Ein Porträt meines Vaters. George W Bush. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: George W Bush
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454861
Скачать книгу
hast du die denn?«, fragte er mich.

      Ich zögerte, weshalb er die Frage wiederholte.

      Nach ein wenig Kampf mit meinen inneren Dämonen legte ich ein Geständnis ab. »Ich habe sie aus dem Laden mitgehen lassen«, sagte ich.

      »Komm mit mir mit«, meinte er daraufhin. Wir stiegen in sein Auto und fuhren zum Geschäft. Er wies mich an, alleine hineinzugehen, die Soldaten zurückzugeben und mich beim Besitzer für meinen Diebstahl zu entschuldigen. Ich tat, was er mir aufgetragen hatte, und verspürte aufrichtige Reue. Als ich zurück im Wagen war, sagte mein Dad kein weiteres Wort. Er wusste, dass die Botschaft angekommen war.

      Der Großteil der alltäglichen Erziehungsarbeit bezüglich meiner Geschwister und mir fiel jedoch meiner Mutter zu. Sie fuhr mich zum Baseball-Training und machte sich während meiner Spiele Notizen, so wie sie es auch bei Dad getan hatte. Sie war wie eine Art Herbergsmutter, die mit unserer Pfadfindertruppe die Höhlen in Carlsbad und die Monahans Sandhills besichtigte. Mutter lud meine Freunde immer dazu ein, zwischen unseren schier endlosen Baseball- und Football-Sessions bei uns zu Mittag oder zu Abend zu essen. Wenn es sein musste, ergriff sie auch manchmal Disziplinarmaßnahmen. Anders als mein Vater war Subtilität nicht das ihre. Als ich jung war, gehörte es zum Beispiel zu ihrem Repertoire, mir den Mund mit Seife auszuwaschen, wenn ich etwas Unanständiges von mir gab oder tat – etwa als sie mich dabei erwischte, wie ich in die Hecke in unserem Garten urinierte. Im Großen und Ganzen hielt sie mich allerdings an der langen Leine, damit ich Spaß haben und ein freigeistiger Junge sein konnte.

      Der Erziehungsansatz meiner Eltern reflektierte die Grundhaltung ihrer Generation. Mein Vater verbrachte mehr Zeit mit uns als sein Vater mit ihm, dennoch waren Dads damals nicht so in die Erziehung involviert wie heute. In der Regel waren sie auch nicht so emotional. In unseren frühen Jahren war er keiner, der einen umarmte. Er sagte auch nicht »Ich liebe dich«. Aber das musste er gar nicht. Uns war immer klar, dass er uns bedingungslos liebte.

      Wir wussten auch, dass sich unsere Eltern gegenseitig liebten. In den 69 Jahren, in denen ich ihre Ehe nun schon beobachte, habe ich nie mitbekommen, dass es zwischen ihnen grobe Wortwechsel gegeben hätte. Selbstverständlich gibt es gelegentlich kleine Sticheleien oder auch einmal eine Meinungsverschiedenheit auf Augenhöhe. Allerdings spürte ich nie Zorn oder Frustration. Ihr solider und liebevoller Bund bot mir in meiner Kindheit stets Stabilität – und war ein Quell der Inspiration, als ich Laura heiratete.

      In jenen Tagen konnten meine Geschwister und ich noch nicht gänzlich verstehen, wie viel Glück wir eigentlich hatten. Andere taten das sehr wohl. Bei Lauras fünfzigstem Highschool-Abschluss-Jubiläum zog mich Mike Proctor, ein Freund aus Kindertagen, zur Seite. Mike hatte seinerzeit, als wir aufwuchsen, gegenüber gewohnt. Wir waren im gleichen Alter und in derselben Klassenstufe gewesen. Mike verbrachte viel Zeit bei uns zu Hause. Wir fuhren zusammen auf unseren Fahrrädern, spielten gemeinsam Football und waren in derselben Pfadfindergruppe. Was ich hingegen nicht wusste, war, dass Mikes Familie ernsthafte Probleme hatte.

      Beim Klassentreffen sagte Mike: »Es gibt etwas, das ich dir schon seit sehr langer Zeit sagen wollte. Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust.«

      »Kein Problem, Mike«, meinte ich. »Um was geht es denn?«

      »Sag deiner Mutter, dass ich mich bei ihr bedanke.«

      Er fuhr fort: »Damals ist es dir wahrscheinlich nicht aufgefallen, wie zerrüttet meine Familie war. Durch die Liebenswürdigkeit deiner Mutter konnte ich erleben, wie eine echte Familie funktioniert.«

      Am nächsten Tag rief ich meine Mutter an und erzählte ihr, was Mike gesagt hatte. Ich konnte fühlen, dass diese Art Dankbarkeit ihr Herz berührte.

      »Richte Mike meine lieben Grüße aus«, trug sie mir auf.

      ALS MEINE SCHWESTER Robin drei Jahre alt war, fiel meiner Mutter auf, dass sie nicht viel Energie hatte. Wenn Mutter sie etwa fragte, was sie gerne tun wolle, sagte sie, dass sie auf dem Bett sitzen oder im Gras liegen wolle. Das klang nicht normal für eine Dreijährige, weshalb sie Robin zur Familienärztin in Midland, zu Dr. Dorothy Wyvell, brachte.

