Arik Steen
Serva I
Götteropfer
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Inhaltsverzeichnis
Prolog
Hafenstadt Airavata,
im Lager der Manis vor den Toren der Stadt
Acht Jahre vorher ...
Seit gut drei Tagen regnete es in Strömen. Die Erde war durchnässt und der sonst so trockene Boden hatte sich vollgesogen wie ein Schwamm. Müde stapfte ein manischer Krieger über den schlammigen Boden. Sein Wachdienst war beendet und er hatte nur noch ein Ziel: das wärmende Feuer an dem seine Gruppe lag.
«Da bist du ja, Eydir!», murmelte eine dunkelblonde Kriegerin. Ihre Hand drehte einen Spieß über dem Feuer. Ein knuspriges Hühnchen war daran aufgesteckt. Der Geruch stieg dem Krieger mit dem Namen Eydir direkt in die Nase: «Ja, da bin ich. Bei den Göttern. Kann es nicht aufhören zu regnen? Wir holen uns noch alle den Tod. Und das nicht durch das Schwert oder einen Pfeil eines Shiva!»
«Gottverdammt, so schnell stirbst du nicht!», meinte die Kriegerin und drehte in Seelenruhe das gut riechende Federvieh.
Eydir starrte den Vogel für einen Moment lang an. Eigentlich, so dachte er sich spöttisch, hatte es das Vieh gar nicht so schlecht. Es hatte das Leben hinter sich. Er hatte keine Ahnung, ob seine Seele nach dem Tod ebenfalls hinauf zur Ewigen Sonne gefahren war um dort neben Gott Regnator zu speisen. Aber verflucht, es hatte es wenigstens warm. Natürlich waren die Gedanken nicht ernst gemeint. Auch Eydir hing an seinem Leben. Aber dieser sinnlose Krieg und dieses Ausharren während der Belagerung von Airavata, der nördlichen Hafenstadt der Shiva, nein, das war nichts, was das Leben bereicherte. Er hatte sich den Krieg ohnehin anders vorgestellt. Heldenhaft und abenteuerlich. Aber er war keins von beiden. Es war einfach nur ein mieser sinnloser Kampf zweier Völker. Einer der beiden Könige würde gewinnen. Aber all diese Krieger, egal auf welcher Seite sie standen, sie waren allesamt Verlierer. Das war ihm längst klar.
«Setz dich, Bruder!», meinte Thores. Er war ein Jahr älter als Eydir. Und im Grunde war er der Grund, warum sie in den Krieg gezogen waren. Er hatte immer von der großen Schlacht geträumt. Und vor allem davon als Held zurückzukehren. Doch Eydir war längst klar, dass man als Held erst einmal eines tun musste: zurückkehren. Wer als Draufgänger ganz vorne mitkämpfte und den Helden spielte, der hatte im Grunde auch keine Chance ein Held zu werden. Sang und klanglos ging er auf dem Schlachtfeld unter, lag im Staub und war einer von vielen. Nein, der romantische Gedanke eines heldenhaften Ruhms blieb ohnehin jedem Soldaten verwehrt.
«Wo habt ihr überhaupt diesen Vogel her?», fragte Eydir mit hungrigem Blick auf das Federvieh. Das Fett tropfte ins Feuer, es zischte und roch angenehm verbrannt.
«Gestohlen. Bei einem Bauern!», meinte Thores. Er war bekannt dafür auch mal selbstständig das Lager zu verlassen und die Gegend zu plündern. Schon seit gut zwei Monaten lagen sie hier vor Airavata. Keiner der manischen Soldaten wusste, dass der König gefallen war. In der Seeschlacht um die Hasting Inseln. Die Schlacht um die wertvolle Inselgruppe, auf der man sehr viel Gold und Silber finden konnte, war dennoch für die Mani gewonnen. Prinz Leopold, der einzige Sohn des Königs, hatte es zu Ende gebracht. Die Shiva im Mittleren Meer hatten kapituliert. Der baldige König Leopold hatte den Krieg für beendet erklärt. Doch die Nachricht war noch nicht nach Airavata zu den Truppen vorgedrungen. Und so hielt man hier tapfer die Stellung. Und auch in der Stadt der Shiva wusste man noch nichts vom Ende des Krieges.
Eydir setzte sich zu der Kriegerin. Er hatte sie hier kennengelernt. Eine manchmal etwas derbe Frau, die mit Flüchen nicht gerade sparte. Sie hieß Elena und war eine ausgezeichnete Kämpferin. Das hatte sie oft bewiesen. Aber sie war auch zynisch und teilweise wirkte sie verbittert.
«Haben wir noch Bier?», fragte Eydir.
Elena schüttelte den Kopf: «Nein. Und das wird es auch so schnell nicht geben. Seit gut einer Woche ist kein Schiff mehr von Manis hierhergekommen um uns zu versorgen. Gerade so als hätten sie uns vergessen!»
«Gestern hatten wir noch Bier!», murmelte Eydir.
Sein Bruder Thores nickte: «Weil ich noch drei Krüge versteckt hatte. Aber die sind in der Zwischenzeit leer!»
«Und gottverdammt!», sagte Elena: «Die Krüge wären viel schneller leer gewesen, wenn ich sie nicht ständig heimlich nachgefüllt hätte. Hast du es nicht herausgeschmeckt? Ich habe mich drei Mal draufgesetzt und mich erleichtert!»
Eydir schaute sie entgeistert an, fasste sich aber dann schnell. Natürlich machte sie nur Witze. Ziemlich schlechte sogar, aber dafür war sie bekannt.
«Du kannst mal an meinem Schwanz lutschen, du Luder!», schimpfte Thores. Er fasste sich an den Schritt.
«Versuch es ruhig. Ich beiße ihn dir ab, Arschloch!», konterte sie und nahm dann den Vogel vom Feuer.
Eydir schüttelte genervt den Kopf. Seit gut einer Woche stritten die beiden sich immer wieder. Die lange Belagerungszeit zehrte an den Nerven. Der Regen gab ihnen den Rest.
Elena wollte gerade anfangen den Vogel zu zerlegen, als ein gellender Schrei die Nachtruhe störte. Sofort sprangen alle zu den Waffen. Das gebratene Hühnchen flog in den dreckigen Schlamm.
«Bei den Göttern. Sie greifen an!», schrie Eydir erschrocken und starrte auf die heranstürmenden Soldaten der Shiva.
«Lasst uns diese dreckigen Bastarde in die Ewige Verdammnis schicken!», schrie Elena. Mit ihrem Schwert in der Hand rannte sie auf ihren ersten Gegner zu und streckte ihn nieder.
«Du kennst die Regel? Wer die wenigsten Shiva erledigt, der zahlt die erste Runde, wenn wir zurück in unserer Hauptstadt Hingston sind!», schrie Thores laut.
Eydir schlug mit seinem Schwert den Arm eines Gegners ab. Mit Entsetzten stürzte dieser auf die Knie. Vollgepumpt von Adrenalin war er gar nicht in der Lage zu verstehen, dass sein Arm fehlte. Und er würde es auch gar nicht mehr mitbekommen. Eydir trennte ihm sauber den Kopf ab.
«Bist du dabei?», fragte Thores wie beiläufig.
Eydir schaute sich wutschnaubend um. Immer mehr feindliche Soldaten kamen angerannt: «Bei was?»
«Na, bei unserer Wette!»
«Fick dich!», rief Eydir zurück. Nein, auf solche Spielchen hatte er keine Lust. Hier ging es ums Überleben.
Es war ein trauriger Kampf, der sich knapp eine halbe Stunde hinzog.