Nur Mut, liebe Ruth. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия: Die Mädchen von der Parkschule
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711719510
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Herzen, lobte Fräulein Freysing arglos: „Na siehst du, das ist doch wunderbar gegangen! Wie ich immer sage … nur auf das richtige Atmen kommt es an, auf sonst gar nichts!“ Sie kletterte aus dem Wasser, klatschte in die Hände und rief: „Erste Riege aufstellen zum Springen!“

      Ruths Herz sank, wenn es möglich war, noch eine ganze Etage tiefer, und schnell versuchte sie, sich so unsichtbar wie möglich zu machen.

      Aber Fräulein Freysing hatte sie nicht vergessen. „Du auch, Ruth!“ rief sie. „Komm nur!“

      „Aber ich bin nicht eingeteilt!“

      „O doch! Gerade jetzt! Du wartest doch hoffentlich nicht auf eine Sondereinladung?“

      Wohl oder übel mußte Ruth sich hinter den anderen oben, am Rand des Beckens, aufstellen.

      „Wir üben es erst noch einmal einzeln“, ordnete Fräulein Freysing an.

      Eine der Schülerinnen nach der anderen trat her zu ihr. Die Tumlehrerin legte jeder den Arm vor den Magen, ließ sie sich dann, die Arme nach unten, wie ein Taschenmesser zusammenklappen und auf: „Los!“ in die Fluten gleiten.

      Es klappte bei allen, denn unter Fräulein Freysings starken Händen war kein Widerstand und keine falsche Bewegung möglich. Selbst Ruth schaffte es, es blieb ihr ja gar nichts anderes übrig.

      „Und nun noch einmal einzeln! Aber jetzt jede für sich allein!“ kommandierte Fräulein Freysing.

      Es kostete die meisten Mädchen – außer Katrin, die eine begeisterte Springerin war – eine gewisse Überwindung, sich kopfüber ins Wasser zu stürzen, und bei manchen hatte der Köpfer mehr Ähnlichkeit mit einem Plumps als mit einem Sprung. Aber alle wagten sie es und tauchten nachher glücklich und mit sich zufrieden wieder hoch.

      Nur Ruth stand wie angewurzelt am Rand des Beckens, fuchtelte mit den Armen, stieß den Kopf vor und – sprang zu guter Letzt mit den Beinen voraus.

      Sie hoffte, daß Fräulein Freysing es nicht bemerkt haben würde, aber selbst wenn die Lehrerin einen Augenblick nicht hingeschaut hätte, wäre sie durch das brausende Gelächter der anderen aufmerksam geworden.

      „He, Ruth, was sind das für Geschichten!“ rief sie, als das Gesichtchen der Kleinen wieder über der Wasseroberfläche erschien. „Komm, probieren wir es gleich noch einmal!“

      Wohl oder übel mußte Ruth dieser Aufforderung folgen, und weil Fräulein Freysing ihr diesmal Hilfestellung leistete, klappte es sogar einigermaßen.

      Dann kam die nächste Riege an die Reihe, und Ruth konnte sich erlöst mit ihren Freundinnen im Wasser tummeln. Aber sie war nicht glücklich dabei. Die Angst saß ihr noch in den Knochen, und das Gefühl, sich lächerlich gemacht zu haben, peinigte sie.

      „Du bist ja eine schöne Flasche“, erklärte Silvy, obwohl auch ihre Stärke durchaus nicht im Sportlichen lag.

      Und Olga behauptete: „Ich verstehe gar nicht, wie du dich so anstellen kannst!“

      „Ach, gebt doch bloß nicht so an“, setzte sich Ruth zur Wehr. „So fabelhaft habt ihr es ja auch nicht gemacht!“

      „Aber immerhin … wir haben es versucht!“ trumpfte Olga auf. „Während du …“

      „ … einfach eine Niete bist!“ ergänzte Silvy.

      Katrin hatte das Geplänkel mit angehört. „Und was seid ihr?“ rief sie übermütig. „Ihr seid doch bloß die beiden Obernieten vom Dienst, und sonst gar nichts!“ Sie packte Silvy und Olga, jede mit einer Hand, in den Nacken und drückte ihre Köpfe unter Wasser.

      Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich, prustend und strampelnd, befreien konnten. Natürlich wollten sie sich an Katrin rächen, aber Katrin war schneller als sie; sie schoß lachend davon.

