Wolfgang Pohrt
Das allerletzte Gefecht
Über den universellen Kapitalismus,
den Kommunismus als Episode
und die Menschheit als Amöbe
FUEGO
- Über dieses Buch -
Hinter der Protestbewegung haben Atomkraft und Raketentriebwerke gesteckt, nicht die Liebe zum Sozialismus. Marx war Darwinist und das Kommunistische Manifest übler Kitsch. Der Kommunismus ist abgelaufen wie altes Badewasser, als der Stöpsel gezogen wurde. Der Mensch als Einzelner ist ein bösartiges Tier und die Menschheit als Ganzes eine wild wuchernde Amöbe. Linksradikale schöpfen aus dem Kapitalismus Lebenssinn und Seelentrost. Die Geschichte ist keine Schatzkammer, sondern eine Leichenhalle, und aus der Vergangenheit kann man nur lernen, dass man sie vergessen soll. Das ist die Wahrheit, aber nicht die ganze, sondern wahr ist auch das Gegenteil. Wie er es damit hält, muss jeder selbst für sich entscheiden. Vorbeter gehören in die Kirche oder ins Politbüro.
Vorbemerkung
Vor 40 Jahren hat unsereiner noch an die heile Welt geglaubt. Wenn man sie machen wollte, musste man nur ins richtige Rezeptbuch schauen. Wir lasen Marx und fingen an zu träumen. Es war die Zeit, als Mitscherlich das Phänomen von der vaterlosen Gesellschaft entdeckte – genial, denn von alleinerziehenden Müttern sprach damals noch keiner. Da fehlte was, und Marx füllte mit seinen boni patres familias die Lücke:
»Selbst eine ganze Gesellschaft, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und sie haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.«1
Die Weltgeschichte als kleinbäuerlicher Familienbetrieb auf eigener Scholle mit einem Patriarchen an der Spitze, das war nach dem Geschmack vaterlos herangewachsener Flüchtlingskinder. Wir wollten wieder Wurzeln schlagen, und diesmal gleich für immer.
Aber so einfach ging das gar nicht, der Eigentumsformen im Kapitalismus wegen nämlich. Marx hat zwei gefunden und bewiesen, dass alle beide schädlich sind:
»Bei beiden Formen tritt an die Stelle selbstbewußter rationeller Behandlung des Bodens als des gemeinschaftlichen ewigen Eigentums, der unveräußerlichen Existenz- und Reproduktionsbedingung der Kette sich ablösender Menschengeschlechter, die Exploitation und Vergeudung der Bodenkräfte.«2
Eine Aufforderung zum Handeln: Wir müssen Sozialismus machen, und dann ist die Erde wieder rund. Denn wenn ich historisches Subjekt geworden bin, ist der Acker mein. Für immer. Versprochen.
Aber der Weg zum Sozialismus ist weit, so weit, auf der langen Reise hat man viel Zeit und kommt dabei ins Grübeln. Mal angenommen, wir haben den Sozialismus, ich bin ein Bauer, ich mobilisiere alle meine Brutpflege- und Arterhaltungsinstinkte und bin bereit, mein ganzes Sinnen und Trachten darauf zu richten, dass ich den Nachkommen einen verbesserten Boden hinterlasse. Aber weiß ich denn überhaupt, ob meine Enkel auf dem Acker ein Maisfeld oder einen Wald haben wollen, oder ob er dann Baugrund für eine Wohnsiedlung oder eine Fabrik geworden ist? Ich weiß es nicht, und die ganze schöne Geschichte vom ewigen Eigentum, das ich pflegen soll, fällt zusammen. Raumordnungspläne für die Ewigkeit sind reiner Unfug
Marx verlangt Hellseher, Hellseher aber sind die Menschen nicht und werden sie auch im Sozialismus nicht. Dies umso weniger, als die Natur ja auch noch ein Wörtchen mitreden kann. Da hatten die Menschen nun im Pharaonenreich nicht nur den Boden hervorragend präpariert, sondern obendrein ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem installiert, aber dann blieb der Regen plötzlich aus, und das von vielen Generationen fruchtbar gemachte Schwemmland wurde eine Wüste. Gut, dass die Leute damals Marx noch nicht gelesen hatten, sie hätten sonst ziemlich belämmert dagestanden: Wir haben doch alles richtig gemacht! Wieso jetzt das?
