Und er schlief wieder ein und träumte, und dies war sein Traum:
Er glaubte, er wanderte durch ein dunkles Gehölz, das mit seltsamen Früchten und mit schönen giftigen Blumen behangen war. Die Nattern zischten ihn an, als er vorüber kam, und die farbigen Papageien flogen schreiend von Zweig zu Zweig. Riesige Schildkröten lagen schlafend auf dem heißen Schlamm. Die Bäume waren voll von Affen und Pfauen.
Weiter und weiter ging er durch das Gehölz, bis er den Rand erreichte, und da sah er eine unendliche Menschenmenge im Bett eines ausgetrockneten Flusses arbeiten. Sie schwärmten die Klippen herauf wie Ameisen. Sie gruben tiefe Löcher in den Grund und stiegen in sie hinab. Einige zerschlugen die Felsen mit schweren Hacken, andere tappten im Sand umher. Sie rissen den Kaktus mit den Wurzeln heraus und zertraten seine scharlachroten Blüten. Sie eilten umher, riefen sich zu, und keiner war müßig.
Aus dem Dunkel einer Höhle beobachteten sie der Tod und die Habgier, und der Tod sagte: »Ich bin müde; gib mir ein Drittel von ihnen und laß mich weitergehen.«
Aber die Habgier schüttelte ihren Kopf. »Sie sind meine Diener,« antwortete sie.
Und der Tod fragte sie: »Was hast du in deiner Hand?« »Ich habe drei Getreidekörner,« sagte sie; »was ist das für dich?«
»Gib mir eins davon,« rief der Tod, »ich will es in meinen Garten pflanzen; nur eins, und ich werde weggehen.«
»Ich will dir gar nichts geben,« sagte die Habgier und steckte ihre Hand in die Falten ihres Gewandes.
Aber der Tod lachte. Er nahm einen Becher, tauchte ihn in eine Wasserpfütze, und aus dem Becher entstieg Schüttelfrost. Der schritt durch die große Menge, und ein Drittel lag tot da. Ein kalter Nebel folgte ihm, und die Wasserschlangen liefen ihm zur Seite.
Als nun die Habgier sah, daß ein Drittel der Menge tot war, schlug sie sich an die Brust und weinte. Sie schlug ihren dürren Busen und schrie laut. »Ein Drittel meiner Diener hast du erschlagen,« rief sie, »mach dich fort. Es ist Krieg in den Bergen der Tatarei und die Könige beider Lager rufen nach dir. Die Afghanen haben den schwarzen Stier geschlachtet und marschieren in die Schlacht. Sie haben mit ihren Speeren auf die Schilder geschlagen und ihre eisernen Helme aufgesetzt. Was kann dir mein Tal sein, daß du dich darin aufhältst? Geh deiner Wege und komm nie wieder hierher.«
»Nein,« sagte der Tod, »solange du mir kein Samenkorn gegeben hast, werde ich nicht fortgehen.«
Aber die Habgier schloß ihre Hand und biß sich auf die Zähne. »Ich will dir gar nichts geben,« murrte sie.
Und der Tod lachte und nahm einen schwarzen Stein. Er warf ihn in den Wald, und aus einem Dickicht wilden Schierlings kam in einem Flammenkleid das Fieber. Es durchschritt die Menge und berührte sie, und jeder Mann, den es berührte, starb. Das Gras welkte unter seinen Füßen, wo es ging.
Und die Habgier erschauerte und streute Asche auf ihr Haupt. »Du bist grausam,« rief sie; »du bist grausam. In den befestigten Städten Indiens herrscht die Hungersnot, und die Brunnen von Samarkand sind vertrocknet. Hungersnot herrscht in den befestigten Städten Ägyptens, und die Heuschrecken sind aus der Wüste gekommen. Der Nil hat seine Ufer nicht überflutet, und die Priester haben Isis und Osiris geflucht. Geh zu denen, die dich brauchen, und laß meine Diener in Frieden.«
»Nein,« sagte der Tod, »solange du mir kein Samenkorn gegeben hast, werde ich nicht fortgehen.«
»Ich will dir gar nichts geben,« sagte die Habgier.
Aber der Tod lachte wieder. Er pfiff durch die Finger, und ein Weib kam durch die Luft herbeigeflogen. Pest stand auf ihrer Stirn geschrieben, und ein Schwarm magerer Geier umschwebte sie. Sie bedeckte das Tal mit ihren Schwingen, und kein Mensch blieb am Leben.
Da floh die Habgier schreiend durch den Wald, der Tod aber stieg auf sein rotes Roß und ritt davon, und sein Reiten ging schneller als der Wind.
