Christine Feichtinger
Vergängliche Licht und Schatten in den Uhudler Bergen
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Glücklicherweise leben wir in einer Zeit, die in unseren Breiten frei ist von den Schrecken des Krieges, aber unsere Urgroßeltern und Eltern haben ihn erlebt. Ein neues Europa ist entstanden, die Gesellschaft und mit ihr die Familienstrukturen haben sich verändert. Wem käme es heute noch in den Sinn, seine Eltern per Sie anzusprechen.
In meinem Buch schildere ich die Geschichte einer südburgenländischen Familie, die geprägt ist vom bäuerlichen Leben, von den Sorgen des Alltags, der Weltwirtschaftskrise, der Zwischenkriegszeit und den Wirren des Krieges sowohl an der Front als auch an der Heimatfront und von den kargen Nachkriegsjahren. Nachdem das Erreichen der Dörfer durch schlechte Straßen und zerstörte Brücken schwierig war, kam selbst das am 2. Juni 1948 unterzeichnete Marshallplan-Abkommen zwischen Österreich und der USA, wodurch Waren im Wert von etwas mehr als 1000 Millionen Dollar ins Land kamen, den Bewohnern der Grenzregion nicht zugute, sodass den geplagten Menschen nur das Wildern, der Schleichhandel und die Hamsterfahrten blieben, um ihre katastrophale Versorgungslage lindern zu können.
Dazu werden viele von Zeitzeugen seit Generationen überlieferten Ereignisse von unabdingbarer Treue und Ergebenheit, menschlichem Unvermögen, vielfach belächelten, unvergesslichen Legenden, Sitten und Gebräuchen, vielfach mit List, Bauernschläue und Humor gewürzt, wirklichkeitsnah und leicht verständlich als eine Art überliefernswertes Erbe weitergegeben und der Leser nachhaltig in die jüngere Geschichte des Burgenlandes entführt.
Und so ist auch die Sprache gehalten, die Anleihe nimmt am Dialekt und der Alltagssprache, wie sie früher üblich war. Zum Begriff „Zigeuner“ möchte ich erwähnen, dass ich mit diesem Wort niemand beleidigen will, sondern deshalb verwendet habe, um die Stimmung in Europa im 19. Jhd. möglichst genau zu vermitteln und „Zigeuner“ in der damaligen Schriftsprache gebräuchlich war.
Ein Blick in die Welt unserer Eltern und Großeltern öffnet auch den Blick auf die Gegenwart und lässt uns verstehen, warum und wie manches wurde und ist und dass wir nie aufgeben dürfen, für eine gute Zukunft zu arbeiten.
Rosenheim, Feber 1945
An einem wunderschönen, klaren, kalten Wintertag öffnete Irene Schmidt das Fenster des Lazaretts, in dem sie als Krankenschwester beschäftigt war.
Wehmütig beobachtete sie alle durch Bomben beschädigten Häuser, alle Ruinen, welche wie durch einen märchenhaften Winterzauber von einer weißen Schneedecke eingehüllt waren. Große Schneeflocken, vom eiskalten Wind in alle Richtungen geblasen, setzten sich auf den gefrorenen Schoß der Mutter Erde. In der Sonne glitzerten Schneekristalle auf der Schneedecke als wollten sie wie zum Trost die der Stadt vom Feind zugefügten Wunden mit einem weißen Leichentuch zudecken, für immer begraben und die trügerische Hoffnung schüren, dass nach der Schneeschmelze alles wieder unzerstört auftauchen würde, alles nur ein böser Traum gewesen sei und im Frühjahr unbeschadet, so wie seit ewigen Zeiten, neues, friedliches Leben sprießen könne.
Wie jedem anderen Betrachter schien auch Irenes Herz zu zerbrechen, wenn sie die Zerstörungen ihrer Heimatstadt Rosenheim durch den Feind ohnmächtig mitansehen musste. Seit 1942 hatten die Bombardierungen der Feinde ihrer Heimatstadt viele Schäden zugefügt, viele schmucke und wertvolle Bauwerke zerstört und viele unschuldige Menschenleben gefordert.
Abgemagerte, verbitterte, traumatisierte Menschen suchten in den Trümmern nach Essbarem oder Kleidung, streunende, herrenlose Tiere, Kleinkinder irrten herum. Alleinstehende Kinder hatten sich zu stehlenden und bettelnden Banden zusammengeschlossen, um zu plündern, trauernde Witwen und Mütter, Schwestern in alte Lumpen gekleidet, irrten mit humpelnden, blutenden Verwundeten und alten Menschen ohne Zukunftsperspektive herum, welche oft lieber tot als lebendig gewesen wären.
Ohnmächtig musste Irene zusehen, wie ihre Heimatstadt förmlich vor ihren Augen, beginnend mit 20. 10. 1944 von den Alliierten mit gezielten Angriffen auf die Zivilbevölkerung, Häuser und Straßen und als wichtiges Angriffsziel die Bahnanlagen, galt Rosenheim doch als wichtiger Schnittpunkt der Bahnverbindungen München – Salzburg – Wien und München – Innsbruck – Italien, zerstört wurde. Dort, wo früher Fabriken, zahlreiche Unternehmen, die Salzgewinnung mit vielen Beschäftigten, mit Gleisanschlüssen zum Bahnhof versehen waren, alteingesessene, seit Generationen bestehende Handwerksbetriebe ihrem Gewerbe nachgingen, Geschäfte, Ärzte, Apotheker, der wirtschaftliche Schwerpunkt im Süden Bayerns etabliert war, Promenaden mit Grünflächen, Villen, blühenden, pulsierenden Gassen, Einkaufsstraßen gelegen waren, tobte nun das Grauen und die Zerstörung, sodass die Stadt aus allen Wunden blutete.
Irene wünschte sich nichts sehnlicher, als dass dieser Albtraum zu Ende wäre. Wie gerne hätte sie das Elend hier in der Stadt, die zertrümmerten, rauchenden Ruinen, die Verwüstungen und Zerstörungen der Stadt in Schutt und Asche, Bombenangriffe als nicht geschehen und als ein böser Traum gesehen. Wenn sie die Not der Menschen, den Verwesungsgeruch, der den Menschen oft die Besinnung nahm, sodass sich alle ein Tuch vor dem Mund hielten, sah, überkam Irene das Grauen.
Ein Grünspecht in seinem schillerndem Gefieder hatte sich vor ihren Augen, Zuflucht suchend, auf einen, wie mit Puderzucker angezuckerten Baum ihr gegenüber gesetzt, genauso, als wolle er sie wie ein Bote vom Himmel aufheitern und ihre Sorgen zerstreuen. Beim Anblick dieses kleinen Geschöpfes traten unvermutet ihre glücklichen Kindheits- und Jugenderinnerungen an diese einstmals blühende Stadt vor Kriegsbeginn in ihr Bewusstsein.
Seit Kindesbeinen war sie glücklich gewesen, wenn sie mit ihren Eltern durch die pulsierende Stadt schlendern