Stand am 15.11.2011
Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 123 Absatz 1 der Bundesverfassung[1], nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 21. Dezember 2005[2], beschliesst:
1. Titel: Geltungsbereich und Grundsätze
1. Kapitel: Geltungsbereich und Ausübung der Strafrechtspflege
Art. 1 Geltungsbereich
1 Dieses Gesetz regelt die Verfolgung und Beurteilung der Straftaten nach Bundesrecht durch die Strafbehörden des Bundes und der Kantone.
2 Die Verfahrensvorschriften anderer Bundesgesetze bleiben vorbehalten.
Art. 2 Ausübung der Strafrechtspflege
1 Die Strafrechtspflege steht einzig den vom Gesetz bestimmten Behörden zu.
2 Strafverfahren können nur in den vom Gesetz vorgesehenen Formen durchgeführt und abgeschlossen werden.
2. Kapitel: Grundsätze des Strafverfahrensrechts
Art. 3 Achtung der Menschenwürde und Fairnessgebot
1 Die Strafbehörden achten in allen Verfahrensstadien die Würde der vom Verfahren betroffenen Menschen.
2 Sie beachten namentlich:
a. den Grundsatz von Treu und Glauben;
b. das Verbot des Rechtsmissbrauchs;
c. das Gebot, alle Verfahrensbeteiligten gleich und gerecht zu behandeln und ihnen rechtliches Gehör zu gewähren;
d. das Verbot, bei der Beweiserhebung Methoden anzuwenden, welche die
Menschenwürde verletzen.
Art. 4 Unabhängigkeit
1 Die Strafbehörden sind in der Rechtsanwendung unabhängig und allein dem Recht verpflichtet.
2 Gesetzliche Weisungsbefugnisse nach Artikel 14 gegenüber den Strafverfolgungsbehörden bleiben vorbehalten.
Art. 5 Beschleunigungsgebot
1 Die Strafbehörden nehmen die Strafverfahren unverzüglich an die Hand und bringen sie ohne unbegründete Verzögerung zum Abschluss.
2 Befindet sich eine beschuldigte Person in Haft, so wird ihr Verfahren vordringlich durchgeführt.
Art. 6 Untersuchungsgrundsatz
1 Die Strafbehörden klären von Amtes wegen alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen ab.
2 Sie untersuchen die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt.
Art. 7 Verfolgungszwang
1 Die Strafbehörden sind verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit ein Verfahren einzuleiten und durchzuführen, wenn ihnen Straftaten oder auf Straftaten hinweisende Verdachtsgründe bekannt werden.
2 Die Kantone können vorsehen, dass:
a. die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Mitglieder ihrer gesetzgebenden und richterlichen Behörden sowie ihrer Regierungen für Äusserungen im kantonalen Parlament ausgeschlossen oder beschränkt wird;
b. die Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollziehungsund Gerichtsbehörden wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von der Ermächtigung einer nicht richterlichen Behörde abhängt.
Art. 8 Verzicht auf Strafverfolgung
1 Staatsanwaltschaft und Gerichte sehen von der Strafverfolgung ab, wenn das Bundesrecht es vorsieht, namentlich unter den Voraussetzungen der Artikel 52, 53 und 54 des Strafgesetzbuches[3] (StGB).
2 Sofern nicht überwiegende Interessen der Privatklägerschaft entgegenstehen, sehen sie ausserdem von einer Strafverfolgung ab, wenn:
a. der Straftat neben den anderen der beschuldigten Person zur Last gelegten Taten für die Festsetzung der zu erwartenden Strafe oder Massnahme keine wesentliche Bedeutung zukommt;
b. eine voraussichtlich nicht ins Gewicht fallende Zusatzstrafe zu einer rechtskräftig ausgefällten Strafe auszusprechen wäre;
c. eine im Ausland ausgesprochene Strafe anzurechnen wäre, welche der für die verfolgte Straftat zu erwartenden Strafe entspricht.
3 Sofern nicht überwiegende Interessen der Privatklägerschaft entgegenstehen, können Staatsanwaltschaft und Gerichte von der Strafverfolgung absehen, wenn die Straftat bereits von einer ausländischen Behörde verfolgt oder die Verfolgung an eine solche abgetreten wird.
4 Sie verfügen in diesen Fällen, dass kein Verfahren eröffnet oder das laufende Verfahren eingestellt wird.
Art. 9 Anklagegrundsatz
1 Eine Straftat kann nur gerichtlich beurteilt werden, wenn die Staatsanwaltschaft gegen eine bestimmte Person wegen eines genau umschriebenen Sachverhalts beim zuständigen Gericht Anklage erhoben hat.
2 Das Strafbefehlsund das Übertretungsstrafverfahren bleiben vorbehalten.
Art. 10 Unschuldsvermutung und Beweiswürdigung
1 Jede Person gilt bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.
2 Das Gericht würdigt die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung.
3 Bestehen unüberwindliche Zweifel an der Erfüllung der tatsächlichen Voraussetzungen der angeklagten Tat, so geht das Gericht von der für die beschuldigte Person günstigeren Sachlage aus.
Art. 11 Verbot der doppelten Strafverfolgung
1 Wer in der Schweiz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, darf wegen der gleichen Straftat nicht erneut verfolgt werden.
2 Vorbehalten bleiben die Wiederaufnahme eines eingestellten oder nicht anhand genommenen Verfahrens und die Revision.
2. Titel: Strafbehörden
1. Kapitel: Befugnisse
1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen
Art. 12 Strafverfolgungsbehörden
Strafverfolgungsbehörden sind:
a. die Polizei;
b. die Staatsanwaltschaft;
c. die Übertretungsstrafbehörden.
Art. 13 Gerichte
Gerichtliche Befugnisse im Strafverfahren haben:
a. das Zwangsmassnahmengericht;
b. das erstinstanzliche Gericht;
c. die Beschwerdeinstanz;
d. das Berufungsgericht.
Art. 14 Bezeichnung und Organisation der Strafbehörden
1 Bund und Kantone bestimmen ihre Strafbehörden und deren Bezeichnungen.
2 Sie regeln Wahl, Zusammensetzung, Organisation und Befugnisse der Strafbehörden, soweit dieses Gesetz oder andere Bundesgesetze dies nicht abschliessend regeln.
3 Sie können Oberoder Generalstaatsanwaltschaften vorsehen.
4 Sie können mehrere gleichartige Strafbehörden einsetzen und bestimmen für diesen Fall den jeweiligen örtlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereich; ausgenommen sind die