Red House. Andreas Bahlmann . Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Bahlmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783862870752
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       Andreas Bahlmann

       Red House

      der Blues war immer dabei

      – nicht nur in Oldenburg

      FUEGO

      – Über dieses Buch –

      Red House erzählt in einer Zeit-Reise ohne Chronologie Geschichten der sechziger bis in die achtziger Jahre, die oft in ganz tiefer Verbindung zur Musik und Liebe zum Leben stehen und ganz bestimmt hätten manche dieser subjektiv wahren Geschichten ohne den Blues einen anderen, als den erlebten und erzählten Verlauf genommen ... nicht nur in Oldenburg ...

      Meinem Vater

Kapitellogo

      »Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt, … das gibt's nicht, zumindest probiert wird es!«

      Dabei hatte ich überhaupt keinen Hunger.

      In der Schule, – damals hieß es noch Volksschule, in der die Schüler von der ersten bis zur neunten Klasse untergebracht waren –, also, in der Schule hatte mich einer der alten Lehrer, Herr Jünter, ein strammer Altnazi, an den Ohren hochgezogen, bis ich mit den Füßen in der Luft hing. »Bremer Gänse« nannten wir das und es tat wirklich verdammt weh.

      Es gab zwei Arten der »Bremer Gänse« – die gute und die böse. Die gute war die schmerzhafte freundschaftliche Spaß-Version, dabei presste jemand deinen Kopf an den Ohren mit den flachen Handinnenflächen, wie in einem Schraubstock, zusammen und hob dich dann mit heiß-bremsenden Ohren und zusammengequetscht entstelltem Gesicht hoch, bis du mit den Füßen in der Luft warst. Eine äußerst anstrengende Herausforderung für alle Beteiligten, die erst mal bewältigt und auch ertragen werden musste.

      Die böse war die übelst schmerzhafte, feindliche »Marter«- oder »Rache«-Version, bei der die Finger in die Ohren gekrallt, die Handballen den Kopf fest bis brutal, vorzugsweise am Kiefergelenk, quetschten, um so den richtigen Zug nach oben zu bekommen, wegen der gewünschten Fuß- und Beinfreiheit.

      Die gute Version der »Bremer Gänse« beherrschte Herr Jünter natürlich nicht und ich kann mich nicht daran erinnern, dabei geweint zu haben, vermutlich nicht, sonst hätte ich eine andere Erinnerung daran.

      Tränen zu zeigen, das war in den Sechzigern einfach nicht angesagt und als Junge heulte man schon gar nicht.

      »Ein Indianer kennt keinen Schmerz!«, »Nur Mädchen heulen!«, »Heulsuse!«.

      Sprüche wie diese habe ich als Kind so oft zu hören und regelrecht eingebläut bekommen. Wer hat sich so einen Unsinn eigentlich ausgedacht?

      Wenn du als Junge geheult hast, dann warst du 'ne »Memme«, ein »Waschlappen« und bei den anderen unten durch. Gepetzt wurde auch nicht. Petzen? Das war ja noch schlimmer als Heulen!

      Das taten nur die Mädchen und die Streber und die waren sowieso alle doof! … naja, bis auf Beate und Elke und Regina vielleicht … und Marie-Luise, die war unglaublich stark und unglaublich groß und konnte schnell hinter einem herlaufen … Also, die war auch nicht doof.

      Also hielt ich den Mund, ertrug tapfer die Schmerzen meiner heißen Ohren und hing mit den Füßen in der Luft.

      Ich war gestoßen worden. Auf dem Schulhof, von einem der Großen. Das waren die Jungs aus der achten und neunten Klasse, die immer auf der Toilette rauchten und uns den Gang versperrten oder, wenn wir uns reintrauten, auf ziemlich üble Art und Weise schikanierten, sodass wir uns oft genug nicht anders zu helfen wussten, als an die Schulhofsmauer zu pinkeln, während die Freunde um uns herum einen Sichtschutzkreis bildeten. Einer meiner Klassenkameraden konnte sogar über die Mauer rüberpinkeln – das war 'n echter Held!

      Die männlichen Lehrer wussten, was die »Großen« mit uns machten, wenn wir in der Toilette waren, aber sie sagten in der Regel nichts weiter dazu, ließen sie sich doch gerne von den Großen eine Zigarette ausgeben.

      Einer der Großen hatte mich gestoßen und ich fiel in ein Fahrrad, welches umkippte und daraufhin eine Kettenreaktion umstürzender Fahrräder auslöste. Eine Fahrradlawine! Ein großer, restlos ineinander verhakter Haufen von Fahrrädern … und ich war schuld!

