Dietrich Novak
Das Verlangen und der Tod
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Durch die sichere Aussicht auf den Tod könnte jedem Leben ein köstlicher, wohlriechender Tropfen von Leichtsinn beigemischt sein –
und nun habt ihr wunderlichen Apotheker-Seelen aus ihm einen übelriechenden Gift-Tropfen gemacht, durch den das ganze Leben widerlich wird.
Friedrich Nietzsche
Obwohl dieser Roman während der Corona-Krise entstanden ist, habe ich mich dazu entschlossen, dieses Thema nicht in die Handlung einfließen zu lassen. Da ich der Meinung bin, dass die Medien schon in ausreichender Form darüber berichten. Wir leiden alle unter den Folgen, doch ein Roman soll in erster Linie unterhalten und vom Alltag ablenken. Handelt es sich, wie in diesem Fall, um einen Krimi, fließt schon zwangsläufig genug grausame Realität ein, denn die Fantasie eines Autors wird mitunter von den realen Ereignissen übertroffen. Ich bin mir bewusst, dass einige Leser mit meiner Entscheidung nicht einverstanden sein werden, aber wie heißt es so schön? Wer die Wahl hat, hat die Qual. Und eines möchte ich keinesfalls – langweilen. Ich hoffe dennoch, dass die Krise bald überstanden sein wird und in ein paar Jahren nur noch eine schlechte Erinnerung daran zurückbleibt. In diesem Sinne: Bleiben Sie bitte gesund!
Dietrich Novak
im Mai 2020
Prolog
Der Mann betrachtete ausgiebig sein Spiegelbild. Er war kein Narziss im herkömmlichen Sinne, dazu kannte er zu genau seine kleinen Unzulänglichkeiten, aber er fand, für sein Alter konnte er sich durchaus sehen lassen. Und seine Kundschaft schien derselben Meinung zu sein. Bis auf die wenigen Ausnahmen, die in ihrer Geilheit alles nahmen, was sich ihnen bot. Seine Figur war nicht die eines Athleten und schon gar nicht die eines Bodybuilders, denn er war nicht bereit, Stunden seiner kostbaren Freizeit dem Krafttraining zu opfern. Er hatte das Glück, auch ohne viel Sport gut durchtrainiert zu wirken. Sein männlicher Körper, der kein bisschen effeminiert wirkte, kam bei der Kundschaft gut an, und zwar bei der weiblichen als auch der männlichen.
An diesem Tag hatte er nicht wie üblich lange geschlafen, sondern war schon recht früh durch das Telefon geweckt worden. Vor zehn Uhr nahm er grundsätzlich keine Anrufe entgegen. Seine Kunden wussten das – also ein Neuzugang oder wieder diese nervige Klette, die er einfach nicht losbekam. Aber wozu gab es eine Mailbox? Da passte eine Menge drauf. Er hatte ein erfrischendes, belebendes Bad genommen, sich mit duftender Körperlotion eingerieben und dann im Bademantel ausgiebig gefrühstückt. Als sein Handy dabei wiederum geklingelt hatte, wollte er den Anrufer verärgert zur Ordnung rufen, doch es war eine Stimme, die ihn davon abhielt. Somit hatte er heute schon etwas früher seinen ersten Termin.
Vor seinem großen Kleiderschrank überlegte er kurz, was er anziehen sollte. Businesslook, sportlich, ein bisschen versaut oder einfach nur leger? Er entschied sich für Letzteres, denn er meinte den Namen und die Stimme wiedererkannt zu haben. Es war zwar schon eine Weile her, aber in solchen Dingen hatte er ein gutes Gedächtnis, was in seinem Beruf durchaus hilfreich war.
Er war gerade in seine bequeme Freizeitkleidung geschlüpft, als es an der Tür läutete. Nach der Betätigung des Summers stand er lächelnd an den Türrahmen gelehnt.
>>Hat mich doch mein Gedächtnis nicht im Stich gelassen<<, sagte er grinsend.
>>Nach so langer Zeit kannst du dich noch erinnern?<< wunderte sich sein Gegenüber.
>>Es gibt eben Leute, die hinterlassen mehr Eindruck als andere.<<
>>Ich nehme das mal als Kompliment ...<<
>>Warum hat es so lange gedauert, bis du wiedergekommen bist?<<
>>Ich war beruflich ziemlich angespannt und auch länger krank.<<
>>Das tut mir leid, aber jetzt ist gesundheitlich wieder alles in Ordnung?<<
>>Ja, den Medikamenten sei Dank.<<
>>Möchtest du etwas trinken, oder wollen wir gleich zur Sache kommen?<<
>>Letzteres … Hier ist dein Umschlag. Du brauchst nicht nachzuzählen. Ich bin noch immer sehr großzügig.<<
>>Das freut mich. Dann zieh dich schon einmal aus. Oder soll ich das übernehmen?<<
>>Nein, aber ich möchte, dass du anfängst. Und zwar alles.<<
>>Kein Problem, dann hätte ich dir eigentlich gleich nackt öffnen können ...<<
>>Hättest du, ja. So gut kannst du dich also doch nicht erinnern. Übrigens – ich möchte nicht, dass du ein Kondom benutzt. Ist das ein Problem?<<
>>Nein, kostet aber hundert extra ...<<
>>Wie ich sehe, ist Safer Sex also für dich immer noch kein Thema?<<
>>Je nach Belieben. Jeder ist für sich selbst verantwortlich.<<
>>Dann nimm mich endlich in die Arme ...<<
>>Gern ...<< Sekunden später trat ein ungläubiges Staunen in sein Gesicht. Fassungslos spürte er einen intensiven Schmerz und sah Blut aus seiner Brust treten.
>>Warum hast du das gemacht?<< fragte er röchelnd.
>>Dreimal darfst du raten ...<<
1. Kapitel
Auf dem alten Friedhof mitten in der Stadt hielten sich in den frühen Abendstunden kaum noch Besucher auf. Ausnahmen waren zwei Frauen, die eine wesentlich älter als die andere, die sich in den letzten Tagen und Wochen schon öfter mal zugenickt hatten.