Und aus dem Schlamm, der den Boden des Tales bedeckte, krochen Drachen und häßliches Getier mit Schuppen, und die Schakale kamen über den Sand getrabt und beschnupperten die Luft mit ihren Nüstern.
Da weinte der junge König und sprach: »Wer waren wohl diese Menschen, und wonach suchten sie?«
»Sie suchten Rubinen für die Krone eines Königs,« antwortete jemand, der hinter ihm stand.
Und der junge König fuhr empor. Er wandte sich um und sah einen Mann im Pilgergewand, der in seiner Hand einen silbernen Spiegel hielt.
Da erbleichte er und fragte: »Für welchen König?«
Und der Pilger antwortete: »Blicke in diesen Spiegel, und du wirst ihn sehen.«
Der König blickte in den Spiegel, und als er sein eigenes Gesicht sah, stieß er einen lauten Schrei aus und erwachte. Das helle Sonnenlicht strömte in das Zimmer, und aus den Bäumen seines Parks und Lustgartens sangen die Vögel.
Und der Kammerherr und die hohen Staatsbeamten traten herein und verneigten sich vor ihm. Die Pagen brachten ihm das goldgestickte Gewand und legten die Krone und das Zepter vor ihn hin.
Und der junge König schaute alles an, und es war schön. Schöner war es als irgend etwas, das er je gesehen hatte. Aber er erinnerte sich seines Traumes und sprach zu seinen Edlen: »Nehmt diese Dinge weg, denn ich will sie nicht tragen.«
Und die Höflinge waren erstaunt, und einige lachten, denn sie glaubten, er rede im Scherz.
Aber er sprach von neuem ernsthaft zu ihnen und sagte: »Nehmt diese Dinge weg, daß ich sie nicht sehe. Wenn es auch mein Krönungstag ist, ich will sie nicht tragen, denn der Webstuhl der Trübsal und die Hände des Leides haben dieses mein Gewand gewebt. Blut ist im Herzen des Rubins, und Tod im Herzen der Perle.« Und er erzählte ihnen seine drei Träume.
Und als die Höflinge das hörten, sahen sie sich an und flüsterten untereinander: »Sicherlich ist er wahnsinnig; denn was ist ein Traum anders als ein Traum, und eine Erscheinung anders als eine Erscheinung? Sie sind keine wirklichen Dinge, die man beachten müßte. Und was geht uns das Leben derer an, die für uns arbeiten? Soll ein Mann kein Brot essen, bevor er den Sämann gesprochen, noch Wein trinken, bevor er den Winzer gesehen hat?«
Und der Kammerherr redete den jungen König an und sprach: »Mein Herr, ich bitte dich, schlage dir diese trüben Gedanken aus dem Sinn, lege dieses schöne Gewand an und setze die Krone auf dein Haupt. Denn woran soll das Volk erkennen, daß du der König bist, wenn du keine Königskleider trägst?«
Und der junge König blickte ihn an: »Ist das wirklich so?« fragte er. »Werden sie mich nicht als König erkennen, wenn ich kein Königskleid trage?«
»Sie werden dich nicht erkennen, mein Herr,« rief der Kammerherr.
»Ich hatte geglaubt, daß es früher königliche Menschen gegeben habe,« antwortete er, »doch es mag sein, wie du sagst. Ich will aber dieses Gewand nicht tragen, noch will ich mich mit dieser Krone krönen lassen, sondern so, wie ich in den Palast kam, will ich aus ihm hinaustreten.«
Und er bat alle, ihn zu verlassen, mit Ausnahme eines Pagen, den er bei sich behielt, eines Jünglings, der ein Jahr jünger war als er selbst. Ihn behielt er zu seiner Bedienung, und als er sich in klarem Wasser gebadet hatte, öffnete er eine große bemalte Truhe und zog daraus die lederne Jacke und den rauen Schafspelz hervor, die er getragen hatte, als er auf dem Hügelabhang die zottigen Ziegen seiner Ziegenherde weidete.
Und der kleine Page öffnete erstaunt seine blauen Augen und sagte lächelnd zu ihm: »Mein Herr, ich sehe dein Gewand und dein Zepter, aber wo ist deine Krone?«
Und der junge König riß einen Zweig von einem wilden Rosenstrauch ab, der über den Balkon herüberrankte. Er bog ihn und machte einen Kranz daraus, den er auf sein Haupt setzte.
»Dies soll meine Krone sein,« antwortete er.
Und so bekleidet schritt er aus seiner Kammer in den großen Saal, wo die Edlen auf ihn warteten.