Nach Amerika! Ein Volksbuch. Vierter Band
Capitel 1
Die Fahrt durch Arkansas
Den Mississippi hinauf brauste das kleine, aber tüchtige Dampfboot Little Rock, nach Fort Smith, dem Grenzort des Indianischen Territoriums bestimmt, aber auch an allen Zwischenorten, wo eben Passagiere aussteigen oder an Bord kommen wollten, oder wohin Fracht von New-Orleans aus eingeladen war, anlegend.
Passagiere hatte es aber nicht sehr viele an Bord, denn der große Menschenstrom der Einwanderung geht vorzugsweise den Mississippi hinauf bis St. Louis und zu den nördlicher gelegenen Staaten, Iowa oder Wisconsin, oder den Ohio hinauf, wohin wir der Jane Wilmington mit unseren Bekannten gefolgt waren. Den Arkansas aufwärts war der Zug der Einwanderung noch nicht so stark, denn die Fremden fürchteten die kalten Fieber, die in den östlichen Theilen des Staates herrschen, und scheuen sich ebenso sehr nach dem Westen zu gehen, den ihre Phantasie nicht selten auf viel zu poetische Weise mit Bären, Panthern und Gott weiß was sonst noch für reißenden Thieren bevölkert.
Nichts destoweniger haben die dort gelegenen Städte zum Theil schon recht wackere Fortschritte gemacht, und blühen und gedeihen in dem jungen Land, das Fruchtboden aufzuweisen hat, wie kaum ein anderer Staat der Union, und in seinen westlichen Bergen dabei so gesunde und trefflich gelegene, überall von schönen Strömen durchzogene Flächen bietet, wie es der Farmer nur wünschen kann. Freilich war es noch wild in dem Squatterstaat, noch entsetzlich wild, und als der Little Rock, der nach der Hauptstadt von Arkansas seinen Namen bekommen, und auch in der That einem Kaufmann dort gehörte, den lebendigeren Mississippi verließ, und bei dem kleinen Städtchen Napoleon links in die Mündung des Arkansas selber einbog, schien Wald, endloser Wald die Ufer zu decken, aus denen nur hie und da kleine urbar gemachte, oder von den Holzhauern gelichtete Waldblößen die Wildniß nicht etwa unterbrachen, sondern nur die Färbung derselben in etwas veränderten. Dicht und unmittelbar dahinter nahm sie wieder ihre dunklen Schatten an, und die mit wehenden Schlingpflanzen in schwingenden Festons behangenen Zweige streckten sich oft weit über das Ufer und den daran hinschäumenden Strom hinaus.
Breite, helle Sandbänke füllten dabei die äußeren Biegungen des in dieser Jahreszeit ziemlich niedrigen Stromes, auf denen Schwärme von Wildenten und Gänsen saßen, beim Nahen des heranbrausenden Bootes die langen dunklen Hälse hoch emporreckten, mit den Flügeln schlugen, und dann aufstrichen in ihren schnurgeraden Reihen, bis sich der Führer hoch oben in blauer Luft seinen Zug keilförmig ordnete, und queer über den Wald weg hielt, einem stilleren Sumpf oder Binnensee zu.
Überall ragten hier häßliche snags und sawyers (in Sand oder Schlamm unten festsitzende Stämme und Äste) aus der Fluth empor, den Lootsen in dem nicht so breiten Fahrwasser zu doppelter Vorsicht mahnend, und auch die Ufer dieses Stromes, wie die des Mississippi, verriethen die Verheerungen, die er hier angerichtet am bewaldeten Ufer. Ganze Strecken der hohen, aus dem herrlichsten Fruchtboden bestehenden Bänke waren unterwühlt, hunderte von mächtigen Stämmen hineingerissen in die um ihre Äste jetzt quirlende Fluth, und wieder und wieder bohrte und wusch die Strömung unter den schon halb blos gelegten Wurzeln der nächsten Bäume, auch sie nachzuholen in ihre gelben Strudel.
Sycamoren, Baumwollenholzbäume, Eschen und Cypressen, mit stämmigen Weiden am unmittelbaren Ufer, der Unterwald, wie am Mississippi, oft von dichten fast undurchdringlichen Schilfbrüchen gefüllt, bilden die Vegetation des Flußlandes, wenigstens die, die vom Fluß selber aus dem Vorbeifahrenden sichtbar ist, und hier allerdings schleicht der scheue Panther Nachts zum Strome nieder, seinen Durst zu löschen, oder dem schlanken Hirsch aufzulauern, der das Wasser des Arkansas, seines Salzgehaltes wegen, eifrig sucht; in diesen Schilfbrüchen schlägt sich der Amerikanische gelbnasige Bär sein Lager zurecht, mit den Tatzen, der wilde Truthahn bäumt in die hohen Baumwollenholzstämme, und sucht von deren Gipfel aus mit schwerem, leicht ermattetem Flug das andere Ufer zu erreichen, und das Catamount, ein Mittelding zwischen Panther und wilder Katze, duckt sich dicht am Ufer in stiller Nacht, als es das Dampfboot mit den regelmäßig klappenden Radschlägen und dem scharfen Keuchen stromauf arbeiten hört, und flieht mit flüchtigen Sätzen die steile Uferbank hinan, als die gegen das Land geworfenen Wellen nach ihm aufspritzen und züngeln.
