Jeremias sah sich um – die Diener, vor denen er sich am meisten genirte, hatten ebenfalls das Zimmer verlassen, und die Bonne war damit beschäftigt, die Kinder ihrer Hüte und Mäntelchen zu entledigen, die das Kindermädchen dann in deren Stube hinübertrug – Jeremias war sich selber überlassen, in dem Fall brauchte er nur wenige Minuten, um mit dem kleinen Günther Freundschaft zu schließen. Im Handumdrehen fertigte er ihm aus der goldenen Düte, die er auf ein paar der Suppenteller ausleerte, eine Mütze, und wie Felix zurückkam, hatte er ihn auf dem Knie reiten, und der kleine Bursche lachte und schrie vor Lust und Vergnügen, als das »Pferdchen« mit ihm durchging und in immer wilderen Sätzen Hopp, Hopp machte.
Felix lachte, als er wieder in's Zimmer trat und Helenchen eben auf das andere Knie des kleinen freundlichen Mannes hinaufkletterte, um mit Theil an dem wilden Ritt zu nehmen.
Helene kam jetzt ebenfalls zurück, und die Suppe wurde gebracht; das kleine Volk mußte Ruhe geben und Alle nahmen ihre bestimmten Plätze ein.
»'s ist doch aber wirklich merkwürdig,« sagte Jeremias, »wie sich so Leute auf der Welt wiederfinden können.«
»Sie hätte ich allerdings hier nicht vermuthet,« lächelte Felix. »Nun erzählen Sie uns aber auch einmal vor allen Dingen Alles, was Sie selber betrifft, und wie Sie besonders wieder nach Deutschland zurückgekommen sind. Sie können glauben, daß wir uns dafür interessiren.«
»Na, denke doch,« schmunzelte Jeremias, der, wie er nur erst einmal die Serviette um und den Suppenteller vor sich hatte, auch alles Neue und Fremdartige vergaß, was ihn umgab. »Aber sehen Sie, Herr Graf, wie Sie damals weggingen – Jemine war das eine Zeit, wie wir den großbrodigen Herrn von Reitschen los wurden und den guten Herrn Sarno wiederkriegten – damals…« – er sah sich vorsichtig um, ob keiner von den Dienern mehr im Zimmer war – »damals lief ich noch in Hemdsärmeln herum mit dem Einspänner, dem Handkarren, Sie wissen wohl, und putzte…« – die Bonne genirte ihn doch etwas, daß er nicht recht mit der Sprache heraus mochte – »nun, that allerlei Arbeit, was vorkam, hatte mir aber doch hübsches Geld dabei verdient, denn ich sparte wie ein Hamster und gab keinen Milreis unnöthig aus. Da starb gleich sechs Monate später Bodenlos – Sie kennen ja doch Bohlossen – er hatte sich richtig in aller Stille todtgesoffen, denn äußerlich merkte man ihm nie 'was davon an, und das Wirthshaus wurde verkauft.
»Buttlich, der mit Herrn von Reitschen herübergekommen und so eine Schwindelwirthschaft errichtet hatte, war schon drei Monate vorher durchgebrannt – der arme Baron verlor durch den Lump auch ein paar hundert Milreis, beinahe ein halbes Conto1, und wenn Bohlossen sein Haus gut gehalten wurde, ließen sich Geschäfte damit machen. Herr Rohrland rieth mir auch zu…«
»Und wie geht es den guten Leuten?« fragte Helene.
»Vortrefflich,« nickte Jeremias – »Rohrland ist ein Mann bei der Spritze, immer auf dem Damme, immer fleißig, und die kleine Frau ein Mordswei –, eine prächtige Frau – und alle Jahre Kindtaufe, immer einen kleinen Jungen oder auch einmal ein Mädchen – es wimmelt nur so bei ihnen.«
»Und Sie kauften die Wirthschaft?« fragte Felix, während Helene still vor sich hin lächelte und die Bonne bis hinter die Ohren roth wurde.
