Die Marokko-Show. Jeremias Schulthess. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jeremias Schulthess
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783864080197
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       Jeremias Schulthess

      Die Marokko-Show

      Die zweite Marokkokrise 1911

      Mit zahlreichen historischen Fotografien

       Impressum

      ISBN 978-3-86408-019-7 (epub) // 978-3-86408-020-3 (pdf)

      Lektorat/ Korrektorat: Frank Petrasch

      © Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2011

       www.vergangenheitsverlag.de

      Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

      Coverfoto: Ausschnitt aus Bundesarchiv, Bild 102-12449 / CC-BY-SA

      eBook-Herstellung und Auslieferung:

       readbox publishing, Dortmund

       www.readbox.net

       Inhaltsverzeichnis

       Einleitung

       Der deutsche Platz an der Sonne

       Ein Hilferuf aus Marokko

       „Hurrah! Eine Tat!“

       Krieg oder Frieden?

       Quellenteil

       Quelle 1: Unterredung zwischen Kiderlen und Claß im Pfälzer Hof zu Mannheim am 19. April 1911 (aufgezeichnet von Claß)

       Quelle 2: Denkschrift zur Vorlage der Marokko-Politik an den Kaiser

       Quelle 3: Wilhelm Regendanz an Ernst Langwerth von Simmern zur Unterzeichnung des „Hilferufs“

       Quelle 4: Kiderlen an an den Botschafter in Paris, von Schoen, bezüglich der Übergabe des „Aide-mémoire“

       Quelle 5: Kölnische Zeitung, 14. Juli 1911 über „Kompensationen“

       Quelle 6: Tagebucheintrag von Walther Rathenau zur Unterhaltung mit dem Kanzler Bethmann Hollweg

       Quelle 7: Kölnische Zeitung, 9. September „Warum Krieg?“

       Literatur

       Einleitung

      Am 1. Juli 1911 richteten sich die Blicke der Weltöffentlichkeit auf die marokkanische Hafenstadt Agadir. Das Kriegsschiff S.M.S. Panther hisste vor der Küste Marokkos die deutsche Flagge mit der Begründung, deutsche Unternehmen vor marokkanischen Aufständischen zu schützen. Agadir, eine Stadt im Süden Marokkos, in der es weder deutsche Unternehmen, noch Aufständische gab und von der kaum ein Europäer je gehört hatte, rückte auf einmal in den Fokus der internationalen Diplomatie. Seit Jahren war der Hafen für Handelsschiffe geschlossen. Dementsprechend war der Auftritt eines der reparaturbedürftigsten Schiffe der deutschen Marine vor der Küste Marokkos nicht mehr als inszenierte Symbolpolitik einer um Geltung kämpfenden Reichsregierung. Es ging darum, „mit der Faust auf den Tisch zu schlagen.“1 Man wollte von deutscher Seite zeigen, dass man – ebenso wie die anderen Kolonialmächte – Interessen in der Welt zu verteidigen habe. Der „Panthersprung nach Agadir“, wie die Aktion genannt wurde, sollte das angeschlagene Image des Kaiserreichs aufpolieren – eine inszenierte „Show“, mit realpolitischen Konsequenzen.

      Während der Fokus der Öffentlichkeit auf Marokko lag, konnte die Reichsleitung abseits vom Scheinwerferlicht ihre eigentliche Kolonialpolitik vorantreiben. Seit längerem hatte man Gebiete in Zentralafrika ins Visier genommen. Das aggressive Vorgehen in Marokko entpuppte sich als Ablenkungsmanöver – Frankreich sollte mit der deutschen Drohgebärde lediglich an den Verhandlungstisch gezwungen werden. Die Rechnung ging auf, die französische Regierung sah ihre Interessen in Marokko gefährdet und trat mit Berlin in Gespräche ein, auch um einen möglichen Krieg mit Deutschland zu verhindern.

      Das Ergebnis der deutsch-französischen Verhandlungen, das im November präsentiert wurde, gab jedoch Anlass für Kritik: Ein paar Landstriche an der Grenze zwischen Deutsch-Kamerun und dem französischen Kongo hatte der „Panthersprung“ den Deutschen eingebracht, was für viele als schmachvoller Rückzug wahrgenommen wurde – schließlich hatte die Reichsleitung doch Interesse an Marokko bekundet.

      Die Kanonenbootpolitik vor Marokko markierte einen imperialistischen Höhepunkt der Vorkriegszeit. In einer Zeit, in der nicht die Frage am Horizont stand, ob, sondern nur wann ein Krieg ausbrechen würde, konnte ein derart waghalsiges Manöver wie es der „Panthersprung“ war, jederzeit einen europäischen Flächenbrand auslösen. Die bündnispolitische Konstellationen spitzten sich immer mehr zu. England und Frankreich hatten sich nach kolonialen Streitigkeiten im Sudan seit 1904 mit dem Abschluss der „Entente cordiale“ verbrüdert, während Deutschland mit Österreich-Ungarn seit 1873 ein immer fester werdendes Bündnis einging. Insofern war der „Panthersprung“ schließlich nicht nur gegenüber Frankreich, sondern auch England eine Provokation, der die „Entente cordiale“ auf eine Bewährungsprobe stellte. Die Eskalation eines kleinen, unverdächtigen Konflikts konnte somit jederzeit die Involvierung des ganzen Kontinents mit sich ziehen. Nur drei Jahre später, 1914, brachen die imperialen Gegensätze durch den Mord des österreichischen Thronfolgers, Franz Ferdinand, hervor – ein Umstand, vergleichbar mit der Situation in Marokko, die ebenfalls einen Weltkrieg hätte bedeuten können.

      Als Drahtzieher des „Panthersprungs“ war der Staatssekretär des Äußeren, Alfred von Kiderlen-Wächter, maßgebend beteiligt. Seit seiner Einberufung im Jahr 1910 genoss er den Ruf, die deutsche Außenpolitik mit einer „starken Hand“ zu lenken. „Ein Mann von Mut und Entschlossenheit,“ der den Kanzler über sein politisches Vorgehen oft im Dunkeln ließ. Bethmann hätte ihm „feste zu trinken geben“ müssen, „damit er [Kiderlen] endlich sagt was er eigentlich will.“2 Eine solch selbstbewusste Haltung eines Staatssekretärs war neu. Verfassungsgemäß waren außenpolitische Fragen schließlich immer noch Angelegenheit des Kaisers. Praktisch hatte der Kaiser in diesem Bereich beinahe nur noch eine repräsentierende Funktion. Initiative und Verantwortung lagen beim regierenden Kabinett, dessen Handlungsfeld sich mehr oder weniger offen gestaltete. Die eigentliche Entscheidungskompetenz lag somit beim Kanzler und seinen Staatssekretären. Dass der erste Staatssekretär des Auswärtigen Amtes einen derartigen Coup wie den „Panthersprung“ landete, ohne dass alle Kabinettsmitglieder darüber informiert wurden, war für viele undenkbar. In der Tat waren mehr Vertreter aus hochrangigen Wirtschaftskreisen, als diplomatische Mitarbeiter in die Planung involviert.3

      Die zweite Marokkokrise steht damit nicht nur für die Inszenierung eines weltpolitischen Ereignisses zur Realisierung des deutschen Weltmachtanspruchs, sondern auch exemplarisch für die enge Verbindung von Politik und Wirtschaft im späten Deutschen Kaiserreich. Interessenverbände buhlten bei den Entscheidungsträgern der auswärtigen Politik um Aufmerksamkeit. Das Auswärtige Amt verfolgte allerdings auch eigene Ziele. Eine vertrackte Konstellation, die sich