Das Ideal des Kaputten. Jessica Jurassica. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jessica Jurassica
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783906913285
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      Jessica Jurassica

      Das Ideal

      des Kaputten

      Roman

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      Verlag und Autorin danken dem ça ira-Verlag (www.ca-ira.net) für die Erlaubnis, den Titel des Buches »Das Ideal des Kaputten« von Alfred Sohn-Rethel zu verwenden.

      Die Autorin und der Verlag danken für die Unterstützung durch den Kanton Appenzell Ausserrhoden, die Stadt Bern und den Kanton Bern.

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      Jessica Jurassica

       Das Ideal des Kaputten

      Roman

      lectorbooks GmbH, Zürich

       [email protected]

       www.lectorbooks.com

      Umschlagbild: Jessica Jurassica

      Umschlaggestaltung: André Gstettenhofer

      Satz: Peter Löffelholz

      Lektorat: Patrick Schär

      Korrektorat: Gertrud Germann

      Gesamtherstellung: CPI Books GmbH, Leck

      1. Auflage 2021

      © 2021, lectorbooks GmbH

      Alle Rechte vorbehalten

      ISBN 978-3-906913-27-8

      eISBN 978-3-906913-28-5

      Inhalt

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Zitatnachweis

       Zur Autorin

       1

      Den ganzen Sommer über roch es irgendwie seltsam. Die Stadt roch seltsam und meine Wohnung, meine Mitbewohner, die Männer, mit denen ich schlief – mein ganzes Leben roch seltsam. Und auf meine Haut hatte sich ein glänzender Film gelegt, den ich einfach nicht wegbekam und der seltsam roch.

      Ich verbrachte diesen seltsam riechenden Sommer fast durchgehend in meiner Hängematte, die ich damals in Kolumbien für die Ayahuasca-Zeremonie gekauft hatte, und während ich in dieser kolumbianischen Hängematte lag, wehte der Wind durch die Wohnung, alle Fenster offen, 34 Grad im Schatten.

      In den grob gewebten Stoff der Hängematte hatte ich von Hand ein paar Worte gestickt, damals im Flash der Tage nach dem Ayahuasca-Trip, als ich gedacht hatte, dass ich wohl für immer hängen geblieben sei. rios de dolor, cascadas de amor stand da in naiver Schrift, Flüsse des Schmerzes und Wasserfälle der Liebe. Ich war damals wirklich ziemlich hängen geblieben, aber das war immer noch besser als jetzt. Ich bildete mir ein, alt und abgeklärt geworden zu sein oder erwachsen vielleicht, aber in Wirklichkeit war ich einfach nur depressiv. Mein Leben bestand aus einer Aneinanderreihung von Regelmäßigkeiten, ich bezahlte fast jeden Monat meine Miete, ich aß regelmäßig tagelang nichts und meine Menstruation ließ regelmäßig auf sich warten, um dann doch noch im ungünstigsten Moment einzutreten. Gleichzeitig wurde meine Arbeit plötzlich ernst genommen von arrivierten, einflussreichen Menschen, meist Männern, die mich nach Zürich zum Kaffee einluden. Sie sahen in mir das Nachwuchstalent, das dieses Land brauchte in Zeiten der Medienkrise, so kam es mir jedenfalls vor, vielleicht wollten sie auch nur ficken, aber das war mir eigentlich ziemlich egal. Es widerte mich alles an, was von Zürich her durch das Display in meine Wohnung schwappte.

      Zürich war für mich nie mehr gewesen als ein Verkehrsknotenpunkt zwischen dem Appenzeller Hinterland und der Bundeshauptstadt, in die ich vor ein paar Jahren gezogen war, um irgendwas mit Geisteswissenschaften zu studieren, das mich meistens nur so mittel interessierte und das ich nach meinem nicht sehr erfolgreichen Bachelorabschluss bald komplett vergessen hatte. Manchmal kam mir das Diplom wieder in den Sinn, und dann fragte ich mich, wo ich es wohl hingelegt hatte.

      Ich spülte alles runter mit sauer gespritztem Weißwein, die Hitze, den Nihilismus, die Medienkrise. Gegen Abend ließ ich mich manchmal die Aare runtertreiben, immer den Gedanken im Hinterkopf, einfach weiterzutreiben. Wenn man sich weit genug treiben lässt, dann ist man irgendwann tot, so hatte man mir das jedenfalls erklärt, als ich herzog. Ich stieg trotzdem jeweils bei der drittletzten Möglichkeit aus dem Wasser, weil es dort neuerdings eine hippe kleine Pop-up-Bar gab, wo man sauer gespritzten Weißwein trinken konnte, dafür nicht mehr kiffen wegen der vielen Menschen, und alle hatten noch ein Kind mit dabei. Manchmal kamen Lokaljournalistinnen und fragten, was man denn so halte von diesem Pop-up-Ding und ob es okay sei, wenn man auch auf dem Foto drauf sei für den Sommerloch-Artikel in der nächsten Ausgabe, und dann fragte ich mich, weshalb ich mich nicht doch weiter hatte runtertreiben lassen.

      Ich hasste die Journalisten und Journalistinnen, sie hatten mir den Sommer versaut. Ich war da reingerutscht und schaute im Internet den Debatten zu, die mit komplett irrer Geschwindigkeit geführt wurden. Jede Woche gab es einen anderen Shitstorm oder Hype, einen Artikel, einen Facebook-Post von irgendeinem SVP-Arschloch, alle stürzten sich drauf, und ganz egal, ob sie jemanden zerrissen oder feierten, sie konnten dich innerhalb weniger Stunden zerfetzen. Sie meinten es nur gut, aber am Ende lagst du da unter der Last dieser ekligen Blase, die sich auf dich gedrückt hatte. Danach ließen sie dich wieder fallen und irgendwo liegen, sie vergaßen dich sofort, wie ein komplett gestörter Fuckboy, der dich manisch fickt und dir tausend euphorische Komplimente macht, und dann zieht er sich an, drückt dir einen Kuss auf die Stirn, geht lächelnd raus, lässt die Tür hinter sich zufallen und ghostet dich einfach. Und wenn du Glück hast, wenn du dir Mühe gibst, bist du irgendwann mal wieder interessant genug für einen One-Night-Stand. Nein, es gibt keine Liebe in Zeiten der Medienkrise.

      Einmal war mir alles so langweilig, dass ich mir das Tamedia-Logo in die Leistengegend tätowierte. Ich tat es nicht gern, aber es musste sein. Wenigstens ein bisschen Punk in meinem trägen Alltag, der bereits nach Bürgerlichkeit zu stinken begann, als könnte ich überhaupt jemals bürgerlich werden oder irgendwas in diese Richtung. Das lag mir gar nicht, und doch hatte ich panische Angst davor. Na ja, und deshalb halt diese Tätowierung in der Leistengegend. Wenn man mich fickte, konnte man runterschauen und sich denken: Ich fick Tamedia. Ich fick Pietro Supino. Ich fick all die devoten Scheiß-Journos.

      Ich hasste die Journalisten und Journalistinnen auch, weil ich den Eindruck