Mangoknödel
Auf der Suche nach dem afrikanischen Glücksrezept
Nina Waitz
INHALTSVERZEICHNIS
WILHELM - PITZTAL 7
Kapitel 1 7
Kapitel 2 13
Kapitel 3 18
Kapitel 4 21
Kapitel 5 24
Kapitel 6 26
Kapitel 7 32
Kapitel 8 35
Kapitel 9 39
Kapitel 10 40
Kapitel 11 50
Kapitel 12 51
Kapitel 13 56
Kapitel 14 58
Kapitel 15 60
Kapitel 16 63
Kapitel 17 65
Kapitel 18 68
Kapitel 19 72
Kapitel 20 73
Kapitel 21 75
Kapitel 22 76
WILLY - GAMBIA 79
Kapitel 1 79
Kapitel 2 85
Kapitel 3 94
Kapitel 4 102
Kapitel 5 110
FATOU 112
Kapitel 1 112
Kapitel 2 116
Kapitel 3 118
Kapitel 4 123
Kapitel 5 127
Kapitel 6 130
WILLY UND FATOU 132
Kapitel 1 132
Kapitel 2 136
Kapitel 3 142
Kapitel 4 144
Kapitel 5 145
Kapitel 6 153
Kapitel 7 155
Kapitel 8 158
Kapitel 9 162
Kapitel 10 165
Kapitel 11 168
Kapitel 12 173
Kapitel 13 175
Kapitel 14 182
Kapitel 15 185
Kapitel 16 189
Kapitel 17 191
Kapitel 18 195
Kapitel 19 197
WILLY UND DAS DUMPLING PARADISE 202
Kapitel 1 202
Kapitel 2 205
Kapitel 3 211
Kapitel 4 216
Kapitel 5 218
Kapitel 6 220
Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit
einem gewissen Grad an Verrücktheit.
Erasmus von Rotterdam
Kapitel 1
Wilhelm steht am offenen Grab seiner Mutter und starrt hinunter auf den Sarg, der schon bald mit Schnee bedeckt sein wird. Er ringt mit sich selbst, er fühlt sich schuldig, denn er kann keine Trauer empfinden. Alles, was er in sich spürt, ist Befreiung, es fühlt sich an, als würde er fliegen, als wäre eine große Last von ihm genommen worden. Er kann es kaum erwarten, sich in sein neues Leben zu stürzen, mag es allen anderen auch noch so verrückt und unvernünftig vorkommen.
Er schaut sich um auf dem kleinen Friedhof in St. Leonhard. Hier ist das Pitztal, seine Heimat, besonders eng und dunkel. Drei Monate im Jahr schafft es die Sonne nicht, mit ihren wärmenden Strahlen zwischen den steilen Felswänden hervorzukommen. Dementsprechend kalt und lange sind die Winter. Wilhelm erschaudert ob der eisigen Kälte um ihn herum und auch in seinem Inneren. Sein Blick fällt auf die umliegenden Gräber. Sie sehen alle gleich aus. Ausnahmslos bestehen sie aus einem kleinen, mit grauen Ziegeln eingefassten Blumenbeet, dahinter befindet sich der Grabstein aus grauem Granit mit Inschrift – natürlich alle in der gleichen verschnörkelten Schriftart – und darauf steht ein schwarzes, schmiedeeisernes Kreuz. Aus der Reihe tanzen wird auch hier nicht gerne gesehen.
Alle Nachnamen auf den Grabsteinen sind Wilhelm ein Begriff, viele der Verstorbenen hat er selbst gekannt, von fast allen kennt er jemanden aus der Familie. Das Gemeindegebiet hat zwar eine Fläche von ungefähr 200 km2, jedoch besteht der Großteil aus steilem Gebirge und Felsen. Deshalb ist die Einwohnerzahl auch nicht besonders groß, in den drei Dörfern und unzähligen kleinen Weilern leben gerade mal 1400 Menschen. Und man kennt sich in St. Leonhard, schon seit Generationen. „Zuagroaste“ - Leute, deren Stammbaum nicht vorwiegend im Pitztal herangewachsen ist – gab es immer schon wenige. Das karge, enge Tal mit den langen, kalten Wintern und schwierigsten Arbeits- und Lebensbedingungen war nie sehr attraktiv für Zuwanderer. Deshalb blieb man unter sich im hintersten Pitztal.
Wilhelm wurde im Weiler „Neurur“ geboren, zu dieser Zeit, 1958, standen dort 8 Häuser, jetzt sind es sage und schreibe 23. Jedes dieser 8 Häuser war ein sogenannter „Hof“, ein Bauernhof einer Bauernfamilie, die seit Generationen hier in ärmsten Verhältnissen lebte und unter härtesten Bedingungen auf den steilen Wiesen ihre Felder bestellte und damit versuchte, sich und ihre Tiere durch die harten Winter zu bringen. Neben der Landwirtschaft konnte man damals ein wenig Geld im Fremdenverkehr dazuverdienen.
Auch Wilhelms Vater, Roman Neururer, dem Hofnamen nach „Zischgn-Roman“ genannt, war wie viele seiner Nachbarn Bauer und zusätzlich Berg- und Schiführer. Wenn er mit den „Fremden“, den Touristen, am Berg war, musste Wilhelms Mutter den Hof alleine bewältigen. Im Sommer die steile Wiese mähen und das Heu in den Stadel bringen, sobald es einmal nicht regnete, und im Winter den Stall und die Tiere versorgen. Mit dem kleinen Nebenerwerb vom Vater schlugen sie sich verhältnismäßig gut durchs Leben und konnten sich sogar den Luxus eines Fernsehapparats leisten, als der Empfang auch im hintersten Tal endlich möglich war, zwar noch mit Rauschen und natürlich schwarz/weiß, aber die „Zischgns“ fühlten sich in einem neuen Zeitalter angekommen.
Dann, am 2. März 1964 änderte sich alles – Wilhelm erinnert sich noch genau an diesen Tag, obwohl er erst 6 Jahre alt war. Er saß vor dem Fernseher, draußen schneite es wieder einmal wie wild. Doch in der Stube war es wohlig warm, der Kachelofen glühte beinahe. Plötzlich klopfte es, hämmerte es an die Türe – „Hartls Katie“, die Nachbarin mit der Poststelle und dem einzigen Telefon im Ort stand aufgelöst im Schneegestöber und stammelte zu seiner Mutter: „A Lena am Taschachferner“ – eine Lawine. Wilhelm wusste genau, was das war, schon als kleiner Junge. Im Pitztal wuchs man mit dieser in jedem Winter drohenden Gefahr auf. Jedes Jahr wurde die Bundesstraße durch die Schneemassen verlegt, und man war abgeschnitten vom Rest der Welt. Einmal ging sogar knapp neben ihrem Haus eine Lawine vorbei, Wilhelm spürte die gewaltige und machtvolle Druckwelle und hörte das unheimliche Rauschen schon Minuten, bevor er den Schnee ins Tal kommen sah. Dann starrte er wie gebannt aus dem Fenster und beobachtete, wie sich die irgendwie träge aber doch blitzschnelle weiße Masse ins Tal wälzte. Beinahe jedes Jahr starb jemand aus dem Bekanntenkreis in den Schneemassen – vor allem beim Tourengehen mit Touristen. Wilhelm hatte immer schon große Angst vor den „Lenen“.
An jenem Tag musste er nun zusehen, wie die Augen seiner Mutter immer glasiger wurden, wie die ersten Tropfen aus ihren Augenwinkeln hervortraten und über ihre