S. N. Stone
Hinter der Lüge
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Widmung
Für meinen Mann in Liebe
1. Kapitel
Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Da stand dieser Typ nun schon wieder mit seinem Auto in ihrer Einfahrt. Anne überlegte, ob sie raus gehen und es ihm noch einmal klar machen sollte; das war ihre Einfahrt! Sie war noch zu keinem Entschluss gelangt, als Kathrin mit ihrem Wagen vor dem Nachbargrundstück anhielt. Wollte er das Haus etwa kaufen? Oh Gott, bitte nicht. Anne wusste wie schwer es Kathrin fiel dieses Objekt zu vermitteln. Niemand wollte es haben, auch nicht die Frau, die es bis vor wenigen Wochen zur Miete bezogen hatte. Aber bitte, bitte nicht dieser Typ.
Hinter der Gardine verborgen beobachtete sie, wie Kathrin aus ihrem Auto ausstieg und professionell, charmant lächelnd auf den Mann zulief. Sie begrüßten einander und gingen hinein. Anne blieb am Fenster stehen und wartete. Der Mann war schon einmal hier gewesen, hatte sich das Haus von außen angesehen und ihre Einfahrt zugeparkt. Als sie ihn auf sein Fehlverhalten aufmerksam gemacht hatte, hatte er nur frech gegrinst und gesagt sie solle sich nicht so aufregen, er würde ja schon wegfahren. Aufregen? Sie hatte sich nicht aufgeregt, hier ging es ums Prinzip, jawohl!
Fünfzehn Minuten später kamen die beiden wieder heraus. Kathrin strahlte noch immer ihr unechtes Maklerlächeln. Wahrscheinlich hatte sie nun endlich jemanden für das Haus gefunden. Anne musterte den Mann aus der Sicherheit ihres Verstecks heraus. Er passte hier auf jeden Fall nicht her. Er trug ein schwarzes, verwaschenes T-Shirt, eine alte Jeans, braune Boots. Seine Arme waren komplett tätowiert, seine Haare etwas zu lang. Er wirkte irgendwie heruntergekommen. Er passte so gar nicht in dieses kleine Örtchen, die Leute würden reden, ganz sicher. In Berlin, wo sie die letzten Jahre gelebt hatte, da wäre er wohl nicht aufgefallen.
Kurz kam ihr der Gedanke, ob Alexej ihn geschickt haben könnte, verwarf ihn aber sofort wieder. Sie kannte die Leute, die die Drecksarbeit für ihn erledigten, viele von ihnen zumindest und er kam ihr nicht bekannt vor, was nichts heißen musste. Anne versuchte sich zu beruhigen. Alexej saß in Untersuchungshaft und trotz seiner Drohung sich an ihr zu rächen, glaubte sie, dass er sich das gut überlegen würde. Zum einen hatte sie vorgesorgt und das wusste er und zum anderen würde er doch bestimmt kein Risiko eingehen. Wenn ihr etwas zustieß, würde man ihn als erstes in Verdacht haben und das war in seiner Situation nicht förderlich. Außerdem war der Mann da draußen viel zu auffällig.
Kathrin reichte ihm die Hand mit den frisch manikürten Nägeln, stieg in ihr Auto und fuhr davon. Er würde jetzt sicher endlich ihre ... nein, was tat er denn nun? Er holte eine Reisetasche aus dem Kofferraum, zwei Kartons und eine Rollmatratze und brachte alles nacheinander ins Haus. Bei seinem letzten Gang schaute er zu ihrem Haus herüber, genau in Richtung Fenster, hinter dem sie stand. Schnell ließ Anne die Gardine los. Ob er sie gesehen hatte?
Jan saß im Wohnzimmer auf dem Boden. Offiziell war er für ein Jahr in den Knast gewandert. Es war geplant, ihn danach wieder einzusetzen. Von diesem Jahr waren jetzt vier Monate vergangen. In diesen vier Monaten hatte er versucht in sein Leben zurückzukehren, er hatte es nicht geschafft. Er hatte sich ein Verfahren wegen Körperverletzung angelacht, welches dann zum Glück eingestellt worden war, sein Rücken hatte sich wieder vermehrt bemerkbar gemacht, nachdem er dort während eines Handgemenges einen Tritt abbekommen hatte, Nicki hatte ihre fünfjährige Beziehung, von der sie wegen seines Jobs die wenigste Zeit wirklich miteinander verbracht hatten, beendet und er hatte begriffen, dass sein Leben wohl einfach scheiße war. Und nun saß er in diesem Haus in einem Kaff in Ostholstein und sollte Babysitter für eine Frau spielen, die die Hauptbelastungszeugin in einem Prozess gegen einen einflussreichen und kriminellen, russischen Geschäftsmann war. Die Gute hatte sich geweigert bis zum Verhandlungsbeginn Polizeischutz in Anspruch zu nehmen und war abgetaucht.
Zwei Umzugskartons, ein Laptop, eine olle Wolldecke und eine Rollmatratze, mehr war von seinem Leben mit Nicki nicht übrig geblieben und in einer der Kisten befanden sich seine Klamotten. Die Matratze hatte er in das Schlafzimmer gebracht, dort lag sie auf dem Boden. Drei Kaffeebecher, vier Teller, ein Messer, drei Löffel und zwei Gabeln lagen in den Schränken in der offenen Küche. Eine Kaffeemaschine und eine dreckige Mikrowelle hatte die Vormieterin zurückgelassen. Sein Laptop stand im Wohnbereich auf einem der beiden Kartons, davor ein alter Gartenstuhl. Wie gemütlich, dachte Jan sarkastisch. Was für ein abgefucktes Leben! Er musste das alles wieder in den Griff bekommen. Erik, sein Schwager, war der Meinung der Job hier könne ihm dabei helfen. Er atmete tief durch. Es klopfte an der Tür.
„Guten Tag, ich möchte gar nicht lange stören aber ich glaube ich habe Ihnen schon letztes Mal erklärt, dass das da drüben meine Einfahrt ist. Ich möchte Sie eindringlich bitten Ihren Wagen in Ihre eigene Auffahrt zu stellen.“
Anne schaute ihn an. Er stand barfuß, in Jeans und Shirt vor ihr. Seine Haare waren zerzaust und er war nicht rasiert. Er sagte gar nichts und das ärgerte sie maßlos.
„Wären Sie dann vielleicht so freundlich den Wagen wegzufahren?“
Er verunsicherte sie. Anne blickte ihm trotzdem stur in die Augen und stellte fest, dass er einen ganz leichten Silberblick hatte. Schließlich nickte er, drehte sich um, zog seine Schuhe an und nahm den Autoschlüssel, der auf einem Karton lag. Ohne die Tür zu schließen, ging er an ihr vorbei. Er parkte sein Auto in der Auffahrt, die zu seinem Haus gehörte. Das war gar nicht so leicht, denn inmitten dieser befand sich ein riesengroßes Schlagloch. Als er zurückkam, hatte er ein Grinsen auf den Lippen.
„Tschuldigung, wird nicht mehr vorkommen Ma´am“, sagte er, ging ins Haus und schloss die Tür vor ihrer Nase.
Anne japste nach Luft. Wie frech! Ma´am? Unglaublich! Sie wusste gar nicht, was sie dazu sagen sollte.
***