Roland Pauler
Karl der Große: Heiliger Bigamist und Brudermörder
Kuriositäten aus drei Jahrhunderten Geschichtsforschung
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Inhaltsverzeichnis
Der Bruderstreit in Quellen und Forschung
Die Ehe zwischen Karl und der Desideriustochter
Verzeichnis der zitierten Quellen und Literatur
Vorwort
Dieses eBook ist geschrieben für geschichtsinteressierte Leser und Fachleute. Da ich Forschungsergebnisse aus drei Jahrhunderten in Frage stelle und widerlege, muss ich meine Argumentation belegen. In einer auf Papier veröffentlichten geschichtswissenschaftlichen Publikation würde ich Fußnoten setzen, doch solche können bei der Formatierung dieses eBooks nicht erstellt werden. Ich habe deshalb kurze Verweise auf Quellen und Literatur in Klammern in den Text aufgenommen. Detaillierte bibliografische Angaben finden sich im Verzeichnis der zitierten Quellen und Literatur. Zur schnelleren Nachvollziehbarkeit meiner Thesen für Fachleute habe ich die zentralen Quellen in einem Quellenanhang in der Originalsprache (Latein) beigefügt. Im Text selbst habe ich auf Lateinzitate weitgehend verzichtet. Es soll ja ein Buch für alle werden.
Aufrichtig danken möchte ich an dieser Stelle Rudolf Schieffer. Ohne seine Rezension über mein Buch: Karl der Große. Der Weg zur Kaiserkrönung (Deutsches Archiv Bd. 66, 2010, S.283 - http://www.digizeitschriften.de/de/dms/img/?PPN=PPN345858735_0066&DMDID=DMDLOG_0021&LOGID=LOG_0028&PHYSID=PHYS_0185#navi), wäre ich vermutlich nie auf den Gedanken gekommen, Quellen und Fachliteratur über Karls des Großen Ehescheidungen und den Bruderstreit nochmals genauer unter die Lupe zu nehmen. Er hätte die Notwendigkeit dafür nicht klarer zum Ausdruck bringen können, denn: Ein Streifzug durch die Forschung zu Karl dem Großen vermittelt den Eindruck, man erführe aus dieser Zuverlässigeres über die Geisteshaltung der Forschenden als über das Handeln des Herrschers. Das gilt natürlich auch für mein Buch und ist denjenigen längst bekannt, die sich ein wenig mit Theorie der Geschichtswissenschaft beschäftigt haben.
Karl der Zwiespältige
Mitten im Ringen mit Papst Alexander III. um den Vorrang im Römischen Reich ließ Friedrich Barbarossa 1165 Karl den Großen heiligsprechen. Der hatte das nicht nur als Begründer des abendländischen Kaisertums, sondern auch aus kirchlicher Sicht verdient. Wie kein zweiter Herrscher des Westens hat er sich für die Reinheit des Glaubens eingesetzt und sogar in religiösen, innerkirchlichen Fragen seinen Willen machtvoll zum Ausdruck gebracht.
Wilfried Hartmann (Karl, S. 171) stellt fest: „Aus all diesen Aktivitäten wird deutlich, dass Karl für sich beanspruchte, auch auf dem Gebiet dogmatischer Entscheidungen das letzte Wort sprechen zu dürfen.“ Ausführlicher beschreibt Rudolf Schieffer (Karolinger, S. 100) dessen Selbstbewusstsein als christlicher Herrscher: „Die Frankfurter Versammlung [794] ist nicht das einzige Anzeichen für die neue, universale Größenordnung, in die Karls Königtum um die Mitte der 790er Jahre hineinwuchs. Sie beruhte darauf, dass der Frankenherrscher inzwischen zum Gebieter über viele Völker geworden war, der kraftvoll das Christentum ausbreitete und für die Reinheit des Glaubens sorgte, den Mittelpunkt der literarisch gelehrten Welt des Okzidents bildete und von Papst Hadrian bereits als zweiter Konstantin gepriesen worden war.“
Seine führende Rolle in der Kirche bestätigen die Mahnungen, die Karl 796 seinem Bevollmächtigten Angilbert an das soeben erwählte Oberhaupt der Kirche, Papst Leo III., mitgab. Er sollte diesem nicht nur die Anerkennung als Papst auszusprechen, sondern ihn zu einem ehrenwerten Lebenswandel, zur Beachtung der heiligen Kanones und zum Einschreiten gegen Simonie (Kauf geistlicher Ämter) anhalten, die den heiligen Körper der Kirche vielerorts befleckt (Quelle 1). Karls Ermahnungen, die Alkuin, der brillantester Kopf und langjährige Leiter seiner Hofschule, formuliert hatte, könnten aus der Feder eines Reformers des Investiturstreits stammen. Auch diesen ging es um die Reinheit der Kirche und ihrer Würdenträger und um die Beachtung der Kanones als rechtliche Fundamente des christlichen Lebens.
