Zaubertanz und weiser Funke
Zwei Novellen
neobooks, Oktober 2021
Copyright Anita Lang, Wien
Inhaltsverzeichnis
I. Wie ein Bissen Brot
II. Die schimmernde Tänzerin
1. bis 10. Kapitel
III. Felix und seine Heilsversprechen
1. bis 4. Kapitel
I. Wie ein Bissen Brot
Personal ist zur Ware geworden, zur Mangelware. Karin betrachtet die ihr Zugewandten vom Beifahrersitz aus.
„In Kürze werden wir in Wien ankommen. Einige von euch kennen die Patienten bereits.“ Pflegekräfte werden heutzutage gebraucht, wie ein Bissen Brot. Doris war Kellnerin.
„Macht es euch etwas aus, wenn wir per du sind?“ Scheint okay zu sein. „Doris, deine Patientin, achtundsiebzig, rüstig, in Währing. Ihr Gesundheitszustand hat sich nicht verschlechtert.“
„Gott sei‘s gepfiffen und getrommelt.“ Doris lächelt sonnig. Sie kennt die Gepflogenheiten, den Hausbrauch in der Villa. Ein angenehmer Auftrag.
Miriam hat früher Klaviere verkauft. Sie ist nach ihrer Ausbildung zum ersten Mal im Einsatz.
„Miriam, wir werden den ersten Tag gemeinsam arbeiten. Sondieren wir, was im Haushalt benötigt wird. Den Sollstand, sozusagen.“ Der alte Herr ist fünfundachtzig, Parkinson seit zehn Jahren. Kooperativ und geistig rege. „Gedächtnistraining nimmt er sehr positiv auf.“ Miriam ist sanft und ernst. Gelegentlich summt sie, wenn sie putzt. In der Ausbildung hat sie im März 2020 mit ‚sehr gut‘ abgeschlossen.
Ein wechselhaftes Aprilwetter, as usual, am Stadtrand von Wien sieht alles gleich aus. Die staubigen Metallplanken an der Autobahn lassen wir links liegen, wechseln die Spur an der Ausfahrt zur Bundesstraße. Den Abbiegestreifen eskortieren improvisierte, rot-weiße Schilder. Als Rauch aus der Kühlerhaube dringt, wird unsere Fahrt jäh unterbrochen.
„Jetzt wird’s brenzlig“, sagt der Fahrer. Abrupt lenkt er den Minibus an den Fahrbahnrand. Neben einer Leitplanke, die uns Gestrandete gegen die Böschung abschirmen soll.
„Bleibt bitte hier sitzen. Ich muss nachsehen, was da los ist.“ Herr Kerala schaltet die Warnblinkanlage ein und stellt den Motor ab. Rasch verlässt er das Fahrzeug und klappt geräuschvoll die Motorhaube hoch. Damit sich der Qualm in die Luft verziehen kann. Angeblich stehen die Sterne denkbar schlecht. Laut heutigem Radio-Horoskop stehen mir lästige, große Hindernisse bevor.
Wir sind auf einer zweispurigen Bundesstraße. Spärlich zeigen sich junge Laubbäume auf ausgeblichenem Rasen. Dahinter undurchdringliches Dickicht, wild wuchernde Sträucher, an welchen zarte Blätter sprießen. Von seinem Smartphone aus ruft er den Pannendienst. Eine angenehme, sonore Männerstimme gibt die Position durch. Versucht, alles in den Griff zu bekommen. Wir Reisende sitzen in diesem goldfarbenen Kleinbus fest. Vier Pflegekräfte haben sich in Linz am Sammeltreffpunkt, vor dem Viersternehotel nahe der A eins, eingefunden. Sie sollen unverzüglich zu ihren Patienten nach Wien, wo sie sehnlichst erwartet werden. Pietro war Fahrradbote in Salzburg.
„Pietro, du wirst das Ehepaar in Stammersdorf weiter betreuen.“ Zwei Jahre arbeitet er bereits für unser Dienstleistungsunternehmen. Acht Monate in dem Pensionistenhaushalt. Sie, ein zänkisches Weib, behäbig und renitent. Ihr Ehegatte ist flexibel, vernünftig und praktisch veranlagt.
„Mit ihm verstehe ich mich inzwischen bestens“, sagt der Betreuer. „Sie ist auch irgendwie auszuhalten. Man muss sie nur zu nehmen wissen.“ Beim Entblößen seiner Zähne kommt eine reizende Lücke zwischen seinen Schneidezähnen zum Vorschein. Wir können uns unsere Kunden nicht aussuchen. Siglinde war Gärtnerin, bevor sie zu uns kam.