Es ist ein wunderbares, nicht zu beschreibendes Gefühl, auf raschem Boot zwischen diesen stillen rauschenden Wäldern dahinzugleiten, und füllt die Brust des Fremden besonders, dessen Blick vergebens in des Waldes Tiefe einzudringen sucht, mit einem halb zagenden Verlangen jene Wildniß zu betreten. Wie die Wipfel so leise flüstern und so geheimnißvoll, und im Winde schwanken, herüber und hinüber, und ihren duftigen Schleier über das zitternde Dunkel des Urwaldes breiten – wie es da drinnen knarrt und stöhnt und seufzt, und hindurch schleicht, durch das gelbe, Jahre und Jahre lang aufgehäufte gelbe Laub mit leisem, scheuem Schritt, und in den Blättern raschelt, und durch die Büsche hin. – Hui – vorbei – was war das? – wie ein Phantom glitts an dem Rand der Waldung hin, und ein paar glühende Augen blitzten einen Moment von dort herüber. Ein Wolf? – vielleicht; die schwarzen tückischen, mordlustigen Burschen haben dort ihren Tummelplatz, und wenn die Nacht kommt, tönt noch der wunderbar klagende, unheimlich hohle Laut der Eule von dort heraus, mit dem neckenden Schrei der Nachtschwalbe,1 die den Gespielen ruft – »whip poor will – whip poor will.«
Der schöne – wunderschöne Wald – aber er bleibt Dir ein verschlossenes Heiligthum, wenn Du nicht kühn und keck vom Boote springst, mit starken Armen die Büsche theilst und den heiligen Boden betrittst, der Gottes Tempel ist, und seine hohen mächtigen Säulen trägt. – Nur sein Athmen hörst Du, wenn Du an der Pforte stehst, die Dir die Arme trotzdem weit und gastlich entgegen breitet, das stille Rauschen seiner dunklen Wipfel, und sie grüßen Dich wohl und nicken Dir zu, wie man den Fremden grüßt, den man auf der Straße trifft, aber der liebende Ton ist es nicht, mit dem sie den Freund, der ihrem Schutz vertraut, das Schlummerlied flüstern – leise, leise, daß es ihn nicht stört, und ihm die Mondesstrahlen von den Augen halten.
»Oh wie großartig – oh wie herrlich!« seufzte eine entzückte weibliche Stimme von den guards des Dampfers aus, als dieser dicht an dem wilden rauschenden Ufer vorüberbrauste – »wer jetzt hinüber könnte – dahinein, die Wunder dieser düsteren, geheimnißvollen Welt zu erforschen!«
»Ja, Mosquitos und Holzböcke würden Sie genug finden, verehrtes Fräulein,« sagte in diesem Augenblick eine Stimme, als Amalie von Seebald, die ihren Gefühlen ganz unbewußt laute Worte gegeben, die Arme fest an die Brust gepreßt, den Blick sehnsüchtig auf die rauschenden Wipfel geheftet, auf der Gallerie der Damencajüte des Little Rock stand und nach dem dunklen Wald hinüberschaute.
Fräulein von Seebald schaute überrascht empor, und sah eine kleine untersetzte, in einen grauen Überrock geknüpfte und mit einem etwas abgetragenen Strohhut bedeckte Menschengestalt dicht über sich auf dem Radkasten stehen, die ein Tuch in der Hand hielt und im Begriff schien, Jemandem, der noch etwas weiter oben am Ufer in einer kleinen, kaum bemerkbaren Lichtung stand, zuzuwinken.
»Ungeheuer viel Mosquitos da drin,« sagte der kleine freundlich aussehende Mann, »enorm viel, und Holzböcke? – puh, ich bin einmal da drin gewesen, gleich unter der Post Arkansas; Tschisus Etsch Dobbeljuw Kreist, was für Holzböcke! wenn mich nicht ein Theil festhielt, hätte mich der andere aus dem Bette gezogen, und am nächsten Morgen war meine Haut wie ein Sieb, daß ich mich mit Baumharz ordentlich anstreichen mußte, um nur nicht auszulaufen – ist aber famoses Land da drinnen.«
»Sie sind hier bekannt?« frug Fräulein von Seebald mit mehr Interesse, als sie sonst wohl an dem kleinen unscheinbaren Mann genommen hätte – »kennen das Land vielleicht und die Leute?«
»Kennen?« sagte der kleine sonderbare Fremde mit einem ungemein selbstbewußten Lächeln, indem er als bildliche Darstellung seiner Antwort seine rechte Rocktasche herausdrehte und gegen die Dame hielt – »kenne ich meine Tasche? – ich bin Charley Fischer – haben Sie noch nicht von Charley Fischer in Little Rock gehört? wie? – noch nicht? – bin schon zwölf Jahre hier im Lande und habe Little Rock mit bauen helfen; war damals wirklich ein little Rock,2 ist aber jetzt ein hiep bigger geworden.«
Fräulein von Seebald lächelte über die wunderliche Ausdrucksweise des Mannes, es lag ihr aber daran die genaue Situation der Farm kennen zu lernen, die dem Grafen Olnitzki