      Dr. Wyvell führte ein paar Tests durch. Mutter sorgte sich, dass die Ergebnisse schlecht ausgefallen waren, als die Ärztin sie und Vater in ihre Praxis einlud. Jeder, der selbst Kinder hat, kann sich die Agonie des Gesprächs, das folgen sollte, ausmalen. Dr. Wyvell teilte meinen Eltern mit, dass Robins Bluttests ergeben hätten, dass sie an Leukämie leide. Die Anzahl ihrer weißen Blutzellen war jenseits von Gut und Böse – die höchste, die Dr. Wyvell je untergekommen war.

      Meine Eltern hatten erwartet, dass etwas im Argen läge, aber dies wiederum hatten sie nicht befürchtet. Schließlich erkundigte sich mein Vater: »Was ist der nächste Schritt? Wie werden wir sie behandeln?«

      Während sie antwortete, füllten sich die Augen Dr. Wyvells mit Tränen. Sie war ja nicht nur die Ärztin meiner Eltern. In der eng zusammenstehenden Gemeinschaft von Midland war sie eine Freundin. »Es gibt nichts, was ihr tun könnt«, sagte sie. »Wahrscheinlich bleiben ihr nur noch ein paar Wochen. Ihr solltet sie mit nach Hause nehmen und ihr alles so angenehm wie möglich machen.«

      Mein Vater konnte nicht akzeptieren, dass es keine Hoffnung mehr gab, sein kleines Mädchen noch zu retten. Er fuhr nach Hause und rief den Bruder seiner Mutter, Dr. John Walker, im Memorial Sloan Kettering, dem besten Krankenhaus zur Krebsbehandlung in New York, an. Sein Onkel meinte, dass es ein paar neue Fortschritte bei der Behandlung gebe, die Robin womöglich helfen könnten. Er bestätigte aber auch, was Dr. Wyvell gesagt hatte: Es gab keine Heilung für Kinderleukämie.

      Meine Eltern begaben sich also mit Robin nach New York. Sie wussten, dass die Chancen schlecht standen, aber sie weigerten sich, ihre Tochter aufzugeben. Wie auch Dr. Walker meinem Vater mitteilte: »Du würdest nicht mehr mit dir selbst leben können, wenn du nicht versuchen würdest, sie behandeln zu lassen.«

      Meine Eltern weihten mich nie richtig ein. Sie sagten mir nur, dass Robin krank sei beziehungsweise sie nach New York reisen würden, damit Onkel John ihr helfen könne, sich wieder besser zu fühlen. Mein Vater pendelte zwischen New York und Midland hin und her. Manchmal besserte sich Robins Krebserkrankung, und sie kam für ein paar Wochen zurück nach Hause. Dann hatte sie wieder einen Rückfall, und meine Eltern flogen mit ihr zurück nach New York. Während sie fort waren, ließen Mutter und Dad mich und meinen Bruder Jeb, der erst wenige Monate alt war, bei Freunden und Nachbarn aus Midland. Diese Leute wurden somit ohne mit der Wimper zu zucken zu unseren Ersatzeltern.

      Meine Eltern begegneten Robins Krankheit auf ihre jeweils eigene Art und Weise. Mein Vater war ein wahrer Wirbelwind. Wenn er sich in New York aufhielt, traf er sich mit Ärzten, ging Testresultate durch und erkundigte sich nach neuen Behandlungsmethoden. In Texas eilte er schon früh am Morgen aus dem Haus, ging in die Kirche, um für Robin zu beten, und stürzte sich darauf in die Arbeit. Wenn ich zurückdenke, dann war seine emsige Umtriebigkeit seine Art, um mit der Hilflosigkeit, die er fühlte, umzugehen. George Bush, der Navy-Pilot, der auf das Rettungsfloß geklettert und dem Tod davongepaddelt war, muss es als unerträglich erlebt haben, nichts für das kleine Mädchen, das er so liebte, tun zu können.

      Im Gegensatz zur Rastlosigkeit meines Vaters verbrachte meine Mutter beinahe jede Stunde, die sie wach war, an Robins Bett. Sie spielte mit ihr, las ihr vor und versuchte, sie bei guter Laune zu halten. Sie wohnte in New York bei den Walkers, und Familienmitglieder schauten im Krankenhaus vorbei, um ihr Unterstützung anzubieten. Mein Urgroßvater, der ruppige G.H. Walker – mit seinen 78 Jahren hatte er selbst sein letztes Lebensjahr erreicht – verbrachte Stunden damit, Robin Gin Rummy beizubringen. Sie nannte das Spiel »Gin Poppy«, nach dem Spitznamen, bei dem die Familie meinen Dad rief.

      Robins Behandlung war schmerzhaft. Die Chemotherapie und Bluttransfusionen gingen ihr an die Substanz. Mutter stellte eine Regel auf: Es durfte vor Robin nicht geweint werden. Das fiel meinem Vater sehr schwer. Mutter harrte stoisch an Robins Seite aus und tröstete ihre Tochter, wenn sie litt. Ihr Biograf Richard Ben Cramer beschrieb den Charakter meiner Mutter in diesen Tagen so: »Es ging über Stärke hinaus – sie war heroisch und ihr Handeln ein Akt des Willens und der Liebe.«

      Eines Tages besuchte Mutter die