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Texte: © Copyright by Daniela Kappel
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Marie-Katharina Wölk,
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Verlag: Daniela Kappel
Hauptstraße 25
2542 Kottringbrunn
Korrektorat: Roswitha Uhlirsch
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Prolog
Vor Tausenden von Jahren waren die Menschen noch tief mit dem Geist der Natur verbunden. So lebten sie nicht nur im völligen Einklang mit ihrer Umwelt, sie schöpften auch Kräfte aus den Elementen.
Jeder Mensch war einem der Elemente besonders nahe und konnte auf individuelle Weise darüber verfügen. Manche konnten Flammen aus dem Nichts heraufbeschwören. Andere brachten auf hartem, staubigem Boden Pflanzen zum Wachsen oder verursachten Erdbeben. Wieder andere verbanden sich mit Gewässern, sodass sie tagelang darin ausharren konnten. Einige stiegen sogar in die Lüfte oder riefen tosende Sturmböen herbei.
Der Mächtigste unter ihnen, und damit das Oberhaupt der Menschheit, verfügte über alle vier Elemente. Man nannte ihn den Elementaren. Rechtschaffen und gnädig herrschte er, immer auf das sensible Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur bedacht. So war es den Menschen verboten, ihre Fähigkeiten gegeneinander oder zum Schaden ihrer Umwelt einzusetzen.
Jahrtausende lang sorgte der Elementare dafür, dass dieses oberste Gebot eingehalten wurde. Irgendwann jedoch wollten einige Menschen mehr, als ihnen die Natur geben konnte. Sie wollten Licht und Wärme in den dunklen, kalten Monaten des Winters, Pflanzen, die ihnen mehr Nahrung lieferten und dabei weniger Pflege brauchten und Gewässer und Pfade, die leichter zu überwinden waren.
So kam es, dass diese Menschen ihre Kräfte gegen die Natur einsetzten, um sie nach ihren Wünschen und Vorstellungen zu verändern. Sie brachten Licht und Wärme in die kalte Jahreszeit und störten damit die Tier- und Pflanzenwelt in ihrer Ruhephase. Sie brachten Pflanzen dazu, mehrmals im Jahr Früchte zu tragen, was viele der alten Sorten ausrottete. Sie schnitten Schneisen in Berge und veränderten die Strömung von Gewässern, zerstörten damit Lebensräume und brachten die Natur aus dem Gleichgewicht.
Der Elementare warnte diese Menschen und forderte sie auf, sich wieder auf ihre Wurzeln zu besinnen. Doch sie boten ihm die Stirn und begehrten gegen seine Herrschaft auf.
Um den Abtrünnigen Einhalt zu gebieten, bündelte der Elementare all seine Macht. Er entzog ihnen die Kräfte und verhinderte damit, dass sie der Natur noch mehr Schaden zufügen konnten. Nun waren sie abhängig von den Gezeiten, dem Jahreszyklus und schlichtweg dem, was ihnen die Natur zu geben vermochte.
Doch dieser Akt zog weitreichende Folgen nach sich. Fortan war die Menschheit gespalten – in den Teil, welcher noch über Elementarkräfte verfügte und jenen, der seine Kräfte verloren hatte und als gewöhnliche Menschen leben musste.
Auch der Elementare litt unter den Folgen seiner Anstrengungen. Er verfiel zusehends, wurde schwach und krank und schließlich, nach tausenden Jahren seiner Regentschaft, erlosch sein Leben. Mit seinem Tod schwand auch das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur.
Die vier Töchter des Elementaren, jede von ihnen hatte eines der vier Elemente inne, beschworen voller Trauer eine Prophezeiung.
Einst soll er wiedergeboren werden und die Menschheit vereinen. Wenn er wieder auf Erden wandelt, mächtiger denn je, so sollen alle Menschen ihre Elementarkräfte zurückerlangen und das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur sei wieder hergestellt.
Von Generation zu Generation wurde diese Prophezeiung seither unter den Elementträgern weitererzählt. Doch im Laufe der Jahre dezimierte sich deren Blutlinie immer mehr. Viele derjenigen, die noch über Elementarkräfte verfügten, verbanden sich mit gewöhnlichen Menschen und deren Kinder kamen allesamt ohne Elementaffinität zur Welt. So gibt es heute nur mehr wenige, die noch die Gaben der Elemente besitzen.
Alle paar hundert Jahre wird ein Elementträger geboren, der beide Elemente seiner Eltern in sich trägt. Doch auf ein Kind, das alle vier Elemente besitzt, und damit auf die Wiedergeburt des Elementaren wartet die Menschheit bis zum heutigen Tag.
