Verena Conzett
Erstrebtes und Erlebtes
Ein Stück Zeitgeschichte
E-Book 2013 der 3. Auflage von 1929
Conzett Verlag by Sunflower Foundation, Zürich
ISBN 978-03760-024-5
Alle Rechte vorbehalten • Druck Conzett & Huber, Zürich
Copyright 1929 by Morgarten Verlag, Zürich
Printed in Switzerland
Die Schreibweise entspricht, mit geringfügigen Anpassungen, der Ausgabe von 1929.
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
Gemälde von Dora Hauth
Dem Andenken
meines verstorbenen Gatten
und meiner früh dahingeschiedenen
Söhne Hans und Simon
Inhaltsverzeichnis
Modearbeiterin und Ladentochter
Conrad Conzetts Lebensgeschichte
Auswirkung des deutschen Sozialistengesetzes
Internationaler Sozialistenkongress 1893 in Zürich
Rücktritt des Bundeskomitees des Gewerkschaftsbundes
Internationaler Arbeiterschutzkongress 1897 in Zürich
III. Teil. Geschäftliches Ringen und Erfolg
Ein Besuch in der einstigen Heimat
Kranken- und Unfallversicherung
«In freien Stunden», Gründung und Entwicklung
Der internationale Friedenskongress
Vorwort
Es war im Spätherbst. Ich sass in meinem Heim in Kilchberg am Schreibtisch; sinnend schweifte mein Blick in die Weite, setzte sich am andern Ufer des Zürichsees fest, dessen herbstliche Färbung durch die Beleuchtung der scheidenden Sonne so tief, so kraftvoll glühte, dass ich ins Schauen versank. Wie ich so schaute und sann, traf vor mein geistiges Auge ein anderer, längst versunkener Herbsttag, und die Erinnerung tauchte auf an einen Wunsch, den letzten Wunsch meiner beiden, in der Blüte der Jahre dahingerafften Söhne.
Es war an einem Sonntag im Oktober 1918; ich verbrachte den Nachmittag in der Familie meines ältern Sohnes in Kilchberg. Das gegenüberliegende Ufer entfaltete seine ganze tiefklare, sonnendurchsprühte Herbstpracht. Es war, als wollten alle Farben noch einmal in schöner, grosser Harmonie aufleuchten, bevor Novemberstürme sie zerstörten und verwehten. In diesem Aufstrahlen der Natur vor ihrem Vergehen schien die Seele meines Sohnes unbewusst ihr eigenes baldiges Scheiden zu ahnen. Ins Schauen versunken, meinte Hans: «Mutter, du hast einmal davon gesprochen, deine Lebenserinnerungen zu schreiben.» «Ach ja», erwiderte ich, «man sagt manchmal etwas, das nicht so ernst gemeint ist.» «Du solltest sie aber doch schreiben, Mutter; denn die heutige Generation der mächtig herangewachsenen sozialdemokratischen Partei hat keine Ahnung davon, unter welch schwierigen Verhältnissen die alten Vorkämpfer des Proletariats, zu denen auch unser verstorbener Vater gezählt hat, gerungen und wie viel Selbstlosigkeit und Opfersinn dazu gehörte, die Fahne stets hochzuhalten. Es wäre gut, ihr das einmal vor Augen zu führen. Mutter, versprich mir, deine Lebenserinnerungen zu schreiben!» Während ich zum Gelöbnis meine