„Siglinde, dein Auftrag ist klar. Das Seniorenheim in Brigittenau braucht Verstärkung. Die Belegschaft wird dich einschulen.“ Es ist ein Zeitauftrag, drei Monate, wenn’s hoch hergeht. Bringt lediglich siebzig Prozent ein, am üblichen Honorar gemessen.
„So, und was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Vormittag?“ Kerala hat seine silberfarbene Stoffmaske aufgesetzt und wieder auf seinem Fahrersitz Platz genommen. Er sieht Karin erwartungsvoll in die Augen. „Etwas Orientalisches“, sagt er. „Die Covid 19-Masken haben etwas Orientalisches an sich.“
„Da könnte ich dir Sachen erzählen“, sagt sie. „Du würdest staunen.“
„Na dann los. Wir haben Zeit. Wer weiß, wann die eintrudeln.“
„Ja, bitte erzähl doch“, sagt Siglinde. „Es würde uns sehr interessieren.“
„Ich muss noch die Patienten informieren, dass wir uns verspäten werden. Um, sagen wir – zwei Stunden.“
„Mindestens“, sagt Kerala. „Wenn die in einer halben Stunde da sind, dann entweder flugs den Schaden beheben. Oder uns in die nächste Werkstatt abschleppen. Fahrtzeit zum Ziel: eine Stunde. Ergo zwei Stunden.“ Seine dichten Augenbrauen heben sich. Er interessiert sich für mich, denkt Karin. Grau-weiße Schläfen, volles Haar. Braune Augen, die funkeln. Ein liebenswürdiger Gentleman. Fragt sich, wie alt. Vielleicht sechzig. Schwer zu sagen, in der heutigen Zeit. Bei den vielen, meist rüstigen Senioren.
„Die Story, Karin Asminda. Die Story.“
„Ja doch, Kerala. Es ist die ausgefallenste Geschichte, von der ich je gehört habe.“
II.Die schimmernde Tänzerin
1.
Ich kannte sie gut, die Tänzerin Dajana. Sie tanzte bereits als Kind – nahezu wie ein Profi. Sie entstammte einer gutbürgerlichen Familie. Vater Gerichtsvollzieher, Mutter im Haushalt. In den Achtzigerjahren war sie Sachbearbeiterin in einer Kanzlei. Ein undramatischer Broterwerb, der nach einer aufregenden Freizeitgestaltung verlangte. So fand sie. Tagsüber im Büro, erledigte sie ihre Aktenberge, um sich anschließend mit Tanzstunden dafür zu belohnen. Mit dreiundzwanzig fand sie ihre Berufung im Bauchtanz. Sie genoss ihre Jugend und die Bewunderung ihres Publikums.
„Könnt ihr euch die exotischen Kostüme vorstellen?“ Sie waren die reinste Augenweide. Samtige, mit Pailletten besetzte Oberteile, wallende Röcke und Pluderhosen in knalligen Farben. Seidene Schleier, die Wolken gleich geschwungen wurden. Es war die Liebe zur Musik, die sie durch das Leben trug und gleichsam ernährte. Man taucht in einen Schwall von Gefühlen. Spielerisch, wie ein Fisch, der das Riff umkreist. Wendig tänzelnd, wie ein zartes Seepferdchen.
Bauchtanz entfacht gleichsam eine feine Welle. Im Nu erfasst sie das Publikum. Dutzende Augen verfangen sich in den vibrierenden Münzen, die der Shimmy klimpernd in Trance versetzt. Die Tänzerin ist zum Instrument geworden, zu einem Kleinod der Musizierenden. Röhrende Flöten nebst heiteren, lichten Zimbeln. Der hämmernde Rhythmus der Darbuka mitsamt ihrer Zauberkraft. Unweigerlich zieht dich das sinnliche Pochen der Trommeln in seinen Bann. Wiegt dich, und entführt dich, in ein glückverheißendes, träumerisches Land.
„Wusstest du, dass es eine Vielzahl von Shimmys gibt?“
„Das ist das Zittern in den Hüften, nicht wahr? In Hawaii haben sie das auch, soviel ich weiß.“
„Marilyn Monroe setzte ihn ein. Elvis ebenso. Den Handshimmy. Das ist der am meisten gebräuchliche.“
Kerala streckt seine Hand hoch und versucht, die Bewegung zu simulieren.
„Gar nicht so einfach.“
„Du sagst es. Es braucht eine entspannte Haltung. Der schwierigste ist der Bauchshimmy. Unser Meisterstück, wenn man so will.“
„Du verstehst etwas davon?“
„Ein wenig. Ich werde niemals so perfekt sein wie Dajana. Nicht in hundert Jahren.“
Es war an einem Wochentag, im Mai 1985 in der Nähe der Wiener