Dorothea Neukirchen
Von Liebe und anderen Auswegen
15 Kurzgeschichten
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Inhaltsverzeichnis
Beichte
Die Fähre gleitet aus dem Hafen. Kinder winken aufgeregt vom Moleturm. Ein vorwitziger Junge spuckt in die Luft. Lautes Gejohle, als die Spucke auf dem Jackenärmel einer Frau landet.
Passt irgendwie, denkt Marthe, wirft den Kindern einen müden Blick zu und wischt das Nasse am Geländer ab. Ein Schwan versucht, dem Wellengang des Schiffs zu entkommen. Wie er sich müht und müht. Er rudert mit den Flügeln, patscht mit den Füßen aufs Wasser, ein endloser Anlauf, bis er endlich abhebt und seinem vorgereckten Hals hinterherfliegt, über herbstlich verfärbte Bäume in Richtung Schlosskirche.
Marthe zieht ihre Jacke enger. Der Fahrtwind macht sie frösteln, trotz der Oktobersonne. Zeit für ein heißes Getränk.
Am Tresen hat es sich bereits wieder gelichtet. Nur noch ein Mann steht da, nimmt eine Bierflasche entgegen und zwei Obstwasser. Die beiden Schnäpse kippt er gleich vor Ort, bestellt einen weiteren. Wie ein Säufer sieht er eigentlich nicht aus. Er ist schlank, trägt einen Kaschmirmantel. Vielleicht hat er Marthes Blick gespürt. Jedenfalls fühlt er sich bemüßigt, sich zu erklären.
"Aller guten Dinge sind drei", sagt er zu ihr gewandt.
"Könnte ich jetzt auch gebrauchen, leider hab ich mein Auto dabei."
"Tja, Zug fahren hat Vorteile."
Er kippt das dritte Obstwasser, während Marthe für sich ein Haferl Ovomaltine bestellt. Dann legt er abgezählte Münzen aufs Resopal, nimmt sein Bier und geht.
Die Fähre vibriert. Der Horizont schwankt sachte im Fensterrahmen.
Der Steward bringt den fertigen Kakao und Marthe mustert den Raum auf der Suche nach einem Platz. Voll ist es nicht. Aber auf der Fähre nehmen Einzelreisende gern mal einen ganzen Tisch für sich allein in Anspruch, wollen die Zwischenzeit auf ihre Weise nutzen, diese geschenkte Stunde zwischen Himmel und Wasser.
Ein Mann im Businessanzug hat seinen Laptop installiert und wirkt abweisend. Die junge Frau mit Minirock über der Hose und Ökoschuhen hat Kopfhörer auf und strickt. Eine afrikanische Familie ist sich selber genug. Das Schweizer Ehepaar mit den Einkaufstüten schweigt sich an. Zu den Radlern will Marthe sich nicht setzen. Und das Appenzeller Urgestein, das den verfilzten Haarschopf zum Schlafen auf die Tischplatte gelegt hat, wirkt auch nicht gerade einladend. Bleibt der Obstwasserfreund und Bahnfahrer.
Der sieht mit einem ironisch gefärbten Lächeln zu ihr hin und wartet ab. Warum nicht, denkt Marthe. In der Schweiz angekommen wird er zum Bahnhof gehen und sie in ihr Auto steigen, soviel ist schon mal klar. Sie geht zu seinem Tisch.
"Ist es recht?"
Er macht eine einladende Geste. Sie nimmt Platz und stellt erst einmal eine neue Distanz her, indem sie sich ganz auf ihre Tasse konzentriert. Der erste Schluck ist enttäuschend. Heiß und sahnig, aber nicht besonders süß. Auf dem Tisch steht Zucker. Sie könnte nachsüßen, vernünftig wäre das nicht. Während sie noch mit sich ringt, eröffnet ihr Tischnachbar das Gespräch.
"Und, warum könnten Sie einen Obstler gebrauchen?"
Das ist ziemlich direkt. Schweizer ist er wohl nicht. Auch sonst hat er keinen identifizierbaren Akzent. Ein Charaktergesicht, sauber rasiert, nicht unsympathisch.
"Ach, bloß frisch getrennt."
Marthe versucht, es beiläufig klingen zu lassen.
"Wenn das alles ist."
Eine solche Geringschätzung ist Marthe nun auch wieder nicht recht. Sie selber darf ihre Trennung niedrig hängen, aber diesem Fremden steht es nicht zu.
"Danke, mir reicht es", schnappt sie zurück, leert nun doch ein Tütchen Zucker in ihre Tasse und rührt so heftig darin herum, dass der Schaum zerfällt.
"Ja, mir hätte es auch gereicht", sagt er leise. Seine Stimme klingt aussichtlos. Er trägt eine randlose Brille, zwei scharfe Falten ziehen sich von der Nase zum Mund.
Jetzt, wo Marthe ihn ansieht, weicht er aus, blickt aus dem Fenster. Draußen glitzert eine schräge Sonne auf schier endlosem Wasser. Irgendwo dahinten, wo der Horizont verschwimmt, könnte Konstanz sein. Marthe versucht, das lastende Schweigen mit Konversation aufzulockern.
"Mir hat mal jemand erzählt, dass der See so groß ist, dass man von einem Ende zum anderen die Erdkrümmung wahrnehmen kann. Bei klarem Wetter soll man von Bregenz aus die Spitze vom Konstanzer Münster sehen können. Aber nur die Spitze, denn der Rest ist unter der Erdkrümmung verschwunden."
"Interessant", sagt er und verreibt einen Tropfen, der sich an seiner Bierflasche kristallisiert hat.
"Haben Sie Kinder?" fragt er dann.
"Nein."
"Da haben Sie Glück."
"Na ja."
Marthe hätte sich sehr wohl ein Kind gewünscht. Aber nun ist ihr der Vater abhanden gekommen und der Wunsch hängt im Leeren.
"Doch! Sie haben Glück!" bekräftigt er.
Was für ein Ton! Wieso bildet er sich ein zu wissen,