      So sah es jedenfalls Herr Jünter, der stramme, alte Lehrer.

      »Gottfried! Aufheben! Du hebst sofort die Fahrräder wieder auf!« – »Aber, ich konnte doch gar nichts dafür! Ich bin geschubst worden!« – »So? Von wem denn? Wer soll es denn gewesen sein?«

      Da war sie wieder: die für einen Jungen der Sechziger wirklich fiese Situation … Petzen war wirklich ein Tabu und abgesehen davon hatten die Großen nach der Schule immer mehr Zeit als wir und der Große hätte mich dann auf dem Nachhauseweg nach Schulschluss abgepasst.

      Das passierte damals öfters, auch ohne besonderen Anlass, deswegen hatten wir ja auch unsere Jungsbande. Wir gingen gemeinsam zur Schule und gingen gemeinsam nach Hause. In der Gruppe waren wir sicherer. Nur diejenigen, die nachsitzen mussten, gingen dann alleine und oft auch ängstlich, auf Umwegen nach Hause.

      Wegen der Großen, aber auch wegen der Strafe, die einen zusätzlich noch zu Hause wegen des Nachsitzens erwartete.

      »… also? Wer hat dich geschubst, Gottfried? Ihr wisst doch ganz genau, dass Ihr hinter der Linie nichts verloren habt, also heb jetzt die Räder wieder auf, die du umgeschmissen hast!« – »Nein! Das mach ich nicht, ich war's nicht!« – »Oh doch, Gottfried, das wirst du tun …, und zwar sofort!«

      Ich spürte diese gnadenlos greifenden, krallenden Finger seiner alten, harten Hände.

      Ich hasste Herrn Jünter mit seiner streng gescheitelten Haarfett-Pottschnittfrisur.

      Ich hatte keine Chance und die Großen schauten mir grinsend und hämische Kommentare ätzend zu, als ich schließlich mit roten, schmerzenden Ohren die Fahrräder entknotete und aufstellte.

      Das war die eine Seite des Alltags, aber dann gab es da auch noch eine andere Welt, die sich mir nach und nach auftat, eine nahezu vollkommene, neue Seite des Lebens:

      Ich erhielt wunderbare Antworten, die ich nicht formulieren konnte, auf Fragen, die ich nicht auszudrücken wußte und bis heute nicht kann.

      Dieses neue Leben hieß ab Ende der Sechziger – The Rolling Stones, Led Zeppelin, Chuck Berry, Elvis Presley, Deep Purple, the Guess Who, Creedence Clearwater Revival, Mungo Jerry, The Move, Black Sabbath, Canned Heat und …

      Jimi Hendrix!

      Es gab da dieses eine, unglaubliche Gitarren-Intro, welches von einem Moment auf den anderen für mich wirklich alles auf den Kopf stellte. Dieses Intro veränderte zu Beginn meines neunten Lebensjahres meine gesamte musikalische Wahrnehmung – nachhaltig bis heute. Das Stück hieß »Red House«. Jimi Hendrix hatte es 1966 geschrieben, … als ich essen musste, was auf den Tisch kommt.

      Es war meine erste, wirklich beinahe schon körperliche Erfahrung von Musik, noch nie zuvor in meinem damals so jungen Leben hatte ich so etwas Unglaubliches und Großartiges gehört oder erlebt. Dieses Gefühl dieses damaligen, geradezu magischen Erlebnisses verließ mich nie wieder, wurde zu meinem treuen Lebensbegleiter, trotz aller Irrungen und Wirrungen, die der Lauf des Lebens für mich noch so mit sich bringen sollte. Jimi machte mit »Red House« die Tür, meine Tür zur Musik, zum Leben, zum Blues auf.

      Die Beatles waren ja auch nicht schlecht, aber das war damals für mich eher so »Mädchen-Mucke« und Mädchen waren ja ziemlich doof, – bis auf Beate, Elke, Regina und die immer noch sehr starke Marie-Luise …, naja, »Kuschi« kam jetzt auch noch dazu.

      Wie genial die Beatles waren, sah, hörte und begriff ich erst viel später, aber es ist dennoch bis heute so, wirklich berührt oder ergriffen werde ich nur vom Blues oder Musik, deren Ursprung oder Ausdruck mit dem Blues verwurzelt ist.

      Mein vier Jahre älterer Cousin spielte diese Musik auf seinem Mono-Plattenspieler ab und er erlaubte mir, zuzuhören und mich haute es buchstäblich jedes Mal wieder um!

      Auf einmal nahm ich vieles anders, so richtig anders wahr, und ich nutzte nahezu jede sich mir bietende Gelegenheit,