Anna-Irene Spindler
Die Frau vom Schwarzen See
Geschichte einer Auswanderin
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Inhaltsverzeichnis
Ein Tag später - Ende April 1872
Wieder einen Tag später – Ende April 1872
Wieder vier Tage später - Juni 1872
Am Abend desselben Tages – Juni 1872
Geschichte einer Auswanderin
„Das Jahr 1848 öffnete das Tor für die Einwanderer
vorübergehend weit –
es sollte sich bis 1914 nie mehr ganz schließen.
Innerhalb von sechs Jahrzehnten wanderten
beinahe 400 000 Menschen
aus den böhmischen Ländern aus.“
Josef Poli š ensk ý
(„Tschechische und Deutschböhmische Auswanderung nach Amerika“)
Für meine Großmutter Marie Pangerl und meine Mutter Maria Mundl.
Schon als kleines Kind haben sie mir Geschichten aus dem Böhmerwald erzählt. Vom armseligen Leben der Kleinhäusler und auch davon,
dass die Einwohnerschaft ganzer Dörfer
gemeinsam nach Amerika auswanderte und
nur die Alten zurückblieben.
3. Februar 1870
Mit einem energischen Ruck zog sie den Knoten fest. Das karierte Tuch aus fester Baumwolle, das sie sich bei der Küchenarbeit immer als Schürze umband, enthielt ihre gesamten Habseligkeiten. Zu einem Bündel verschnürt lag es jetzt vor ihr auf dem Bretterboden der winzigen Kammer. Im schwachen Licht der flackernden Kerze sah sie sich noch einmal um. Vier Jahre hatte sie in dem Zimmerchen gehaust. Jetzt sah es genauso kahl aus wie an dem Tag, als ihr die Großmagd die Schlafstelle zugewiesen hatte. Mühsam richtete sie sich auf. Zwei Unterleibchen, zwei Unterröcke, eine Bluse, zwei Röcke und das gute Sonntagskleid, lange Unterhosen und zwei Paar Strümpfe hatte sie über einander angezogen. Eine derbe Lodenjacke, ein großes wollenes Kopftuch und klobige Lederstiefel, die über die Knöchel reichten, vervollständigten ihre Kleidung. Was sie am Leibe trug konnte ihr nicht gestohlen werden. Außerdem schützten die vielen Schichten gegen die klirrende Februar Kälte und den schneidenden böhmischen Wind. Sie tastete über ihren Bauch. Überprüfte, ob der Leinenbeutel festsaß.
Gestern war Lichtmess gewesen. Da hatte sie ihren Lohn bekommen. In diesem Jahr war es noch viel weniger als sonst. Denn nach alter Tradition hatte ihr die Bäuerin als Teil der Entlohnung ein Paar neue Winterschuhe spendiert. Geld war ihr zwar immer lieber gewesen als Naturalien, aber in ihrer Lage waren die derben Schuhe mit dem groben Profil ein wahrer Segen. Die mageren Ersparnisse der vergangenen zehn Jahre steckten nun zusammen mit ihren Ausweispapieren und dem Dienstbüchlein in dem Beutel, den sie sich mit zwei starken Bändern um den Leib gebunden hatte.
Sie schloss kurz die Augen. Dann atmete sie tief ein, blies die Kerze aus und öffnete vorsichtig die Tür. Angestrengt lauschte sie. Aber nichts war zu hören. Das ganze Haus lag in tiefstem Schlummer. Leise machte sie die Tür wieder zu und klemmte die Lehne des Stuhls unter die Klinke. Nur für den Fall, dass der Bauer heute Nacht schon die Idee