Der Erbe…und die Glücksritter
Historischer Roman
Parabel über die Leichtigkeit des Seins
Von Sybille A. Schmadalla
Mit leichtem Herzen und frei von aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter war.“Hans im Glück – Märchen, Gebrüder Grimm
Begegnung mit Uma
Das Flugzeug war in Stockholm Arlanda gelandet. Hans Glück war die Gänge bis zur Gepäckausgabe im Pulk der übrigen Passagiere mitgetrabt hatte seinen Trolley vom Band gehoben, den Ausgang ‚nothing to declare‘ passiert und suchte jetzt einen Autoverleih. Parker Grand hatte ihm eine Adresse in Kapellskär bei Stockholm genannt. Umas Mutter stammte aus diesem Ort. Anfang der 1960iger war sie mit Uma zurück nach Schweden. Ob Uma dort noch wohnte? „Please sign here“ sagte die junge Frau und tippte mit dem Zeigefinger auf eine Zeile am Ende des Formulars, mit der andern Hand reichte sie ihm einen Kugelschreiber. Sie legte seinen Führerschein und die Kreditkarte auf die Theke, trennte den Durchschreibesatz auf, faltete Papierbögen, stopfte alles in ein Art längliches Kuvert und reichte dies zusammen mit dem Wagenschlüssel zu ihm herüber. Routiniert, wie eine Bandansage spulte sie den hundertmal gesagten Text ab: „Please follow the signs ‚Car deck‘. You will find your car at parking lot level three. It’s a Volvo S 60 in silver; license plate number is on the key, so you can’t miss it. Please remember to fill up the gas, when you are returning the car.” Erneutes Lächeln „Have a nice trip, Sir“ Er nickte, steckte die Schlüssel ein und machte sich auf den Weg. Im Fahrzeug musste er mit dem Navigationssystem etwas experimentieren, er wählte das deutsche Flaggensymbol, dann war das Navi umgestellt. Da er keine vollständige Adresse hatte, tippte er den Ort ein. Jetzt erschienen Kappelskär und die gesamte Route auf der einen Seite des Bildschirms und die ersten 100 m aus dem Parkhaus auf der anderen Seite. Auf Deutsch ertönte die Ansage „Fahren Sie nach der Ausfahrt die nächste links, Richtung Norrtälje“.Er war müde. Es ging kein direkter Flug von Fairbanks oder Nome in Alaska, er musste über Chicago nach Stockholm fliegen. Er hatte jetzt fast 16 Stunden in Fliegern und auf Flughäfen verbracht. Im Flugzeug hatte er zwar geschlafen, aber es steckte ihm auch die Zeitverschiebung in den Knochen. Der Flughafen lag 45 km außerhalb Stockholms und nördlich der Stadt. Die Landschaft ähnelte den Weiten Alaskas, allerdings gab es deutlich mehr Besiedlung als in Alaska, für europäische Verhältnisse eher eine geringe. Weite Wälder gesprenkelt mit ersten gelben und roten Farbtupfern des Herbstes, weiße Birkenstämme leuchteten, dazwischen einige blaue Seen. Das Navi zeigte 75 km und etwas mehr als eine Stunde Fahrzeit, Europastraße E18, keine Autobahn. Am Straßenrand ein weißes Schild „MAX“: Er verstand, dass er an der nächsten Ausfahrt einen Burgerladen ansteuern konnte. Er hielt und kaufte einen Hamburger, Pommes und den größten Kaffeebecher, den es gab, und zahlte mit Kreditkarte, denn Schwedenkronen hatte er nicht gewechselt. Am späteren Nachmittag erreichte er Kappelskär, die gut ausgebaute Europastraße endete quasi in einem Hafen, um genau zu sein in einem Fährterminal. Gigantisch breite Straßen, aber weit und breit kein Ort. Wegweiser mit Abfahrtszeiten, Brücken mit Anzeige des Zielortes, er las Paldiski-Estland und sah etliche Fahrspuren auf denen viele riesige LKWs, einige Wohnmobile und PKWs und zwei einsame Motoradfahrer auf Abfertigung warteten. Naantali (Finnland), Turku (Finnland), Marienhamn (Aland) stand auf den Brücken, dahinter Molen und Anleger, die auf Schiffe warteten, die am Abend ihre Fracht anlandeten, Autos und LKWs entluden, um sofort wieder beladen zu werden und am gleichen Abend wieder in See zu stechen. Männer mit Schutzwesten in rot oder gelb mit Leuchtstreifen. Gelbe Schutzhelme thronten auf Köpfen, es wurde in Walkie Talkies gesprochen und mit Handzeichen Fahrzeuge in Spuren gewiesen. Darüber das Surren von Hafenkränen, die Ladung hoben, ein Schwimmbagger im Meer, Lotsenboote dümpelten an der Mole, ein Feuerschiff lag vertäut. Kapellskär schien nur aus dem Hafen zu bestehen. Er fuhr zu einem der Männer, ließ die Scheibe herunter und erkundigte sich, wo es denn in den Ort ginge. Der Mann gab Auskunft, offenbar war Hans nicht der erste, der hier gelandet war. Tatsächlich lag der Ort hinter dem Hafen. Er folgte der Beschreibung, fand den Weg in einen kleinen Ort, wenige Häuser entlang der Straße. ICA prangte an einer Fassade, der Dorfladen. An der Kasse saß eine Frau vielleicht Mitte dreißig, Haare in rot. Hier erkundigte er sich nach Uma Dalsberg. Zwei Kolleginnen kamen dazu, als sie seine auf Englisch