Lernen S' Geschichte, Herr Reporter!. Ulrich Brunner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrich Brunner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783711052889
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einigen Einwänden, aber überwiegend doch positiv bewertet. Als Kreisky auf Hannes Androsch zu sprechen kam, änderten sich Tonfall und Körpersprache. Er sprach so, wie ein Vater über seinen geliebten Sohn spricht: als hoffnungsvollen Nachwuchs. Das sollte sich ändern, als Kreisky den aufstrebenden, in der Partei sehr beliebten Finanzminister nicht mehr als Nachwuchshoffnung, sondern als Konkurrenten wahrzunehmen glaubte. Bei unserem Gespräch mit Kreisky im Jahr 1973 war das Verhältnis zwischen den beiden offensichtlich noch ungetrübt.

      Nach eineinhalb Stunden hatte Kreisky alle Spitzenpolitiker der SPÖ bewertet und wir hatten noch immer nicht darüber gesprochen, was der Redaktion unter den Nägeln brannte. Kreisky kam dann noch auf seinen bevorstehenden Theaterbesuch des Brecht-Stückes zu sprechen: »Hab’ ich euch schon erzählt, wie ich in Schweden Bertold Brecht getroffen habe?« In Erwartung spannender Gespräche zwischen dem Kommunisten Brecht und dem Sozialdemokraten Kreisky hörten wir zu. Kreisky holte weit aus und berichtete zunächst von seiner Reportertätigkeit für eine schwedische Zeitung über den sowjetisch-finnischen Winterkrieg. Da habe er übrigens auch den finnischen Nobelpreisträger für Literatur getroffen: »Wie hieß der noch?«, fragte sich Kreisky selbst, in seiner Erinnerung kramend. Der gebildete AZ-Redakteur Günter Traxler half aus: »Sillanpää!« Es war dies in den ersten zwei Stunden das erste Mal, dass Kreisky in seinem Redefluss kurz innehielt. Danach verharrte Kreisky noch eine Stunde im finnischen Winterkrieg. Brecht hatte er noch immer nicht getroffen. Uns AZ-Redakteuren rann die Zeit davon, da der Beginn des Theaterabends näher rückte. Schließlich erzählte Kreisky, er habe nach seiner Rückkehr nach Österreich erfahren, dass Brecht im selben Haus wie er gewohnt hatte: »Das muss der kleine Stoppelglatzige gewesen sein, mit dem ich ein paar Mal im Aufzug gefahren bin.« Also keine Diskussion mit Brecht. Das war die erste Enttäuschung des Nachmittags.

      Während unseres Gesprächs, das eigentlich ein Monolog Kreiskys war, wurden Kaffee und Kuchen serviert. Das Wetter war schön, die beiden Boxerhunde Kreiskys tollten im Garten herum und drängten sich öfter unter unsere Runde. Besonders zudringlich war Wastl, der Rüde. Er hinterließ auf meinen Anzug ein paar Speichelspuren, was mir nicht sehr gefiel, schließlich hatte ich für den Besuch beim Parteivorsitzenden meinen schönsten Anzug hervorgeholt. Ich versuchte zunächst unauffällig den Rüden abzudrängen, was mir nicht gelang. Also blieb mir nichts anderes übrig, als etwas nachdrücklicher zu sein, und meinem Abwehrversuch auch verbal Nachdruck zu verleihen. Ich erinnere mich nicht mehr genau, was ich dem Hund zugezischt habe. Kreisky unterbrach daraufhin seinen Monolog und warf mir einen strafenden Blick zu. Ich hätte mir das nicht gemerkt, wenn Kreisky sich nicht später einmal über einen jungen Presse-Redakteur beschwert hätte, der sich eines der beiden Boxer nur mit einem Fußtritt erwehren konnte. Kreisky rief am nächsten Tag in der Presse-Reaktion an und wollte wissen, wer dieser Redakteur sei. Die Auskunft, dass es sich dabei um einen guten Redakteur handle, befriedigte Kreisky nicht ganz: »Guter Redakteur? Kann ja sein, aber er kann kein guter Mensch sein, so wie der meine Hunde behandelt hat!« Die publizierte Behauptung, dass mein Zwischenfall mit Kreiskys Hund die Quelle für Kreiskys spätere Abneigung zu mir war, ist natürlich Unsinn, denn es folgten in den Jahren danach noch einige Einladungen in Kreiskys Villa zu abendlichen Gesprächen mit Journalistenrunden. Die spätere Abneigung Kreiskys mir gegenüber hatte ganz andere Gründe, dazu später.

      Wir saßen nun schon drei Stunden im Garten in der Armbrustergasse, und wir hatten immer noch nicht darüber gesprochen, warum wir überhaupt gekommen waren. Ab 18 Uhr kam Kreiskys Frau Vera in Abständen von 15 Minuten in den Garten, um ihren Mann daran zu erinnern, dass es Zeit sei, sich für den Theaterbesuch umzuziehen. Da war Kreisky aber noch im finnischen Winterkrieg. 15 Minuten vor Beginn der Vorstellung saß Kreisky noch immer in leichter Sommerkleidung im Garten. Da war klar, dass ein rechtzeitiges Eintreffen nicht mehr möglich war. Kreiskys Antwort an seine drängende Frau: »Den ersten Akt lassen wir aus. Der ist eh fad!« Vera Kreisky hatte es nicht leicht mit ihrem egozentrischen Mann.