1
Daria saß auf einem der großen Umzugskartons, die ihr Vater zuvor in die kleine Wohnung gehievt hatte, und schaute müde und gelangweilt aus dem schmutzigen Fenster in den von Unkraut überwucherten Garten. Alles in den engen Räumlichkeiten roch nach Staub und abgestandener Luft. Mühsam rappelte sie sich auf und durchschritt den kargen Raum, um das Fenster zu öffnen. Eine kühle Brise würde hoffentlich ihre trüben Gedanken wegblasen, denn wenn sie ihnen nachhing, brachten sie ihr nur Kummer und Schmerz.
So lange war es schon her, seit sie ihre Mutter verloren hatte, und doch drängten sich die Bilder von ihrem Tod immer noch ungefragt auf, als wäre es erst gestern gewesen. So frisch und nahe war ihr die Erinnerung an die tobende See, schwarz wie die Nacht, und den Dunst von Salz auf ihrer verschwitzten Haut.
Jene Dinge, an die sie gern zurückdachte, aus der Zeit davor, als sie noch mit ihren Eltern glücklich beisammen lebte, waren hingegen von einem Schleier umhüllt und sie musste sich anstrengen, um nur bruchstückhafte Szenen in ihr Gedächtnis zu rufen. Immerzu ging sie ihre spärlichen Erinnerungen an eine glücklichere Zeit durch, um den Schrecken aus ihrem Kopf zu vertreiben.
Lange Spaziergänge an der Küste, weit außerhalb der Stadt. Laue Abende unter der Laube in ihrem Garten, mit Tee und Keksen, umhüllt von dem würzigen Geruch nach Lavendel und Salbeiblüten. Kleine Rätselspiele mit ihrer Mutter sonntagmorgens, wenn ihr Vater noch schlief.
Doch so sehr sie sich auch bemühte, immer wieder drängten sich die Erinnerungen an die schrecklichste Nacht in ihrem Leben hervor und ließen sich nicht länger aus ihrem Geist verbannen.
Sie sah die vor Angst geweiteten Augen ihrer Mutter, als ihr Vater sich von dem kleinen Boot aus ins Wasser fallen ließ. Er wollte ihre Verfolger aufhalten, damit sie und ihre Mutter fliehen konnten.
Fliehen wovor? Das wusste Daria nicht. Ihr Vater sprach nicht über diese Nacht oder ihre Mutter im Allgemeinen und sie selbst war zu klein gewesen, um zu verstehen, was da passierte, warum ihre Eltern sie nachts aus ihrem Bett holten, um mit ihr wegzufahren.
Ihr Vater kam nicht mehr zurück auf das wackelige Boot, aber jemand anderes erklomm den glitschigen, hölzernen Rand. Der Mann war groß und die triefnasse Kleidung klebte an seinem massigen Körper ebenso wie seine langen, dunklen Haare. Er packte ihre Mutter am Hals und hob sie hoch, weit über den Bootsrand hinaus. Der Wellengang war stark und spülte stetig eiskaltes Wasser über sie hinweg. Ihre Mutter blickte sie an, ihr panischer Blick wurde von einem Lächeln abgelöst, das nur Daria galt – ein Abschiedsgruß.
Schlagartig war es totenstill. Daria hörte die Wellen nicht mehr gegen das Boot klatschen, den Regen nicht mehr prasseln, nicht einmal mehr das Heulen des Windes und dann ließ der Mann ihre Mutter los und ihr Körper wurde von der rauen See verschluckt.
Als der Angreifer sich zu Daria umdrehte, um auch auf sie loszugehen, wurde er von ihrem Vater überwältigt und ging, wie ihre Mutter zuvor, über Bord. Ihr Vater sah Daria mit einem verzweifelten Ausdruck in den Augen an, doch verließ er sie nicht mehr. Das Wasser peitschte beiden ins Gesicht, trotzdem konnte sie seine Tränen sehen, sowie ihre eigenen schmecken.
„Daria! Daria! Daria, hörst du nicht!“ Ihr Vater stand in der Tür. Sein ernster Blick und das wütende Funkeln in seinen Augen vertrieben die letzten Bilder aus ihrem schmerzenden Kopf und brachten sie endgültig zurück ins Hier und Jetzt. „Daria, das Fenster!“ Er trommelte nervös mit seinen Fingern gegen den Türrahmen und Teile des sich ablösenden Holzlacks rieselten zu Boden.
Das Fenster klapperte wie wild gegen den Rahmen. Immer wieder wurde es auf und zu geschlagen