Bauchweh und Wetter. Gert Podszun. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gert Podszun
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847682981
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      Gert Podszun

      Bauchweh und Wetter

      Prosastücke

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Bauchweh in der Stadt

       Bestien

       Der Schrei

       Fahrtreppe

       Grüner Champagner

       Heimatpost

       Ihr Schwur

       Sein Schatten

       Urlaubsfotos

       Wetter so

       Impressum neobooks

      Bauchweh in der Stadt

      Mein Beruf: Verkaufen. Seit Jahren. Daran gewöhnt, das dazu Notwendige selbst zu organisieren: Projektierung, Erstellung von Reiseplänen, Besuchsvorbereitung, Kundenanalyse, Vorbereiten von Meetings, Abfassen von Berichten und Protokollen, die dann nur gelesen werden, um zu beweisen, dass eigentlich alles ganz anders gemeint war.

      Heute ist wieder einer dieser Reisetage. Über dem Wolkenbett im Flugzeug sah ich Wolkenpilze, kämpfende Drachen und Klobrillen, blätterte schwitzend in der Zeitung, die kostenlos bereit lag und dann alsbald zerknautscht in den Netzen der Sitze landete.

      Landung in Berlin.

      Heute habe ich den Leihwagen bei der Gesellschaft gemietet, bei der die augenscheinlich netteste Bedienung saß. Oftmals wirken die Gesichter in den Kabinen etwas muffig. Besonders montags. Sie haben grüne Hütchen auf hinter dem Tresen. Hier ist an ein Getränk nicht zu denken. Sie haben den Service an Bord eingeschränkt. Aus Kostengründen. Was kostet ein Gast?

      Unter dem Hütchen leuchtete Lipgloss. Ein Lippenstift, der auf den Lippen glänzt. Rot zieht das Auge augenscheinlich zuerst an. Erst dann erblickte ich unter zwei rasierten Augenbrauen und Maskara-verzierten Wimpern blaue Augen, von denen ich einfach annahm, dass ihre Farbe nicht gefälscht war.

       Wie lange werden Sie den Wagen benötigen?

       Bis ich um die dicke Litfasssäule herum bin.

      Sie hat nicht gelächelt. Wahrscheinlich fand sie meine Anmerkung dümmlich.

       Wenn Sie ihn zurückgeben und hier geschlossen sein sollte, können Sie den Schlüssel einfach in dieses Kästchen werfen.

      Zur Übergabe der Papiere stand sie auf und beugte sich zu mir. Ich konnte mir die Frage nicht beantworten, ob sie einen Push-up-Büstenhalter trug oder nicht. Ich bevorzuge Natur.

      Die Teerdecke der Heerstraße in Berlin wölbte sich mit ihren Rändern nach oben, geriet zu einer Halbschale, wollte den Leihwagen von der Seite neben den unterbrochenen weißen Linien in die Mitte drücken. Wie da noch abbiegen? Linksabbieger bitte einordnen. Wie denn einordnen, wenn die Fahrbahn verrückt spielt?

      Eine rote Reklametafel stürzt sich unter dem frühen Abendhimmel von der Häuserwand herunter und langt durch das geöffnete Schiebedach nach mir. Als wenn ich jetzt Durst nach klebriger brauner Brause hätte. Ich werde in der großen Stadt übernachten. Das Hotel liegt in der Nähe der ehemaligen Grenze zwischen zwei real existierenden Gesellschaften gleicher Sprache.

      Morgen muss ich nach Rostock. Hansestadt. Mühlendamm.

      Heute folge ich den Anweisungen des Navigationsgerätes durch die Stadt. Früher habe ich einen Blick auf den Stadtplan geworfen, die grobe Richtung bestimmt und bin neugierig losgefahren. Da gab es noch die Mauer.

