Anton Weiß
Der ganz normale Wahnsinn
eines Lebens in der Ego-Haltung
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Inhaltsverzeichnis
1. Glück, Erfüllung und das gespaltene Ich
Vorstellungen und Erwartungshaltung
Ungebrochenes und gebrochenes Ich
3. Die Einseitigkeit des Ichs und das Unbewusste
5. Die dritte Ebene – das Bewusstseinsfünklein
Einführung
Noch nie war das Ich des Menschen so sehr im Mittelpunkt des Lebens der Menschen gestanden wie heute in der westlichen Gesellschaft. In früheren Zeiten war es für die Menschen selbstverständlich, dass sie sich ein- und unterordneten. Man ordnete sich der Kirche unter und man ordnete sich in ein Staatsgefüge ein. Die Gesellschaft war klar in ein Oben und Unten eingeteilt, wobei die Mehrheit unten und nur eine Minderheit oben war. Um zum „Oben“ zu gehören, musste man Adeliger, später Professor oder zumindest Doktor oder Pfarrer sein, d. h. etwas Besonderes, das einen über die Masse hinaushob. Heute gilt diese Einteilung in oben und unten nicht mehr, sie wird nicht mehr anerkannt, weil jeder etwas Besonderes zu sein beansprucht. Deshalb ist man auch nicht mehr bereit, sich ein- oder unterzuordnen. Der Mensch im Ich lehnt es ab, sich von jemand anderem sagen zu lassen, was er zu tun oder zu lassen hat. Wo er dazu gezwungen ist, wie es durch das Beachten der Gesetze geschieht, tut er es mit größtem Widerwillen, wie man es z. B. im Straßenverkehr sehen kann, und wer wirklich mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist, der sucht sich einen Anwalt, der mit allen Tricks versucht, das Opfer zum Täter zu machen und den Täter zu entlasten, und wenn es nur dadurch ist, dass er alkoholisiert und damit nicht voll verantwortlich war. Der Mensch im Ich ist überzeugt, allein entscheiden zu können, was er zu tun hat, was richtig oder falsch ist. Er braucht niemanden, der ihm das sagen müsste. Dadurch wird die Verbindlichkeit gesellschaftlicher Normen aufgebrochen, es gibt keine gemeinsamen Werte mehr, weil jeder seine eigenen Werte setzt. Jeder weiß selbst, wie er sein Leben führen will, und braucht und will es sich nicht von anderen vorschreiben lassen. Die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit steht an oberster Stelle in der Skala dessen, was dem heutigen Menschen wichtig ist. Das ist im Grunde der Demokratiegedanke. Das wird heute in einer Weise gelebt, wie es noch nie in der Menschheitsgeschichte der Fall war. Das Recht auf Selbstverwirklichung – oder, wie ich es als die richtigere Bezeichnung ansehe, auf Ich-Verwirklichung – wird nicht nur einigen wenigen wie früher zugestanden, sondern heute nimmt sie jeder in Anspruch. Jeder hat das Recht – und nimmt es sich auch – sich optimal zu entfalten.
Das wäre nicht zu beanstanden, wenn diese Ich-Verwirklichung nicht nur auf sich selbst bezogen wäre, sondern auch die Interessen des anderen berücksichtigen würde. Aber der Blick ist nur auf einen selbst gerichtet. Deshalb wird diese Ich-Verwirklichung, wenn radikal gelebt wie heute, zur Bedrohung, sowohl in der Beziehung der Menschen zueinander als auch im gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben.
Die Misere des menschlichen Lebens beruht nicht auf einer undurchschaubaren Vielzahl von einzelnen Faktoren, die das Leben ausmachen, sondern kann letztlich auf eine dominierende Größe zurückgeführt werden, nämlich das Ich, sowohl im Großen – in der Gesellschaft, der Politik, der Staaten untereinander – wie auch im Kleinen – der Partnerschaft, Familie und Beruf.
Dabei verstehe ich unter „Ich“ keine abstrakte Größe, sondern das, was jeder meint, wenn er „ich“ sagt.
Wenn ich nur meine eigenen Interessen verfolge, ohne mich darum zu kümmern, was das für Auswirkungen auf den anderen oder die Gemeinschaft hat, dann ist ein Zusammenleben kaum noch möglich. Diese Konsequenz kann man heute sehen: Noch nie lebten so viele Menschen in der westlichen Welt als Single wie heute. Die Unfähigkeit oder Unwilligkeit, mit einem anderen Menschen sein Leben zu teilen, ist die logische Konsequenz einer Einstellung, die nur die Interessen des eigenen Ichs verfolgt. Denn um eine Partnerschaft erfolgreich zu leben, d. h. dass beide Teile annähernd gleich viele Abstriche von ihren Eigeninteressen machen müssen, ist es notwendig, dass beide zu Kompromissen bereit sind, also zum Verzicht auf eigene Wünsche und Bedürfnisse im Interesse und zum Wohle des gemeinsamen Lebens.
Früher hat der Mann erwartet, dass die Frau auf ein eigenes Leben, d. h. auf ihre individuellen Bedürfnisse verzichtete, und sie war auch - mehr oder weniger freiwillig - bereit dazu. Heute ist das die Frau nicht mehr – mit Recht natürlich -, und der Mann tut sich sehr schwer, diese neue Rolle, d. h. die Anerkenntnis der Frau als gleichberechtigte Partnerin, zu akzeptieren. In einigen islamischen Ländern, z. B. in Saudi-Arabien, ist das heute noch nicht einmal im Ansatz zu erkennen: Frauen dürfen nicht Auto fahren und werden ausgepeitscht oder gesteinigt, wenn sie vergewaltigt wurden.
Das Ich – das Männliche ist dessen Repräsentant - anerkennt eigentlich nur sich selbst, und wenn zwei zusammentreffen, von denen jeder nur sich selbst gelten lässt und glaubt, dem anderen Vorschriften machen