      Der Termin bei Kreisky näherte sich dem Ende. Keiner der arrivierteren Redakteure wagte es, Kreiskys Erzählungen zu unterbrechen. Schließlich nahm ich mir ein Herz, unterbrach Kreisky und erinnerte daran, dass wir aus Sorge über die sinkende Auflage der AZ um eine Aussprache gebeten hatten. Nach kurzem Nachdenken glaubte Kreisky eine gute Idee zu haben: »Man müsste die AZ an der Adria in den italienischen Badeorten verschenken. Da gewöhnen sich die Leute daran und lesen sie auch zu Hause.« Dieser hanebüchene Vorschlag verursachte einen frühen Knick in meiner Verehrung für den großen Vorsitzenden. Rückblickend betrachtet hatte sich Kreisky wahrscheinlich in den Monolog geflüchtet, weil er auch nicht wusste, wie man der AZ helfen konnte. Als medienbewusster Politiker wusste er, dass man mit Parteizeitungen allein keine Wahlen gewinnt.

      Der Niedergang der AZ hatte natürlich ganz simple Ursachen. Die Zeitung hatte mit dem Erreichen der Regierungsmacht ihre Aufgabe als Kampforgan der Arbeiterbewegung verloren. Wir erhielten von Kreisky mehrmals die Aufforderung, kritisch mit den anderen Zeitungen umzugehen, mit den sogenannten »Unabhängigen«, wie es damals im Sprachgebrauch der SPÖ hieß. Dieselben Zeitungen, die wir kritisieren sollten, erhielten dann von Kreisky, aber auch anderen Regierungsmitgliedern, Exklusivstorys zugesteckt. Auf dem Heimweg von Kreiskys denkwürdigem Gespräch kaufte ich die Abendausgabe des Kurier, der wieder einmal neueste Pläne der Regierung veröffentlichte, die wir in der AZ-Redaktion zwar wussten, aber nicht schreiben konnten, weil sie noch nicht offiziell beschlossen waren.

      Die offene Art Kreiskys im Umgang mit »bürgerlichen« Zeitungen brachte ihm zeitweise eine gute Presse, die manchmal sogar über das hinausging, was SPÖ-Zeitungen leisten konnten oder wollten. Durch Zutritt zu diversen Parteigremien war man als AZ-Redakteur gut informiert, aber an die Vertraulichkeit der Sitzungen gebunden. Es war zutiefst frustrierend, dass man die Storys, die man selber nicht schreiben durfte, in anderen Zeitungen lesen musste. Ein Beispiel: Chefredakteur Manfred Scheuch, der auch Zutritt zu den Ministerratsvorbesprechungen hatte, kam an einem späten Nachmittag in die Redaktion und erzählte, dass Außenminister Rudolf Kirchschläger über die bevorstehende Anerkennung Nordvietnams durch Österreich berichtet hatte. Das war eine Sensation, da vorher nur Schweden Hanoi anerkannt hatte. Ich plädierte für Veröffentlichung, doch Scheuch fühlte sich an die Vertraulichkeit gebunden. Die Abendausgabe des Kurier, die wir uns täglich von einem Boten kommen ließen, hatte freilich als Aufmacher: »Österreich anerkennt Hanoi!« Wir brachten diese Topnachricht dann in die Spätausgabe. Das Gros der Auflage war allerdings schon ausgeliefert.

      Einmal wollte sich die Redaktion aus den Zwängen, die eine Parteizeitung unweigerlich hatte, befreien und glaubte, dies könnte durch ein Redaktionsstatut geschehen. Einige Redakteure gaben sich viel Mühe, ein derartiges Statut auszuarbeiten. Chefredakteur Scheuch ging damit in den Parteivorstand und kam mit der Nachricht in die Redaktion, das Statut sei genehmigt worden, allerdings mit dem Zusatz: »Die Richtung der Arbeiter-Zeitung wird durch den Parteivorstand festgelegt.« Mit diesem Satz war das Redaktionsstatut faktisch nichts wert. Die SPÖ war damals nicht bereit, der AZ die Freiheiten zu gewähren, die jene Zeitungen hatten, die von ÖVP-Vorfeldorganisationen finanziert wurden.

      Das finanzielle Defizit der Arbeiter-Zeitung wurde außer von der Bundespartei noch von Teilorganisationen der SPÖ, unter anderem den Landesorganisationen von Wien und Niederösterreich, abgedeckt. Auch die SPÖ-Fraktion des ÖGB leistete einen Beitrag. Die Finanziers waren meist unzufrieden mit der Berichterstattung. Die Berichte über Nationalratssitzungen waren damals in allen Zeitungen sehr umfangreich; da wurden oft Wortmeldungen von mehr als einem Dutzend Rednern zitiert. Natürlich wollten sich die SPÖ-Abgeordneten gedruckt sehen, gewissermaßen als Tätigkeitsnachweis für ihren Wahlkreis. Die Wortmeldungen der SPÖ-Abgeordneten wurden in der Arbeiter-Zeitung immer positiv dargestellt, die der Opposition als wenig überzeugend. Dringliche Anfragen der ÖVP waren in der Regel »Rohrkrepierer«. Nach einer redaktionsinternen Reformdiskussion wollten wir eine objektivere Wiedergabe der Debatten im Nationalrat anpacken, Fotos sollten nicht nur von SPÖ-Abgeordneten, sondern auch von den Hauptrednern der Opposition ins Blatt gerückt werden. Das geschah nur einmal. Nach einem Proteststurm im SPÖ-Klub kehrten wir wieder zum alten Modus zurück: Die SPÖ-Abgeordneten waren immer die mit den besseren Argumenten – und mit Fotos.

      Die Arbeit in der AZ wurde immer frustrierender.