In den Religionen findet auch die Unberechenbarkeit der Natur ihren Platz, in der Gestalt von Gottes unerforschlichen Ratschlüssen. Mal schickt er Überschwemmungen, mal Dürre, mal reiche Ernte und mal keine. Einerseits zwar »Macht Euch die Erde untertan!«, eine Forderung, aus der man eine Fürsorgepflicht im Marxschen Sinne ableiten kann, andererseits unausgesprochen daneben aber der Vorbehalt: »Ob Ihr das schafft, hängt von meinem Wohlwollen ab!«
Bei Marx verschwindet diese Drohung. Wenn jede Generation der nachfolgenden den Boden verbessert hinterlässt und einzig dieser Prozess die Entwicklung bestimmt, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir wieder im Garten Eden angekommen sind, nämlich in der kommunistischen Gesellschaft, die es mir
»möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.«3
Also wäre die kommunistische Gesellschaft eine, in der man mindestens zehn Hobbys braucht, um die Zeit totzuschlagen. Marx verspricht hier den feudalen Lebensstil eines britischen Landedelmannes für alle, den Lebensstil eines Lord Peter Wimsey zum Beispiel, den wir als Held der Krimis von Dorothy Sayers kennen.
Auf Erwerbsarbeit seines Vermögens wegen nicht angewiesen, ist er die zweckfreie Kombination aus Universalgelehrtem, Sportsmann, Kunstkenner, Dichter, Hausvater, Lebemann, Meisterschütze und Landwirt. Voraussetzung für seine Freiheit, beim Wechseln der Tätigkeiten eigener Lust oder Unlust zu folgen, sind natürlich Bedienstete und Knechte, die ihm Essen kochen, vor allem aber das Vieh füttern, wenn er selbst keine Lust auf den Stall hat, also fast immer. Bei Marxens Feierabendviehzüchter muss es sich um einen Scherz oder eine Provokation gehandelt haben, oder Marx hatte von Tierhaltung keinen blassen Schimmer.
Ein komfortables Leben also, wie man es sich gar nicht besser wünschen kann, aber doch langweilig, reizlos, trostlos, für uns wie für ihn, gäbe es nicht außerdem die Verbrecher und Verbrecherbanden, die unter Lebensgefahr dingfest zu machen der Edelmann sich zum Ziel gesetzt und zur Aufgabe gemacht hat. Ab diesem Zeitpunkt ist er nicht mehr frei, sondern er muss sich der Aufgabe und dem Ziel unterwerfen. Nicht seine Lust entscheidet, sondern die Entwicklung des Falles zwingt ihn zu tun, was getan werden muss. Und die belebende Spannung, die er empfindet und wir auch, resultiert aus dem Risiko des Scheiterns.
Im Rückschluss wirft solche Verschränkung von Hochgefühl und Risiko, von Pflicht und Genuss die Frage auf, ob der Kommunismus vielleicht deshalb immer nur gescheitert und keinen Schritt vorangekommen ist, weil er dem Menschen eine Welt verspricht, die sie im Grunde ihres Herzen gar nicht mögen, eine Welt ohne Zwänge, Bewährungsproben und Risiken. Vielleicht sind die Menschen von Natur aus Glücksritter und Spieler, die nicht nur leben wollen, sondern auch gewinnen.
Der Sammler – der braucht Glück – und der Jäger – der will einen Kampf gewinnen –, alle beiden stecken nun mal in unseren Genen. Vielleicht ist es unmöglich, diese Gestalten und ihre Begierden abzutöten, ohne die Menschen selbst umzubringen.
Und wenn das so ist, braucht man andere Ideen, weil die sich ändern lassen, man die Menschen aber nehmen muss, wie sie nun mal sind. Dass der Kapitalismus die letzte Etappe der Weltgeschichte wird ist ebenso unwahrscheinlich wie eine nachfolgende Gesellschaft ohne Gewinner und Verlierer. Man kann nur die Spielregeln ändern und dafür sorgen, dass Menschen nicht unter Entbehrungen leiden müssen, wenn sie beim großen Gewinnspiel nicht mitmachen wollen oder können.
Ist es schlimm, nach lebenslanger Beschäftigung mit Marx einsehen zu müssen, dass der Kommunismus wohl doch nicht funktionieren wird? Muss man sich grämen wegen der vielen verlorenen Jahre vergeblichen Bemühens?
Überhaupt nicht, es sei denn, man nähme sich wichtiger, als man ist. Nirgends ist man mehr Kind seiner Zeit als beim Denken und Schreiben, wo man sich dieser Abhängigkeit enthoben glaubt. Die vergangenen Zeiten waren so. Jetzt sind sie anders. Es werden wieder andere kommen, und dann können die Einsichten von heute sich als Irrtümer erweisen. Ewige Wahrheiten gibt es nicht, ewig sind nur die Banalitäten.
Am wichtigsten für den Verfasser waren der erste Text und besonders der letzte. Der erste, Die Vertreibung aus dem Paradies, weil bei der Arbeit daran die Geschichte sich von einer unbekannten Seite zeigte. Im letzten Text, Sie kriegt