formulierte Frage hörten. Hier kannte jeder jeden, denn alle schienen Bescheid zu wissen. Die Rothaarige gab sofort Auskunft, nannte ihm eine Adresse, und als sie ahnte, dass er sie nicht verstand, schrieb sie ihm die Adresse auf einen Zettel – währenddessen die Kolleginnen ihn beäugten. Uma Dalsberg lebte im alten Hafen. Anbatsvägen 18 tippte er ins Navi, 1,8 km trennten ihn nur noch von seinem Ziel! Vor Monaten hatte seine Suche begonnen. War er hier jetzt wirklich richtig? Sein ganzes Leben war auf den Kopf gestellt worden. Ja, er selbst war ein anderer geworden. Bedauerte er das? Nein, er wollte nichts missen! Und jetzt war er gespannt auf Uma Dalsberg. Der alte Hafen wirkte verlassen, marode. Verwitterte Bohlen markierten ehemalige Lagerstätten. Abblätternde Farbe an zusammengesunkenen Holzhallen, halbhohes Gras, Blumen, vom Wind bewegt. Eisenbahnschienen voller Geröll. Er hielt vor einer großen Halle, die teils aus Ziegeln und teils aus Holz bestand. Hölzerne Schiebetore oben und unten auf Eisenrollen gelagert, versetzt dahinter ein Ziegelvorbau im Stil der 50iger Jahre, halbrund mit Flachdach und umlaufender Fensterfront. Ein Steg führte zum Wasser, Felsformationen, flächige Steine, glattpoliert von den Muränen der Eiszeit führten zu einem steinigen Strand. Er hatte den Motor abgestellt. Stille – Sonnenschein glitzerte auf Wellen, die flach aufliefen und im Rückzug ein Geräusch im Kies verursachten, der sich im Rhythmus der Wellen bewegte - hin und her. Eine Brise wiegte vertrocknete Schilfhalme.Aus der Halle klang Popmusik. Er stieg aus. Parker Grand hatte ihm gesagt, dass Parkers und James Halbschwester Uma Dalsberg einige Jahre älter war als er. Wo mochte hier eine ältere Frau mit über sechzig Jahren leben? Weit und breit gab es kein Holzhäuschen. Er beschloss, in der Halle bei den Arbeitern nachzufragen. Zweifelsohne war das hier eine Werft oder ein Reparaturbetrieb. Am Rolltor angekommen blickte er in die Halle. Zu seiner Überraschung standen überall Leinwände, am hinteren Ende ein Bild 3 x 5 m, das nichts anderes zeigte als den Ausschnitt einer blühenden Sommerwiese. Grüns wurden von roten Klatschmohnblüten zum Leuchten gebracht, oder war es umgekehrt? Gelbe, weiße, bläuliche und violette Blüten wechselten mit Gräsern in grünen, gelblichen und bräunlichen Tönen. Großformatige Bilder, die Moose, Wasser, Wellen, Steine, Baumrinden oder andere Motive aus der Natur wie mit der Lupe vergrößert zeigten. Der Boden der Halle war über und über bedeckt mit alten Teppichbodenresten, vielfältige Muster, vielfarbige Versatzstücke. Die Flicken mäanderten über die Weite der Fläche des Raumes. Vor seinen Füßen lief die Schiene des Rolltors, und dahinter war Steinboden, die Schichten von den Teppichbodenresten sollten wohl die Kälte des Bodens mildern. Im hinteren Teil gab es eine Küchenzeile und ein Sofa, flankiert von einem Ohrenbackensessel und einem Beistelltisch voller Kaffeebecher und Gläser. Eine Bewegung hatte sofort seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. In der Halle schaukelte eine Gestalt in einem ehemals weißen Overall, der hunderte Farbspuren trug. Die Schaukel war mit Seilen an der Hallendecke befestigt. Der Overall ließ ihn an Krimiserien denken, wenn die Spurensicherung unterwegs war. Die Gestalt hielt eine Spritze, wie er sie aus der Gartenarbeit kannte, um Schädlinge zu bekämpfen, und immer wenn sie sich mit der Schaukel auf die Leinwand zu bewegte, setzte sie einen Sprühnebel aus zartem Grau auf die gewaltigen, farbigen Flächen, die er als Herbstwald interpretierte. Aufsteigender Abendnebel oder abziehender Morgennebel? Verhüllung oder Enthüllung des strahlenden Herbstes? Er stand im Tor, die späte Nachmittagssonne wärmte seinen Rücken und zeichnete einen langen Schatten auf den mäandernden Teppichen. Der weiße Irrwisch sprang von der Schaukel, offenbar war Hans bemerkt worden. Mit einer Handbewegung wurden Kapuze und Schutzbrille vom Kopf gezogen, die Spritze unter den Arm geklemmt. Ein munteres „Heido“ erschallte, gefolgt von ein paar schwedischen Worten, die er nicht verstand. Ein mit viel grau durchsetzter Kurzhaarwuschelkopf war unter der Kapuze hervorgekommen. Eine ältere Frau. Die Haare standen entlang einiger Wirbel in alle Richtungen ab. Lachfalten um zwei flinke Augen, großer Mund, große Nase, heller Teint. Sie hatte Ähnlichkeit mit Parker Grand, fiel ihm auf. „Sorry I don‘t speak Swedish“ erwiderte er ihren Gruß.„Are you an art dealer?” erwiderte sie mit Hoffnung in der Stimme. Klar konnte sie problemlos auf Englisch umstellen, schließlich war sie in Alaska aufgewachsen, einige Jahre dort zur Schule gegangen.„Are you Uma Dalsberg?“Sie