Verkehrsflugzeuge. Dietmar Plath. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dietmar Plath
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783964530073
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Unternehmen die Arbeit auf, und 1971 schließlich lief die Serienfertigung der EMB 110 Bandeirante an. Die ersten Exemplare gingen im Februar 1973 an die brasilianische Luftwaffe, aber bereits wenig später setzten auch die heimischen Fluggesellschaften Transbrasil und VASP das neue Regionalflugzeug ein. Erste Exporte folgten 1977. Bereits 1974 hatte Embraer ein Abkommen mit Piper über die Lizenzfertigung diverser ein- und zweimotoriger Modelle unterzeichnet, und im Oktober 1976 startete die EMB 121 Xingu, ein zweimotoriges Geschäftsreiseflugzeug mit Turbopropantrieb und die erste wirklich eigenständige Embraer-Entwicklung, zu ihrem Jungfernflug. 1980 schließlich begannen die Arbeiten an der EMB 120 Brasilia, die anders als die Bandeirante von vornherein ausschließlich auf den zivilen Markt ausgerichtet war und vor allem in Nordamerika, wohin 1985 auch die ersten Auslieferungen erfolgten, sehr populär wurde. Parallel zu diesen kommerziellen Erfolgen sorgte auch der brasilianische Staat für das Wohlergehen seines wichtigsten Flugzeugherstellers. So wurde ihm die Fertigung der anderweitig entwickelten Modelle Urupema (ein Segelflugzeug) und Ipanema (ein Sprühflugzeug für die Landwirtschaft, das auch heute noch produziert wird) ebenso übertragen wie die Lizenzproduktion des italienischen Militärtrainers MB-326. Ab 1981 verschaffte das mit den Firmen Aeritalia und Aermacchi (beide aus Italien und heute Teil des Leonardo-Konzerns) entwickelte Kampfflugzeug AMX Embraer Zugang zu neuesten Technologien, die sich später als nützlich erweisen sollten.

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      Embraers Hauptwerk liegt in São José dos Campos, eine gute Stunde von São Paulo entfernt.

       Die Krise

      Zunächst musste Embraer jedoch die größte Krise der Unternehmensgeschichte überstehen. Der Kalte Krieg, der immer wieder für Nachfrage nach Militärflugzeugen gesorgt hatte, ging zu Ende, gleichzeitig kürzte die Regierung – nicht zuletzt aufgrund der leeren Staatskasse – die Unterstützung, so dass es Embraer an finanziellen Mitteln für die Entwicklung des geplanten 50-sitzigen Regionaljets EMB-145 fehlte. Die Zahl der Mitarbeiter sank innerhalb kürzester Zeit von fast 14.000 auf unter 10.000, und die Zukunft des Flugzeugherstellers war mehr als ungewiss. Das änderte sich 1994, als im Zuge der Privatisierung mehrere Finanzinstitute und Pensionsfonds die Mehrheit an dem Unternehmen übernahmen und mit Mauricio Botelho ein erfahrener Geschäftsmann, der seinen Mangel an Luftfahrterfahrung durch seinen Elan und sein Verkaufstalent mehr als wettmachte, das Ruder in die Hand nahm. Nachdem sich eine Reihe von Zulieferern als Risikopartner an der Entwicklung beteiligt hatten, konnte auch die Finanzierung der EMB-145 (später ERJ 145) auf solide Beine gestellt werden, und der Verkaufserfolg des zur exakt richtigen Zeit auf den Markt kommenden Regionaljets etablierte Embraer endgültig in der Spitzengruppe der Flugzeughersteller.

      Eine Position, die das Unternehmen in den Folgejahren geschickt zu festigen verstand. Beispielsweise 1999 durch den Einstieg einer Gruppe französischer Luftfahrtunternehmen, darunter Aerospatiale, Dassault und Snecma, die 20 Prozent der Aktien übernahmen. Im selben Jahr wurde die Entwicklung einer komplett neuen Familie von Flugzeugen für zwischen 70 und 118 Passagieren angekündigt (die „E-Jets“ Embraer 170, 175, 190 und 195), und 2000 folgte der Einstieg in die Geschäftsluftfahrt, als der Businessjet Legacy auf Basis der ERJ 135 vorgestellt wurde. Mit der Präsentation der Neuentwicklungen Phenom 100 und 300 im Jahr 2005, der Lineage 1000 (eine modifizierte Embraer 190) zwölf Monate später und dann der Legacy 450 und 500 im Jahr 2008 wurden diese Aktivitäten noch ausgebaut. Diese Ausweitung des Produktportfolios, dank der das Unternehmensschicksal nicht mehr einzig von der Entwicklung eines Marktsegments abhängig ist, die Einrichtung einer zweiten ERJ-145-Endmontagelinie im Rahmen eines Joint Ventures mit der chinesischen AVIC I, der Einstieg beim portugiesischen Hersteller OGMA und eine Vereinfachung der Aktienstruktur im Frühjahr 2006 sollten Garanten dafür sein, dass Embraer auch in Zukunft eine gewichtige Rolle im (Verkehrs-)Flugzeugbau spielt. Doch der Einstieg von Airbus in Bombardiers CSeries-Programm änderte die Situation in der Branche grundlegend, und es kam zu Gesprächen zwischen Boeing und Embraer über eine Zusammenarbeit. Schließlich wurde 2018 die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens beschlossen, in das Embraer seine Verkehrsflugzeug-Baureihen einbringen und an dem der brasilianische Hersteller 20 Prozent der Anteile halten sollte. Doch im April 2020 kündigte Boeing überraschend die Vereinbarung, und Embraer muss sich einen neuen Partner suchen.