»Na ob,« sagte Jeremias, wieder im alten Gleise, »das Haus ging spottbillig weg, das Inventar war ebenfalls zu bezahlen, was ich an Getränken und sonstwie brauchte, lieferte mir Herr Rohrland, und nun ging die Geschichte flott. In Santa Catharina hatte sich's ausgesprochen, daß wir einen guten Director in der Colonie hätten, der etwas auf seine Colonisten hielt, in Rio wurd's auch bekannt, und von allen Seiten kamen jetzt die Auswandererschiffe an, daß der Director und ich manchmal nicht wußten, wo uns der Kopf stand – aber Geld wie Heu. Es war ordentlich, als ob der Segen auf dem alten Hause läge, und wie ich mir noch ein neues dazu baute, hatte ich immer noch nicht Platz genug. Weil ich das baare Geld aber nicht wollte im Kasten liegen lassen – von wegen Buxen und Consorten, die mir damals keinen schlechten Schreck eingejagt –, kaufte ich Land dafür, was sie mir nicht stehlen konnten, und verdiente da wieder dran, Hand über Hand; kurz, in vier Jahren war ich ein gemachter Mann, und da erst, wie ich 'was hatte und es mit dem Besten in der Colonie aufnehmen konnte, kriegt' ich das Heimweh und beschloß, einmal wieder nach Deutschland zurückzukehren. Meine Häuser verkaufte ich um das Doppelte, was ich dafür gegeben hatte, meine Colonien verpachtete ich an arme Colonisten, die noch keinen eigenen Grund und Boden hatten, und – da bin ich…«
»Und wie haben Sie alle unsere Freunde in der alten Colonie verlassen?« fragte Felix – »was macht Sarno, und haben Sie nichts von Günther von Schwartzau mehr gesehen?«
»Herr Sarno ist noch immer der Alte,« erzählte Jeremias, emsig mit einem Gänseschenkel beschäftigt – »immer bei der Spritze, und die Geschichte geht jetzt dort wie am Schnürchen. Wer nicht in die Colonie paßt, den beißt er weg, und die Anderen befinden sich alle wohl, oder wenn sie's nicht thun, ist es ihre eigene Schuld. Einen andern Pfarrer haben sie auch, einen braven, ordentlichen Mann, der nie länger als eine halbe Stunde predigt…«
»Und von Schwartzau wissen Sie nichts?«
»Doch – im vorigen Jahr war er wieder in der Colonie und wohnte ein paar Wochen beim Herrn Director; er war lange krank gewesen und sah recht elend aus. Jetzt ging's ihm aber wieder besser, und kurz vorher, ehe ich wegging, hörte ich, daß er selber Director in San Sebastian oder Gott weiß, wie die neue Colonie heißt, geworden wäre.«
»Armer Günther!« seufzte Felix – »so treibt er sich noch immer in der Fremde umher und kann keine Ruhe finden…«
»Und was macht der Baron?« fragte Helene, der eine andere Frage noch am Herzen lag, die sie aber nicht wagte.
»Je, nun,« sagte Jeremias, »der Baron trägt immer noch dieselben Nankinghosen, die beim Waschen immer kürzer werden – armer Teufel – ne, lieber Freund, ich bin noch nicht fertig,« unterbrach er sich rasch und hielt mit beiden Händen seinen Teller, den ihm der aufwartende Diener, weil er ihn einen Augenblick außer Acht gelassen, gerade fortnehmen wollte.
Felix lachte und winkte, ihn in Ruhe zu lassen, und Jeremias, der seinen Gänseschenkel wieder vornahm, fuhr fort:
»Dem armen Teufel geht's eigentlich erbärmlich. Arbeiten kann er und will er nichts, und mit Vornehmthun giebt's in den Colonien nichts aus – der Buttlich betrog ihn, wie gesagt, um eine hübsche Summe – wie er's aus ihm herausgekriegt, weiß ich auch nicht. Nachher ließ er sich in ein Geschäft mit Herrn von Pultele – Hurrjeh!« unterbrach sich Jeremias plötzlich, weil er glaubte, einen Mißgriff gemacht zu haben.
»Erzählen Sie nur weiter,« lachte aber Felix – »also, Herr von Pulteleben ist auch noch in der Colonie…?«
»Jetzt nicht mehr,« sagte Jeremias, der puterroth geworden war und einen verzweifelten Blick nach Helenen hinüberwarf. »Es war eine Seele von einem Menschen, aber – aber ein bischen – ein bischen unpraktisch, und da kam er auf die unglückliche Idee, mit dem Baron eine Perlenfischerei an der Küste anzulegen.«
»Eine Perlenfischerei?«
»Ja, gewiß – und gefischt haben sie auch genug,« meinte Jeremias, »aber nicht einmal so viel Perlen gefunden, um sich eine Tuchnadel davon machen zu lassen, und da bekam es der Herr Baron denn zuerst satt – die Mittel erlaubten es nicht – und Herr von Pulteleben ging nachher nach Rio Grande, aber ich habe nichts weiter von ihm gehört.«
»Und die Gräfin Baulen,« sagte Helene ruhig, »ist sie noch in Santa Clara?«
»Ihre Frau Mutter? Gewiß!« rief Jeremias, der natürlich keine Ahnung von den dortigen Vorgängen haben konnte – »immer noch die Alte – sehr achtungswerthe Dame,« setzte er aber rasch und erschreckt hinzu – »ungeheure Betriebskraft, weiß immer etwas Neues, um zu speculiren – aber Graf Oskar ist fort…«
»Fort – wohin?« rief Helene rasch.
»Der liebe Gott weiß es,« sagte Jeremias achselzuckend – »mein Himmel, junges Blut will austoben, und Brasilien