Franz Kabelka
Roman
INHALT
Für Sibylle,
die mir den Weg nach Indien wies
PROLOG
Sie liegt zusammengekauert auf dem nackten Lehmboden.
Kein Teppich, nicht einmal ein billiger Baumwollfetzen, der der fiebrigen Haut unter dem klatschnassen Kunststoffsari als Unterlage dienen würde. Durch die unverglasten Öffnungen unterhalb des Schilfdachs dringt das fahle Licht der Abenddämmerung in den kargen Raum, jener kurzen Dämmerung, die die Bewohner nördlicherer Breitengrade immer wieder zu überraschen pflegt.
Ein niedriger Schemel, zwei löchrige Matratzen. Kein Kasten, nur ein von der Feuchtigkeit verzogenes Regal; auf dessen Bambusrohren, säuberlich geschlichtet, die wenigen Kleidungsstücke, neben den verblichenen Fotos am Bindfaden Meeras ganzer Besitz. In Schwarz-Weiß starren Vater und Mutter auf sie herab, steif und ernst. Davor, aufgefädelt nach Größe, ihre vier Geschwister und sie selbst als Fünfjährige. Niemand auf dem Bild, der lächeln, niemand, der sich für diesen gewichtigen Augenblick entspannen würde. Auch der Fotograf hat sie nicht dazu aufgefordert, hat keinen Witz gemacht, damit sich die herben Mundwinkel womöglich ein bisschen nach oben bewegten. Er kannte die Befindlichkeit dieser