Was wird morgen sein?. Herr Thönder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Herr Thönder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753170695
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      Herr Thönder

      Was wird morgen sein?

      Kurze Geschichten mitten aus dem Leben

      Impressum

      Texte: © 2021 Copyright by Herr Thönder

      Umschlag: © 2021 Copyright by Herr Thönder

      Verantwortlich

      für den Inhalt: Herr Thönder

      Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

      Inhalt

       Vorwort

       Grrk

       Ferienende

       Keine Tränen

       Martha und Else

       Der Brief

       Abschied

       Die Chefin

       Was wird morgen sein?

       Wie sag‘ ich’s…?

       Wie sag ich’s…? – 2

       Wie sag ich’s…? – 3

       Glaube

       Geburtstag

       Nachwort

      

Vorwort

      In meinem Sessel habe ich einen super Ausblick. Ein bisschen See, einige Bäume und Rasen. Hier tollen Eichhörnchen und Vögel durch die Gegend. Das ist immer entspannend und lustig.

      Doch auch Straße, Parkplätze, Garagenhöfe und ein Hochhaus gehören zu meinem Ausblick. Was daran super sein soll?

      Die Menschen.

      Da, zum Beispiel, kommt Johnny. Wahrscheinlich möchte er mit dem Auto wegfahren. Doch Moment… ja, er muss nochmal ins Haus zurück und dreht um… oder doch nicht? Nein, er dreht erneut um und geht weiter zum Auto… aber jetzt? Ja, jetzt rennt er ins Haus zurück. Kurz darauf kommt er eiliger als zuvor zurück und hetzt zum Auto… nicht, ohne seine Taschen abzuklopfen und sich mehrfach umzudrehen… er fährt los… und bleibt noch einmal stehen, um zu Haus zu blicken… er überlegt… und fährt los.

      Ich kenne Johnnys richtigen Namen nicht. Ich habe ihn Johnny getauft, Johnny Kontrolletti. Ich finde es interessant, ihn und die anderen aus dem Hochhaus zu beobachten, mir Geschichten auszudenken, ohne die Menschen wirklich zu kennen. Ich gebe ihnen Namen, um die Geschichten für mich schön zu machen. Diese Namen sind nicht politische korrekt, erfüllen aber den Zweck der Wiedererkennung. So kann ich mir die Geschichten besser merken.

      Wohin Ernie und Bert wohl immer mit ihren Camouflage-Anzügen gehen?

      Haben Barbie und Ken wirklich geerbt und können sich deshalb die Penthouse-Wohnung und drei Autos leisten?

      Was Bob der Baumeister wohl wirklich arbeitet?

      Ob der Auto-Freak wohl geschieden oder verwitwet ist?

      Welche Grunderkrankung hat unser Läufer?

      Was studiert Bubba wohl?

      Welche Angst treibt diese beiden dazu, ständig ihr Auto zu reinigen? Und warum fallen mir zu ihnen keine Namen ein?

      Solche Fragen stelle ich mir sehr oft. Nicht nur über die Menschen im Hochhaus, sondern über fast alle Menschen, mit denen ich zu tun habe. Und über Tiere. Über nahezu alle Lebewesen.

      Mein Kopf ist voll davon.

      Ich will diese Gedanken festhalten und loswerden. Ich werde Geschichten schreiben. Ich werde Namen nehmen, ihnen eine Geschichte geben und diese aufschreiben. Die Geschichten werden an Menschen, Ereignisse oder einfach Gedanken angelehnt sein, die ich kenne. Viel wird dazu erfunden. Manche Menschen werden sich in diesen Geschichten wiedererkennen.

      Ich hoffe, es sind nicht nur die, die in meinem Kopf sind, während ich schreibe…

      Das ist der Plan. Und ich werde ihn durchziehen. Ich werde anfangen, zu schreiben.

      Morgen…

      Warten. Das ist der schwerste Teil. Immer wieder warten.

      Ich bin mir sicher, dass mein Opfer bald auftauchen wird. Dann heißt es, schnell und gnadenlos zuschlagen. Viele Gelegenheiten gibt es nicht mehr.

      Das Kunststück ist, die Zeit zu überbrücken. Stillhalten und warten.

      Ich halte gut still. Mittlerweile bin ich ein Meister darin. Ein Meister im Überleben. Ein Meister im Töten.

      Um Stillzuhalten, habe ich mir angewöhnt, die Gedanken schweifen zu lassen. Ich erinnere mich an mein Leben. Ein besonderer Moment, ein Moment, an den ich mich oft zurückerinnere, ist, wie ich zum ersten Mal getötet habe. Ich erinnere mich, wie ich mein Opfer packte, es zu mir zog und zubiss, bis es tot vor mir lag.

      Das habe ich von Mutter gelernt.

      Die Gedanken an meine Mutter sind die schwersten. Sie, die ich so sehr geliebt habe. Sie hat mir alles beigebracht, mich ernährt und beschützt. Mich und meine Schwester.

      Wir waren zwei Kinder, damals, als noch alles in Ordnung war.

      Mutter ging voraus, als wir zum ersten Mal das Licht der Welt erblickten. Nach einer langen Zeit in der Dunkelheit einer kalten Höhle waren wir Kinder von der Helligkeit nahezu erschlagen. Ich konnte zunächst nichts tun als stehen und staunen. Dieser Moment war überwältigend, magisch, unbeschreiblich. Ich sog alles in mich auf. Die Helligkeit. Die Umgebung war strahlend schön. Die Ruhe war nicht mehr so dumpf wie zuvor. Alles war schöner als ich es mir nach den Erzählungen von Mutter vorgestellt hatte. Zum Erstarren schön. Deshalb erstarrte ich.

      Bis meine Schwester mich umschubste und zum Spielen aufforderte: „Los, Grrk, wer stärker ist“. Schon bald tollten wir zwei immer mutiger umher. Alles, was wir sahen, gehörte jetzt uns. Wir blieben in Mutters Nähe, so wie sie es uns befahl. Wenn wir still sein sollten, blieben wir still. Der Respekt vor unserer Mutter war groß.

      Sie war groß.

      Manchmal entfernte sie sich ein wenig, erlaubte uns Kindern aber, ruhig weiterzuspielen. Nur nicht zu weit weggehen. Rufen, wenn jemand kam.

      Jemand.

      Was sollte das denn heißen? Ich verstand nicht, was sie damit meinte. Was sollte jemand sein? Es gab nichts außer uns dreien. Das Licht konnte Mutter nicht meinen, das war meistens da. Ich war total verwirrt, traute mich aber nicht, nachzufragen. So schwieg ich und wartete.

      Auch damals konnte ich das schon. Ich bin der geborene Jäger.