Balduin Mollhausen
REISEN IN DIE FELSENGEBIRGE NORDAMERIKAS
Vorrede
Folgender Brief, den Alexander von Humboldt am 21. Dezember 1857 an mich richtete, gelangte erst drei Monate später in meine Hände, und zwar am Colorado, weit oberhalb der Mohave-Dörfer, wohin er mir, von Fort Yuma aus, durch einen indianischen Läufer nachgesandt worden war. Derselbe bezieht sich auf Temperaturbeobachtungen des Meeres, die ich auf der Reise von Panama nach San Franzisko anstellte und von letzterem Ort aus zurück nach Berlin geschickt hatte; dann aber auch auf einige Fragen, betreffend die Völkerstämme am unteren Colorado.
»Ich kann nur wenige Zeilen des Dankes und der innigen Freundschaft dem Briefe Ihrer liebenswürdigen Gattin beifügen. Ihre Temperatur-Beobachtungen haben mich um so mehr erfreut, als ich selbst genaue Register zwischen Callao und Acapulco vor einem halben Jahrhundert aufgezeichnet. Die warme Temperatur rührt gewöhnlich von der Richtung der Strömung her, von N.W. nach S.O. erkältend, von S.O. nach N.W. erwärmend wirkend. Sie haben leider eine sehr stürmische Ueberfahrt gehabt, aber Ihre glückliche Ankunft hat auch den kranken König, dem ich sie vorgestern erzählte und der sich Ihrer noch immer freundlich erinnert, sehr interessirt. Die Genesung des Königs macht Fortschritte; mögen unsere Hoffnungen sich nicht täuschen. Ich lege diesem Briefe, den Herr von Gerolt durch das Kriegsministerium besorgen wird, das bei, was ich heute gemeinschaftlich mit Ihrer recht schriftstellerischen Frau habe über Ihre Reise, theurer Möllhausen, in die Spenersche Zeitung setzen lassen.
Ich bin stolz, daß da, wo Fort Yuma liegt, auf meiner 1804 gezeichneten Generalkarte von Mexico steht: Indios Yumas. Da ich vermuthe, daß Sie meine zwei großen Karten, aus dem in Paris, 1811, erschienenen Atlas de la Nouvelle Espagne nicht bei sich haben, so mache ich Ihnen ein wildes Croquis von meinem Rio Colorado, wie ich die Völkerstämme nach den in den Archiven von Mexico aufgefundenen Itinerarien des Padre Esc[x,]alanti von 1772 in meiner Karte habe eintragen können. Ich schreibe links von dem Flusse die geschätzten Breitengrade als Maaßstab ein. Die Indianer-Stämme haben seitdem gewiß viel ihre Sitze verändert.Das Faksimile dieses Teils des Briefes, zusammen mit der kleinen Karte, befindet sich im zwanzigsten Kapitel des ersten Bandes auf den Seiten 344/345.
Mein Befinden ist, wie Sie mich verließen, an Kräften abnehmend, ich klage aber nie.
Empfehlen Sie mich freundschaftlichst Ihrem Commandanten, Herrn Lieutenant Ives, und sagen Sie ihm, daß ich ihm dankbar bleibe für Alles, was er Ihnen Freundliches erweist. Ich rede nicht von Wiedersehen, weil ich nicht daran glaube und Sie nicht betrüben will. Gott segne Ihr Unternehmen!
Ihr treuer aber unleserlicher
Alexander von Humboldt
Berlin, den 21. December 1857
Der vierte Band meines Kosmos (Magnetismus, Wärme, Quellen, Erdbeben und Geologie der Vulkane) ist eben erschienen. Ich habe ein Exemplar davon an Herrn von Gerolt geschickt ...«
Ein zweiter Brief folgte mir noch tiefer in die Wildnis nach, und derselbe betrifft hauptsächlich ein Verfahren bei topographischen Darstellungen von Höhen, über das ich, kurz vor meinem Einschiffen in New York, an Alexander von Humboldt berichtet hatte. In diesem Brief heißt es:
»... ein Brief von Jules Marcou, der ganz neuerlichst eine überaus wichtige geologische Arbeit über die Jura-Formation herausgegeben hat. Er schreibt mir aus Zürich in den freundlichsten Ausdrücken über Ihr Werk, mit dem er sehr zufrieden ist; Mitreisende pflegen gewöhnlich strenge zu urtheilen. Sie haben, glaube ich, in Ihrer Gesellschaft einen Topographen, E., von dem ich im Januar 1857 eine kleine Brochüre: New style of drawing from mountain models engraved in copper, erhielt. Der Mann bezeigt eine besondere Freundlichkeit für mich, schreibt mir aber zwei Dinge zu, die mir gar nicht gehören: »B. v. H-t. was the first, who constructed photographic images of the moons surface, from which he calculated the heights of the mountains.