Den Kenner der Literatur zu Karl dem Großen durchfährt es jedoch bei der Lektüre jener Anweisung: so ein Heuchler! Es mag ja noch angehen, dass ein weltlicher Herrscher von Geistlichen einen ehrenwerten Lebenswandel verlangt, selbst aber zahllose Konkubinen und uneheliche Kindern hat. Dass aber einer, der zur Beachtung der heiligen Kanones auffordert, aus politischen Gründen gegen das von ihm so hochgehaltene Kirchenrecht zwei Ehefrauen verstößt, um neu zu heiraten, zeugt von Skrupellosigkeit, unwürdig eines Heiligen. Es hat ihn dabei nicht einmal gestört, dass Papst Stephan III. ihm und seinem Bruder für den Fall einer Scheidung und Wiederverheiratung die Exkommunikation angedroht hatte! (Quelle 2, Absatz 3)
Und doch war es so, schenkt man den Werken der Karlsforschung seit mindestens dem 19. Jahrhundert Glauben. Diesen Makel haben Historiker des 20. Jahrhunderts ganz ähnlich gesehen und deshalb Karls erste Ehefrau, Himiltrud, zur Konkubine bzw. zur Friedelfrau herabgestuft. Der langobardische Geschichtsschreiber Paulus Diaconus, zeitweilig Gelehrter an Karls Hof, berichtet nämlich, aus Karls Ehe mit Hildegard seien vier Söhne und fünf Töchter hervorgegangen und vor dieser Ehe habe er von einem adeligen Mädchen namens Himiltrud den Sohn Pippin gehabt (Quelle 3). Bestätigt wird das durch Einhards Erzählung (Quelle 17).
In welcher Beziehung Himiltrud tatsächlich zu Karl stand, ist trotz dieser Aussagen ungewiss. Die beiden Nachrichten über Pippins uneheliche Geburt stammen nämlich aus der Zeit nachdem Karl ihn von der Herrschaft ausgeschlossen hatte (ca. 789). Es wäre also denkbar, dass die Autoren dessen Entscheidung den Anstrich der Rechtmäßigkeit geben wollten. Papst Stephan hielt Karl zur fraglichen Zeit für rechtmäßig verheiratet (Quelle 2, Absatz 2). Mittlerweile hat sich in der Forschung die Auffassung durchgesetzt, Himiltrud sei eine rechtmäßige Ehefrau des Frankenkönigs gewesen. (Martina Hartmann, Königin, S.97 f.; Hack, Alter, S. 65 f.; Wilfried Hartmann, Karl, S. 51. Zur Frage von Pippins Illegitimität ausführlich Hagn, Illegitimität, S. 98-107)
Sicher ist allein: Himiltrud war nicht Karls Friedelfrau. Die im Frühmittelalter so häufig praktizierte Friedelehe gibt es nämlich erst seit 1927. In diesem Jahr hat sie Herbert Meyer als ein Rechtsinstitut vorgestellt, unterschieden von der Muntehe durch das Fehlen der Munt (Schutzherrschaft) des Mannes über die Frau. (Meyer, Friedelehe) Diese These hat jahrzehntelang die prosopografische Frühmittelalterforschung beherrscht, ist aber mittlerweile schlüssig widerlegt. (Ebel, 1989 und 1993.)
Doch zurück zu den Ehescheidungen. Leopold von Ranke, einer der berühmtesten Historiker des 19. Jahrhunderts, behauptete