      Der Leihwagen steht geschlossen in der Hotelgarage, mein Gepäck ist im Hotelzimmer abgestellt. Ich habe mich frisch gemacht und werde noch ein wenig bummeln. Frisch machen sagte auch der Ausbildungsunteroffizier während der Grundausbildung bei der Bundeswehr, wenn er uns durch das Gelände scheuchte. Auf der anderen Seite der Mauer war es bestimmt ähnlich.

      Einen Platz, auf dem ich vor etwa einem Jahr abends in der Sonne saß, erkenne ich wieder. Ein Mann sitzt auf dem Trottoir. An die noch warme Hauswand gelehnt. Er hält einen Plastikbecher zwischen verschmutzten Fingern. Neben ihm liegt eine voll gestopfte Plastiktüte.

      Die Bedienung ist freundlich. Sie sächselt. Sie trägt die Uniform des Hauses. Getränk und Essen schmecken. Ich bin zufrieden.

      Ein weißes lang gestrecktes Auto fährt langsam vorbei. Ein Brautpaar winkt von drinnen. Wie Zirkus. Eine kostenlose Vorführung. Manche klatschen. Zum Lesen der Zeitung ist es schon zu dunkel. Ich werde noch ein wenig sitzen bleiben, etwas trinken und meinen Sinnen Freiheit gewähren.

      Babylonische Stimmen. Von oben fallen die Lichter der Werbung über uns her. Das Aroma des Weines wird aufsteigend mit Kohlenstoffdioxid geschwängert. Die nicht durch Kleidung abgedeckte Haut wird mit Feinstaub angereichert. Meine Zunge streift unbewusst, vielleicht selbstschützend, den Feinstaubanteil von den Lippen ab. Die junge Frau unter dem grünen Hütchen hatte glänzende Lippen. Manche Frauen an den Nachbartischen schminken sich die Lippen nach, nachdem sie Spuren von ihnen auf den Rändern der benutzten Gläser zurückgelassen haben.

      Lippenstifte überall, Auch in den Bädern dieser Drei-Millionen-Stadt lagern Lippenstifte. Für jede neue Mode einer. Und in den Handtaschen. Und anderswo, in Taxen, in Handschuhfächern, in Mülleimern. Alle hatten oder haben nur den einen Zweck: einen Mund mit einer uneigenen Farbe zu versehen. Es gibt auch Männer, die die eigene Lippenfarbe verändern. Das soll attraktiv machen. Anziehend. Wie ein Magnet. Und dann schaut man in die Augen und bei den Frauen auf den Busen.

      Berlin ist attraktiv. Sagt das Stadtmarketing. Welche Farbe würden Berlins Lippen tragen? Ich würde jetzt gerne die Farbe der Berliner Lippen sehen und die Wärme dieser Lippen spüren, in die Augen eintauchen und mich am städtischen Busen erfreuen.

      Das Grau des Alltagsgesichtes dieser Stadt wird in die Untergangsfarbe des im Westen schwindenden Sonnenlichtes eingetaucht. Rhythmisch setzen Ampeln ein kräftigeres Rot in das Gesicht der Stadt. Die dunkelgrauen Straßendecken legen mit zunehmendem Sonnenuntergang schwarzes Maskara an und heben dies in den Kronen der straßenrahmenden Bäume, die nach und nach ihr Grün aufgeben müssen. Die Stadt atmet schwer.

      In den Bienenstockhäusern wie in den Villen entlang der breiten Alleen wabert Atem wortloser Einsamkeit neben den spitzen Schreien kurzer Lust. Letzte Atemzüge sinken in die wärmespeichernden Häuserzeilen, zwischen die alten Baumgruppen in den Parkflächen, unter die Gleise der ratternden Metrowagen. Hoffnung steigt auf wie der erste Strahl der die Wolkendecke durchbrechenden Sonne. Von Hoffnung steht dann auch etwas in den Nachrichtenblättern, welche in der großen Stadt auch zur Nacht verteilt werden. Auch die Nachricht von der jungen Frau, die sie heute Morgen aus der Toilette des großen Kaufhauses getragen haben. Weggespritzt von den asphaltierten Wegen und der durchgesessenen Couch fernab elterlicher