Herr Thönder
Tränenuntergang
Impressum
Copyright: © 2015 Herr Thönder
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN: 978-3-7375-7119-7
Inhalt
...Sie haben eine SMS erhalten...
Prolog
15:34
Tschüss...
15:34
...Der gewünschte Gesprächspartner ist momentan nicht...
15:35
Maria, bitte ruf mich an!!!
15:37
Maria, mach keinen Scheiß!!!
15:38
Ich will nicht mehr ohne Dich leben, das weiß ich jetzt!!!
15:39
Bitte, Maria, ich weiß nicht, was ich sonst...
15:41
Scheiße, Maria...
1
Franz schloss die Augen und hielt die Luft an. 22 – 23 – 24... Nach etwa einer halben Minute riss er die Augen auf und entließ die Luft mit einem Urschrei: „JAAAAAAAAAAA!“
Dies war ein Ritual, das er sich angewöhnt hatte. Ganz alleine in der Tiefgarage seiner Firma saß er in seiner Luxuskarosse und schrie. Und heute hatte er allen Grund dazu.
Franz hatte die Aufgabe, kleinere Firmen im Auge zu behalten, die potenzielle Konkurrenten werden könnten. Wenn sie „groß genug“ waren, wurde ihnen ein Angebot unterbreitet, um sie in den eigenen Konzern einzubinden. So wurde jegliche Gefahr eines Bedeutungsverlustes von Franz‘ Firma schon im Keim erstickt.
Heute hatte Franz dafür gesorgt, dass eine kleine IT-Firma in das Unternehmen integriert wurde. Es konnte jawohl nicht angehen, dass da einfach so ein paar Bengels ankamen und den Markt an sich rissen. Franz hatte ihnen „weiterhin Autonomie in allen Entscheidungen“ versprochen. Und natürlich Geld. Im Vergleich zu dem, was ein Verlust dieses Branchensektors die Firma gekostet hätte, waren das Peanuts. Für die kleinere Firma war das viel Geld. So waren alle zufrieden.
Und Heidrun, seine Frau, würde auch zufrieden sein. Zu Beginn, als Franz den Job angetreten hatte, war sie etwas enttäuscht, dass er „nur 1 Prozent“ des Verkaufswertes als Provision erhalten würde. Das klang in ihren Ohren viel zu wenig. Aber damals konnte sie auch nicht ahnen, um welche Beträge es wenige Jahre später gehen würde. Heute würde sie sich über die 10 Millionen sicherlich freuen.
Franz hatte schon gefeiert. Direkt nach dem Abschluss hatte er sich mit seiner Sekretärin eine kleine Flasche Sekt geteilt. Anschließend hatten sie auf seinem Schreibtisch hemmungslosen Sex gehabt. So viel Zeit musste sein. Schließlich musste Franz das Adrenalin abbauen, bevor er nach Hause kam.
Dort erwartete ihn die Frau, die er über alles liebte. Die Frau, die wusste, wer er war und wie er war. Die Frau, die trotz allem zu ihm stand. Niemals würde er Heidrun verlassen.
Franz war nicht immer sein Name gewesen. Als Gastarbeiter waren seine Eltern vor über 30 Jahren nach Deutschland gekommen. Der kleine Abdullah wurde aufgefordert, sich einen neuen, deutschen Namen zu geben. Da sein Onkel großer Fußballfan war, kannte er einen deutschen Namen besonders gut: „Franz“.
Seitdem versuchte Franz, so deutsch wie möglich zu sein. Er hatte eine deutsche Frau, fuhr ein deutsches Auto und die sogenannten „deutschen Tugenden“ wie Fleiß, Pünktlichkeit und Ordentlichkeit waren ihm in Fleisch und Blut übergegangen.
Lediglich sein Aussehen erinnerte noch etwas an seine arabische Herkunft: Sein Gesicht sah immer leicht gebräunt aus, seine Haare hellten sich zwar schon auf, waren aber noch sehr dicht und wellig, seine Augen konnten wie zwei große Kohlen glühen. Für einen Deutschen fühlte Franz sich früher auch etwas klein und gedrungen, aber durch regelmäßiges Krafttraining hatte er sich eine recht ansehnliche Figur erarbeitet.
Beim Sport war er sehr diszipliniert, ebenso wie in allen anderen Bereichen seines Lebens. Der Gefühlsausbruch im Auto war der einzige, den er sich ab und zu erlaubte. Zorn und Enttäuschung, aber auch Freude und Liebe wurden von ihm nicht in die Öffentlichkeit getragen.
Nur so war er in der Lage, der knallharte Verhandlungsführer zu sein, der er war. Nur so konnte er so großen beruflichen Erfolg haben. Nur so konnte er sich von seiner Vergangenheit lösen, um „deutsch“ zu sein.
Seine Eltern waren arm gewesen, bevor sie nach Deutschland kamen. Hier hatten sie aber niemals wirklich Fuß gefasst, sodass sie bereits vor zwanzig Jahren gestorben waren. „Aus Kummer“, wie es in der Familie hieß. Franz hatte noch ein paar Onkels und Tanten in Deutschland, aber er vermied es so gut es ging, sie zu treffen. Er wollte nicht an seine Vergangenheit erinnert werden.
Und er wollte nicht an den frühen Tod seiner Eltern erinnert werden. Er wollte länger leben. Ein Tod mit Ende Vierzig war für ihn keine Option. Dann würden ihm ja nur noch gut zehn