„Steh mir bei, Landsmann!“, sagte er in seiner Muttersprache, „um Schottlands und des heiligen Andreas willen! Ich bin unschuldig, bin Dein Landsmann! Steh' mir bei, wenn Du es nicht dereinst am Jüngsten Tag zu verantworten haben willst!“
„Beim heiligen Andreas!“, rief der Bogenschütze; „sie sollen nicht an Dich kommen, so lang ich lebe!“ Mit diesen Worten zog er sein Schwert.
„Mach mich von den Stricken frei“, sagte Quentin, „und ich kann mir allein helfen.“
Der Strick war schnell zerschnitten und Quentin sprang auf einen Schergen des Profoß los und entriss ihm die Hellebarde ...
„Und nun“, rief er, „kommt heran, wenn Ihr es wagt!“
„Reite Du dem Generalprofos nach!“, sagte Trois-Echelles zu seinem Gefährten Petit-André, „ich will sie einstweilen hier aufhalten. Soldaten von der Wache! Ergreift die Waffen!“
Petit-André bestieg sein Pferd und verließ den Schauplatz. Die übrigen Leute von dem Gefolge des Profos zogen sich auf Trois-Echelles Befehl eilig zusammen. Bei der daraus entstandenen Verwirrung entschlüpften die beiden anderen Gefangenen.
„Sagt mir doch“, wandte sich der Bogenschütze an den Scharfrichter, „was hat der junge Mensch denn eigentlich verbrochen?“
„Er hat sich unterfangen, den toten Körper eines Verbrechers abzunehmen, trotzdem der Baum, an dem ich ihn aufgehängt hatte, mit der Lilie bezeichnet war.“
„Junger Mann?“, sagte der Bogenschütze, „wie kommt Ihr dazu, solche Ungebühr zu verüben?“
„So wahr ich Euren Schutz wünsche“, antwortete Durward, „will ich Euch die Wahrheit sagen, wie meinem Beichtvater. Ich sah einen Menschen an dem Baum zappeln und schnitt ihn ab, aus bloßer Menschenliebe. Ich habe weder an die Lilie noch sonst eine Blume gedacht, oder gar, dass ich dadurch den König von Frankreich, oder unsern Heiligen Vater, den Papst beleidigte.“
„Aber zum Henker, was ging Dich denn der tote Körper an? Wo der Henker arbeitet, wirst Du dergleichen immer wie Äpfel an den Bäumen hängen sehen, und Du hättest wahrscheinlich hier zu Land viel zu tun, wenn Du hinter dem Henker eine Ährenlese halten wolltest. Ein Wort, Herr Gerichtsmann! Es ist ein Missverständnis, wie Ihr seht. Ihr solltet Mitleid haben mit einem so jungen Reisenden. In unserem Land ist er nicht gewohnt, dergleichen schnelle Prozedur, wie die Eure und die Eures Meisters, zu sehen.“
„Weil sie dort etwa nicht nötig wären? Nein! Herr Bogenschütze!“, sagte Petit-André, der in diesem Augenblicke zurückkehrte. „Nicht gezögert, Freund Trois-Echelles! Da kommt der Generalprofoß. Wir werden gleich sehen, was er dazu sagt, dass ihm das Werk aus der Hand genommen worden, eh' es noch vollendet war.“
„Da kommen auch zufällig ein paar von meinen Kameraden!“, versetzte der Bogenschütze. Wirklich nahten, als der Profos Tristan mit seiner Patrouille auf der einen Seite des Hügels heraustritt, der der Schauplatz des Streits war, vier oder fünf Bogenschützen auf der andern mit Balafré an ihrer Spitze auf.
In dieser misslichen Lage zeigte Lesley sich nicht gleichgültig; denn kaum hatte er bemerkt, dass er sich in einer Notsituation befand, rief er: „Cunningham, ich danke Dir! Kameraden! Steht mir bei! Es ist ein junger schottischer Edelmann, mein Neffe. Lindesay! Guthrie! Tyrie! Zieht und haut zu!“ Die Aussicht zu einem ungleichen Kampf zwischen den beiden Parteien war nun gegeben. Die Anzahl der Kontrahenten auf beiden Seiten war nicht gleich. Die besseren Waffen der Schotten würden ihnen jedoch zum Sieg verhelfen. Der Generalprofos, entweder, weil er den Ausgang des Gefechts fürchtete, oder weil er sich sorgte, es möchte dem König unangenehm sein, dass es zwischen seinem Profos und seiner Leibgarde zu Blutvergießen kommt, gab seinem Gefolge ein Zeichen, keine Gewalt anzuwenden. Er stellte aber Balafré die Frage, was er, als ein Ritter von der königlichen Leibwache damit bezwecke, sich der Hinrichtung eines Verbrechers zu widersetzen?