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      Die E-Jets: Embraer 170, 175, 190 und 195 bieten Platz für zwischen 70 und 118 Passagiere.

       Weitere Hersteller aus aller Welt

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      Die ATR-Endmontagelinie ist in Toulouse unmittelbar neben Airbus angesiedelt.

      Weitere Hersteller aus aller Welt Zweifellos sind es vor allem jene wenige bekannte Namen, die wir auf den vorangegangenen Seiten vorgestellt haben, die im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit als Hersteller von Verkehrsflugzeugen in Erscheinung treten. Dennoch haben sie den Markt keinesfalls für sich allein, auch wenn das Feld der Anbieter in den vergangenen Jahrzehnten deutlich kleiner geworden ist. Was die Stückzahlen und damit auch die Bedeutung angeht, wäre unter den „Sonstigen“ zuallerst zweifellos ATR zu nennen. Das Joint Venture von Leonardo und Airbus Group, 1981 von den beiden Vorgängerunternehmen Aeritalia und Aerospatiale gegründet, stellt ausschließlich Regionalflugzeuge mit Turboprop-Antrieb her – und das äußerst erfolgreich. Mehr als 1.400 ATR 42 und 72 konnten bislang verkauft werden, und nachdem es noch vor wenigen Jahren so aussah, als sollten Turboprop-Flugzeuge allenfalls noch gebraucht an den Mann zu bringen sein, hat sich die Lage angesichts steigender Kerosinpreise inzwischen wieder grundlegend geändert.

      Mit der 600er-Serie hat das Herstellerkonsortium die ATR-Turboprops auch technologisch ins 21. Jahrhundert gehievt, so dass die Auslastung der ATR-Produktionseinrichtungen für die nächsten Jahre gesichert scheint.

       Konsolidierung in Russland

      Davon können die meisten Fertigungswerke auf dem Gebiet der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) nur träumen. Zu Zeiten des Kalten Krieges, als sich den staatlichen Fluggesellschaften der sozialistischen Länder der Kauf westlichen Fluggeräts schon aus Prinzip verbot, konnten sich die traditionsreichen sowjetischen Hersteller wie Antonow, Iljuschin, Jakowlew oder Tupolew über mangelnde Nachfrage nicht beklagen. Zwar waren die meisten der von ihnen hergestellten Flugzeuge nach westlichen Maßstäben wahre Spritfresser und in der Regel alles andere als komfortabel, doch mangels Konkurrenz spielte das keine Rolle. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR jedoch waren die unzähligen regionalen und nationalen Aeroflot-Nachfolgegesellschaften auf einmal gezwungen, mit spitzem Bleistift zu rechnen, weil sie Flugzeuge und Treibstoff nun zu Weltmarktpreisen einkaufen mussten. Dadurch wurden die heimischen Produkte fast schlagartig uninteressant, zumal Airbus, Boeing und westliche Leasinggesellschaften die Situation natürlich nutzten und günstig gebrauchte Flugzeuge offerierten. Den Iljuschins, Tupolews & Co., denen ebenso schlagartig die Einnahmen fehlten, machte bei der Umstellung auf die neue politische und wirtschaftliche Situation zusätzlich zu schaffen, dass ihre Konstruktionsbüros in Kiew (Antonow) oder Moskau (alle übrigen) saßen, während die Endmontagewerke aus politischen und militärischen Gründen kreuz und quer über die Sowjetunion verteilt worden waren – und damit auf einmal womöglich jenseits der Landesgrenzen lagen.

      Während Airbus und Boeing zusammen jährlich 1.000 und mehr neue Jets ausliefern, bringen es die Hersteller aus der nicht mehr existierenden UdSSR gemeinsam vielleicht auf ein paar Dutzend Exemplare. Schon aus wirtschaftlichen Überlegungen hat daher das Nebeneinander von rund einem halben Dutzend (zivilen und militärischen) Entwurfsbüros allein in Russland und mindestens noch einmal ebenso vielen Fertigungswerken keine Zukunft. Im Februar 2006 erließ der russische Präsident Putin daher ein Dekret zur Gründung der OAK-Holding (United Aircraft Corporation, Vereinigte Flugzeughersteller), in der die Konstruktionsbüros Iljuschin, Irkut, Jakowlew, Mikojan-Gurewitsch (MiG), Suchoj und