      Ruth hätte nun eigentlich getröstet sein können, weil Katrin für sie Partei ergriffen hatte. Aber sie ärgerte sich zu sehr über sich selber. Warum nur, warum mußte sie sich vor Anforderungen fürchten, die alle anderen spielend meisterten?

      Ach, Ruth wäre so gerne tapfer gewesen, aber sie schaffte es einfach nicht. Als Fräulein Freysing ihre Riege das nächste Mal aufrief, stand sie wieder völlig verzweifelt am Rande des Beckens, während die anderen schon den Startsprung – in den Knien federnd, Hände voraus und schräg ins Wasser – übten, den die Lehrerin ihnen vorgemacht hatte. Sie war so verzweifelt über sich selber, daß ihr die Tränen über die Wangen liefen, was zum Glück niemand bemerkte, weil alle Gesichter naß und voller Wassertropfen waren.

      Leonore erbarmte sich ihrer und leistete Hilfestellung. „Wovor hast du eigentlich Angst?“ fragte sie. „Ich verstehe dich gar nicht, du bist doch sonst eine ganz gute Turnerin.“

      „Es ist mir einfach greulich, so Kopf voraus … ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll!“

      „Ich gebe ja zu, es ist ein komisches Gefühl, und man muß sich erst daran gewöhnen. Aber denk doch bloß mal nach… was kann dir denn dabei passieren?“ gab Leonore zu bedenken. „Selbst wenn es ganz schief geht, klatschst du doch höchstens ein bißchen auf. Das ist hundertmal ungefährlicher als das Turnen in der Halle. Wasser hat ja nun einmal keine Balken.“ Sie gab Ruth einen kleinen Schubs und ließ sie ins Wasser rutschen.

      Kurz vor Schluß der Stunde, als die Lehrerin schon begonnen hatte, die Mädchen aus dem Wasser zu treiben, rief Katrin, aufgeregt von einem Bein auf das andere hüpfend: „Fräulein Freysing, Fräulein Freysing, darf ich mal etwas vormachen?“

      „Ja, was denn?“

      „Einen richtigen Kopfsprung vom Brett!“

      Fräulein Freysing runzelte mißtrauisch die dichten, geraden Brauen. „Bist du sicher, daß du das kannst?“

      „Habe ich schon mindestens hundertmal gemacht!“

      „Also dann los!“

      Katrin ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie kletterte zum Sprungbrett hinauf und rief: „Mit Anlauf! Achtung, fertig, los!“ Dann rannte sie, federte an der Spitze des Brettes, stieß sich ab, flog in einem eleganten Bogen durch die Luft und landete, die ausgestreckten Hände zuerst, ohne einen einzigen Spritzer im Wasser.

      Der Beifall der Klasse war laut und ehrlich.

      Nur Silvy zischte: „Als wenn da was bei wäre!“

      „Dann mach es ihr doch nach!“ riet Leonore freundlich.

      Katrin stieg aus dem Wasser und nahm strahlend die Bewunderungskundgebungen der anderen und das Lob Fräulein Freysings entgegen. Es war bei ihr durchaus nicht an der Tagesordnung, daß sie wirklich etwas leistete außer mit dem Mundwerk, und deshalb war sie jetzt besonders stolz auf sich.

      Als sich die allgemeine Aufregung gelegt hatte, schlüpfte Ruth an ihre Seite. „Du, Katrin“, sagte sie, „das war wirklich eine Wucht! Wie macht man das bloß?“

      „Pah, nichts einfacher als das! Denk doch mal nach! Was ist leichter, Weitsprung mit oder ohne Anlauf? Na also. Der Anlauf macht es. Man muß bloß tüchtig Schwung nehmen. Alles andere ist eine Kleinigkeit.“

      „Ich hätte Angst“, gestand Ruth leise.

      „So ein Unsinn!“ Katrin lachte. „Wenn du Angst hast, dann mach doch einfach die Augen zu!“

      Während alle anderen zum Umkleideraum hin drängten, stand Ruth ganz in sich versunken da. Es arbeitete in ihr. Und plötzlich, ehe sie noch selber wußte, was sie tat, rannte sie zum Sprungbrett hin.

      „Seht her!“ schrie sie.

      Sie wußte, daß alle stehenblieben, sich umwandten und sie anstarrten, aber sie sah es nicht mehr, denn sie hatte schon die Augen geschlossen und lief los.

      „Ruth!“ rief Fräulein Freysing ganz entsetzt.

      Da öffnete sie doch die Augen. Sie war nur noch einen Schritt vom Wasser entfernt, das tief, viel tiefer als vom Rand aus, unter ihr lag, und