„Ich bezweifel, dass dem so ist!“, versetzte Balafré. „Beim heiligen Martin! Es ist doch ein Unterschied zwischen der Hinrichtung eines Verbrechers und der Ermordung meines eigenen Neffen!“
„Euer Neffe kann ebenso gut ein Verbrecher sein, wie jeder andere“, sagte der Generalprofos „und jeder Fremde ist den Gesetzen Frankreichs ebenso unterworfen, wie jeder andere Bürger Frankreichs.“
„Ja, aber wir haben Privilegien, wir schottischen Bogenschützen“, sagte Balafré; „ist dem nicht so, Kameraden?“
„Allerdings, allerdings!“, riefen alle zugleich. „Privilegien – Privilegien! Lang lebe der König Ludwig! Und Tod allen, die uns unsere Vorrechte schmälern wollen!“
„Aber seid doch vernünftig, Ihr Herren“, sagte der Generalprofos; „und bedenkt meinen Auftrag!“
„Von Euch nehmen wir keine Vernunft an!“, entgegnete Cunningham, „unsere eigenen Offiziere sollen uns Vernunft lehren. Wir wollen von des Königs Gnaden gerichtet werden, oder durch unseren eigenen Kapitän, da jetzt der Großkonnetable nicht zugegen ist.“
„Und von niemand gehängt werden“, sagte Lindesay, „als von Sandie Wilson, dem alten Profos von unserm eigenen Korps.“
„Aber so hört doch nur“, sagte der Generalprofos, „der junge Mensch hat mit Euch nichts zu tun, und kann keine Ansprüche auf Eure Privilegien nehmen.“
„Er ist mein Neffe“, sagte Balafré mit triumphierender Miene.
„Aber soviel ich weiß, kein Bogenschütze von der Leibwache“, versetzte Tristan l'Hermite.
Die Bogenschützen sahen zweifelhaft einander an ... „Nur standhaft, Vetter“, flüsterte Cunningham Balafré zu, „sprich, er sei bei uns angeworben.“
„Beim heiligen Martin! Du hast recht, Vetter!“ entgegnete Lesley, und mit lauter Stimme schwur er nun, dass er diesen Tag seinen Verwandten als Gefolgsmann angenommen habe. Diese Erklärung war ein entscheidender Beweggrund, und Profos Tristan, der des Königs Besorgnis vor einem Zwist unter seiner Leibwache kannte, brach mit seinen Leuten auf, während die Bogenschützen zurückblieben und eilig beratschlagten, was als Nächstes zu tun sei. „Vor allen Dingen“, hieß es, „müssen wir die Sache unserm Kapitän Crawford berichten und dann den Namen des jungen Menschen in unsere Liste eintragen lassen.“
„Aber, werte Freunde und Retter“, sagte Quentin, „ich habe mich ja noch gar nicht entschieden, ob ich bei Euch in Dienste treten will oder nicht.“
„Dann musst Du darüber eins werden, ob Du's tun oder hängen willst“, versetzte sein Onkel; „denn sonst, lieber Neffe, bleibt Dir wohl kaum ein Ausweg aus dieser Klemme übrig.“
Das war ein unwiderleglicher Beweisgrund, der Quentin in die Notwendigkeit versetzte, sich in eine Verpflichtung zu fügen, in die er sonst nicht gern gewilligt hätte.
„Jetzt zum Schloss!“, sagte Balafré; „unterwegs soll uns mein Neffe erzählen, wie er sich den Generalprofos auf den Hals gehetzt hat, damit wir wissen, wie wir unseren Bericht an Crawford einreichen müssen.“
Siebentes Kapitel.
Als sie vor dem Schloss ankamen, öffnete sich die kleine Pforte im Tor, und die Zugbrücke fiel. Einer nach dem andern ritt hinein; die Schildwachen aber kreuzten ihre Piken vor Quentin und befahlen ihm, anzuhalten. Von den Wällen herab spannten Bogenschützen ihre Waffen und zielten mit Arkebusen auf ihn. Obwohl der Jüngling in Begleitung des Korps und in Begleitung seines Onkels einritt, nahm die Schildwache auf ihrem Posten ihren Auftrag sehr ernst. Balafré neben ihm gab die nötigen Erklärungen ab. Unter starker Bewachung in Begleitung Balafrés und Cunninghams wurde Durward zu Crawford gebracht.
Crawford war schottischer Edelmann und einer der letzten Überlebenden jenes tapferen Stammes schottischer Lords und Ritter, die Karl dem Sechsten lang und treu in den blutigen Kriegen gedient hatten. Mit ihre Hilfe gelang die Unabhängigkeit der französischen Krone und die Vertreibung der Engländer. Schon als Knabe hatte er unter Douglas und Buchanan gefochten, hatte unter