maisbrod und Ananas.
Deutschland, das sonst so ruhige, gemüthliche Deutschland, ist auf Reisen gegangen; Michel hat Schlafrock und Pantoffeln ausgezogen, und am Ganges, Nil und Niger, am Amazonenstrom wie am Mississippi verlangt er von dem aufs Aeußerste erstaunten Echo, ihm »Ei du lieber Augustin« und »schöner grüner Jungfernkranz« nachzusingen.
Betritt nun der Deutsche amerikanischen Grund und Boden, und ist ihm selbst die Sprache fremd, die er von lauter fremden Menschen sprechen hört, dann erfaßt ihn gewöhnlich zum ersten Mal jenes Gefühl gänzlicher Verlassenheit, das er selbst bei dem Abschied aus der Heimath, als er den letzten blauen Streifen des Vaterlandes in nebliger Ferne schwinden sah, noch nicht empfand. Damals, in ganz neuer, fremdartiger Umgebung, wo Scene nach Scene wechselte, und jede nachfolgende immer wieder frischeres, lebendigeres Interesse bot, – noch dazu von lauter Landsleuten umgeben, die nur über Sachen sprachen die ihm selbst bekannt, mit denen er selbst vertraut war, fühlte er, glaubte er noch nicht, daß der letzte Faden zerrissen sei, der ihn an vaterländische Erde band, – er war nur eben unterwegs, und das Meer, in dessen wundervolle Bläue er jetzt hineinstarrte, umfluthete ja auch den heimischen Strand.
So vergrößerte sich nach und nach die Entfernung, ohne daß er im Stande war einen Maßstab anzulegen, wie er von Stunde zu Stunde alles Das weiter zurückließ, an dem bis jetzt sein ganzes Herz gehangen, und das ihm durch Liebe und Gewohnheit heilig geworden war.
Der erste Schritt auf fremder Erde zerstört den Wahn – von seinen Reisegefährten trennt ihn gewöhnlich bald irgend ein anderer Plan, trennen ihn andere Interessen, andere Ansichten – er verliert sie in dem ihn umtosenden Gedränge aus den Augen, und erst dann – erst in dem Augenblick steigt mit einem Schlage die ganze starre Wahrheit vor ihm auf: du bist im fernen, fremden Land allein.
In der Zeit schließt er sich an Jeden an, der deutsch spricht – in der Zeit glaubt er einem Jeden, der ihm versichert, daß er es gut und ehrlich mit ihm meine – ach seine ganze Seele hängt ja an dem Glauben. Nur zu häufig fällt er aber auch dann gerade in die Hände listiger Speculanten, die, in der amerikanischen Schule gestählt, jeden fremden Einwanderer, komme er nun aus der eigenen Heimath oder wo anders her, wie einen Schwamm betrachten, den sie so lange drücken und kneten, als noch ein Tropfen Wasser in ihm enthalten ist, und erst dann, nachdem sie sich ihres Erfolgs vergewissert haben, wie ein abgenutztes Handwerkszeug bei Seite werfen.
Der also Mißbrauchte sieht sich so von Jedem, dem er mit treuem Herzen vertraute, hintergangen und verspottet, und jetzt stürmen urplötzlich all die tausend und tausend gehörten und für Märchen gehaltenen Geschichten auf ihn ein, durch die er in der alten Heimath vor solchen Freunden gewarnt worden war. Er gleicht jetzt dem Knaben, der sich, schon unter Wasser, noch deutlich daran erinnert, daß ihm Jemand gesagt hätte, das Eis würde nicht halten. Er ist aber einmal durchgebrochen, und nur starkes, kräftiges Ringen kann und wird ihn wieder an die Oberfläche bringen.
Nun sind es allerdings großentheils Deutsche, die in den Seestädten Amerikas einzig und allein darauf auszugehen scheinen, ihre Landsleute durch falsche Verkäufe, Landspeculationen oder sonstige Betrügereien zu hintergehen; das hat aber hauptsächlich darin seinen Grund, daß der Amerikaner nur selten Deutsch genug versteht, sich des eben Eingewanderten Vertrauen zu erwerben und Vortheil aus ihm zu ziehen, sonst wäre er der letzte, der sich ein Gewissen daraus machen würde, ein greenhorn1 hinters Licht zu führen.
Der Amerikaner hat überhaupt, besonders im Handel, wunderliche Begriffe von Ehrlichkeit, und hält Manches für erlaubt, was wir nach unseren Ansichten unmöglich billigen könnten. Ich brauche da nur an die aus Kien gedrehten Muskatnüsse, an hölzerne in Leinwand eingenähte Schinken, an aus Kartoffeln und rothem Flanell gestopfte Würste, und an viele andere Betrügereien zu erinnern, die den Schuldigen vor Gericht allerdings verdammt hätten, denen aber der Amerikaner selbst seine volle Bewunderung zollt und einen solchen Pfifficus höchstens einen »deuced smart fellow«, einen »verwünscht schlauen Burschen« nennt.
Nun ist es aber nicht allein das Vertrauen gegen Andere, vor dem sich der neu eingewanderte Deutsche besonders zu hüten hat, sondern auch das in sich selbst, was ihm nicht selten noch größeren Schaden thut als das erste, denn jenes kostet ihm gewöhnlich nur Geld und er gewinnt dafür Erfahrung, das andere aber kostet ihm seine Zeit und die kann ihm Nichts wieder ersetzen.
Ich möchte hier übrigens nicht mißverstanden werden, denn ich will keineswegs damit sagen, daß der Europäer nicht auf seine eigenen Kräfte, auf seine eigene Ausdauer und Beharrlichkeit vertrauen solle. Nein im Gegentheil, ein solches Vertrauen ist sogar unumgänglich nöthig, er würde sonst untergehen in Zweifel und Unentschlossenheit; er soll sich aber nicht einbilden daß er nach Amerika gekommen ist, um die Eingeborenen durch seine eigene Geschicklichkeit in Erstaunen zu setzen – er soll nicht, ohne vorher zu prüfen, seine Manier zu arbeiten für die bessere, seine Werkzeuge für die einzigen guten halten – er soll seine eigenen Fähigkeiten nicht zu hoch anschlagen und selbst da noch lernen, wo er sich schon vielleicht für geschickter und klüger als Die hielt, mit denen er zusammentraf.
Der Amerikaner ist viel praktischer als der Deutsche – er hat sich aber auch nicht aus dem alten Schlamm, aus geistigem und körperlichem Zwang erst herauszuarbeiten gebraucht, wie wir das noch jetzt mit Händen und Füßen, ja oft auf dem Bauche liegend, im Begriff sind zu thun. Er hat das Joch, was ihn zu drücken erst anfing, abgeschleudert und nun,