« In dem dritten, ganz astronomischen Theile des Kosmos kann wohl nichts dieses Mißverständniß veranlaßt haben. Ich habe mich nie photographisch mit dem Monde beschäftigt, denn die Methode, die Höhe der Mondberge durch die Länge des Schattens zu messen, gehört dem Astronomen Schröter in Lilienthal und ist als sehr unvollkommen, von Olbers durch die Methode der Lichtgrenze ersetzt worden. Eine andere Behauptung von E. deutet aber geradezu auf das Entgegengesetzte der von mir seit 30 Jahren und jetzt geäußerten Meinung. Es steht als Inschrift über einem sehr saubern, sehr zu belobenden Kupferstich: Specimen of Topography, representing the moon and improved style, recently introduced by the Suggestion of Baron von Humboldt. Dies Specimen giebt den Bergen eine Seitenbeleuchtung und ist der senkrechten Beleuchtung der Lehmann’schen Methode, die ich in allen Karten meines Atlas seit 1817 befolgt habe, ganz entgegengesetzt. Mit senkrechter Beleuchtung habe ich herausgegeben in Paris 1817 den Vulkan von Pichincha No. 27, das Tafelland von Antisana No. 26, Jorullo No. 29 und 30, die Cordilleren am Ursprung des Magdalena-Flusses No. 24. Was Herr E. die neue Methode nennt, die der Seitenbeleuchtung, ist gerade die älteste französische, die vertikale Beleuchtung ist die neuere. Ich vertheidige diese letztere (die vertikale Beleuchtung) in Gemeinschaft mit Arago seit 30 Jahren, als die, allen Gebirgsabhängen gleichzeitig genügende Lehmann’sche Darstellung, bin aber nicht so intolerant, mit Männern feindlich zu hadern, welche die entgegengesetzte Meinung haben. Der kranke König hat sich bei mir mehrmals und immer auf das Freundlichste nach Ihnen erkundigt. Seine Genesung ist allerdings im Fortschreiten seit den letzten Wochen, aber die Fortschritte sind langsamer, als wir wünschen. Ich gehöre zu den wenigen Personen, die er oft (mehrmals in der Woche) sieht.
Gott gebe seinen Segen Ihren Unternehmungen. Empfehlen Sie mich auf das Freundlichste dem Commandeur Ihrer Expedition, dem Herrn Lieutenant Ives. Meine Kräfte nehmen langsam ab.
Mit inniger Anhänglichkeit und Freundschaft Ihr
Alexander von Humboldt
Berlin, den 18. Januar 1858«
Wenn ich es nun wage, diese Briefe meinem Werk einzuverleiben und vertrauensvoll der Öffentlichkeit zu übergeben, so geschieht es, um darzulegen, wie Alexander von Humboldt, selbst auch dann noch, als eine merkliche Abnahme der Kräfte ihn beständig an sein nahes Ende mahnte, sich geistig an allen Forschungsreisen beteiligte und mit lebhaftem Interesse auch die Arbeiten der Colorado-Expedition verfolgte. Für mich selbst war diese Teilnahme wie ein freundlicher Schimmer, der auf meinen rauhen Pfaden durch die unwirtlichen Wildnisse des Fernen Westens ruhte. Durch die Vorrede, mit der Alexander von Humboldt mein erstes Reisewerk schmückte, halte ich mich berechtigt, die Beschreibung dieser meiner dritten Weltreise, die ich auf ausdrückliches Gutheißen meines erhabenen, dergleichen Unternehmen stets begünstigenden Königs, durch die Vermittlung Alexander von Humboldts und ausgerüstet mit dessen weitreichenden, mit dem edelsten Wohlwollen ausgestellten Empfehlungen unternahm, ebenfalls mit seinen eigenen Worten beginnen zu dürfen, um so mehr, als dieselben in so naher Beziehung zu der Reise selbst stehen.
Obgleich Alexander von Humboldt, gemäß des ersten Briefes, »nicht an ein Wiedersehen glaubte«, so wurde mir doch das große Glück zuteil, nach dreizehnmonatiger Abwesenheit die Erfolge meiner Reise vor ihm niederlegen zu können und von ihm, nach Einsicht meiner reichhaltigen Sammlung von Skizzen und bildlichen Darstellungen, die wärmste Aufmunterung zu dieser Arbeit zu erhalten. Die Ausführung derselben betrachtete ich gleichsam als ein heiliges Vermächtnis des Dahingeschiedenen und seines königlichen Freundes.
Schon am Schluß meines ersten Werkes habe ich mich über den Zweck und die einzuschlagende Richtung der Colorado-Expedition ausgesprochen; im Einleitungskapitel dieses Buches dagegen gebe ich in gedrängter Kürze eine übersichtliche Beschreibung der von der Expedition berührten Punkte und Territorien. Es bleibt mir also noch übrig, zu erwähnen, daß ich es mir zur Aufgabe gemacht habe, in den nachfolgenden Blättern Naturschilderungen sowie hervorragende Erlebnisse und Begebenheiten mit den Reiseberichten und Beobachtungen eng zu verflechten, ohne dadurch die dergleichen Werken streng gebührende Wahrheit und Genauigkeit zu beeinträchtigen. Ich hegte dabei den Wunsch, es dem Leser zu erleichtern, sich in Gedanken der Expedition nicht nur zuzugesellen, sondern sich auch in allen Lagen bei derselben heimisch zu fühlen, sei es nun, wenn beschäftigt mit ernsten Arbeiten und mühevollen Forschungen in starren Wildnissen oder auf der fröhlichen Wanderung durch grünende Landschaften, sei es inmitten einer das Gemüt erhebenden Naturumgebung oder im Kreise