Dr. Mollinar und seine Schülerin. Artur Brausewetter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Artur Brausewetter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9788711448281
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      Artur Brausewetter

      Dr. Mollinar und seine Schülerin

      Saga

      Ebook-Kolophon

      Artur Brausewetter: Dr. Mollinar und seine Schülerin. © 1924 Artur Brausewetter. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2016 All rights reserved.

      ISBN: 9788711448281

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com - a part of Egmont, www.egmont.com.

      1.

      „Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als Bittschriften! Die traurigen Geschäfte — und man beneidet uns noch!“

      Direktor Wöhrmann tat einen Seufzer, als er diese Worte seines Lieblingsdichters vor sich hinmurmelte, schob einen Berg von Akten und Schriften mit der runden Hand von sich und stand einen Augenblick vom Schreibtisch auf.

      „Da sitz’ ich nun über Büchern und Papieren tagaus, tagein und lese Klagen tiefverletzter Mütter, empörter Väter, dass ihre hochbegabte Tochter sitzengeblieben, lediglich durch die Bosheit des Klassenlehrers; da schmiede ich Stundenpläne, die mir den sicheren Zorn aller meiner Lehrer und Lehrerinnen eintragen, da soll ich mir den Vertreter für den Professor, der Heilung von seiner Ischias im Bade sucht, aus der Erde stampfen.“

      Das Eintreten des Schuldieners unterbrach seine Betrachtungen. Er überreichte einen Brief, den der Direktor sofort öffnete.

      „Da haben wir’s! Richtig wieder Herr Doktor Mollinar! Seine unerbittliche Strenge — das arme Kind! Es träumt sogar des Nachts von ihm. Es ist wunderbar, dass gerade die tüchtigsten Lehrer sich der geringsten Gunst bei den Eltern erfreuen. Das wäre heute nun schon die zweite Klage über Herrn Mollinar! Und dabei schwärmt die ganze erste Klasse für ihn — trotz seiner Strenge. — Es ist gut, Heinke, Sie können gehen und die Sachen da gleich mitnehmen.“

      Der Direktor war an seinen Schreibtisch zurückgekehrt.

      Da raschelte und zischelte es vom Flure her unten durch die Ritze der Tür hindurch. Auf dem Fussboden wurde das Stück eines grösseren, rosafarbigen Papiers sichtbar, irgendeine Anpreisung, gewiss, wie sie ihm vielfach in sein Arbeitszimmer geschmuggelt wurden. Mit lässiger Hand hob er das rosa Papier auf und las:

      „Zirkus Brotti-Wellhoff. In dem neuerbauten prächtigen Zirkus vor dem Berliner Tor. Grosse brillante Eröffnungsvorstellung. Aus dem reichen Programm sind besonders hervorzuheben: zwölf schwarze Araberhengste in Freiheit vorgeführt vom Direktor Wellhoff. Miss Amanda, Schulreiterin. Francis, Clown und Schlangenmensch. Und nun inmitten eines mächtigen, vielverschnörkelten Rahmens, auf den gedruckte Fingerzeige, wie auf etwas ganz Hervorragendes, hinwiesen: Auftreten von Miss Ellida Korelli auf ihrer Schimmelstute Diana, die grösste Parforcereiterin des Kontinents.“

      Der Direktor hatte das Haupt in die Hand gestützt. Wo waren die Zeiten geblieben, wo solch ein Zettel mit seinen prahlerischen Ankündigungen ihn wie die Verheissung eines Paradieses anmutete, wo er Abend für Abend um das rohe Leinwandzelt, das vor den Toren seiner kleinen Vaterstadt für einige Tage aufgeschlagen war, mit sehnsuchtsheissem Herzen herumgeschlichen, und dem Odysseus kein Sirenengesang so süss klingen konnte, wie ihm die schallende Blechmusik, die aus dem matt erleuchteten Innern drang, der knatternde Peitschenknall, der sie begleitete? Ja, wo waren die Zeiten geblieben? Er mochte sie heute kindlich nennen, kindisch vielleicht — schön waren sie doch gewesen!

      „Zirkus Brotti-Wellhoff“ las er noch einmal. Es war kein kleiner Zirkus, wie der einst in seiner Vaterstadt, Schmolinsky hiess er — er kannte den Namen noch ganz genau. Es war ein bedeutender Zirkus, dem ein Ruf voranging; in manchem seiner Bekanntenkreise freute man sich auf seinen Besuch. Er begriff diese Leute bereits nicht. Was hätte er jetzt wohl noch in einem Zirkus gesollt?! Er hatte Stundenpläne zu machen und Unterricht zu erteilen!

      Der Traum der Kindheit war längst verflogen, eifriger als zuvor arbeitete Direktor Wöhrmann an seinem Schreibtische.

      Da klopfte es an die Tür. Unwillig fuhr er von seinen Büchern auf.

      „Die Sprechstunde ist längst vorüber, jetzt wenigstens sollte man mir Ruhe gönnen!“

      Aber noch einmal klopfte es, schneller und härter als das erstemal.

      „Nun, so pocht wenigstens keine Mutter!“ Und er rief ein kurzes Herein! — —

      Ein Herr stand vor ihm — so plötzlich, dass der Direktor nicht begriff, wie er so schnell und leise die beträchtliche Entfernung vom Eingang bis zum Schreibtisch durchmessen hatte.

      Es war ein kleiner Mann mit einer auffallend breiten Krawatte, in der eine Schlipsnadel mit einem mächtigen Stein funkelte, der echt zu sein schien, und mit sehr weiten, grau und schwarz karierten Beinkleidern, aus denen ein kleiner Fuss in lackierten Schnürstiefeln sich hervorwagte.

      Er erhob sich; er selbst war von gedrungener Figur, aber gegen den Fremden erschien er gross.

      Dieser verneigte sich mit Grandezza, aber doch mit einer Leichtigkeit, die etwas Herablassendes hatte.

      „Korelli,“ sagte er, weiter nichts.

      Der Direktor sah ihn fragend an.

      „Korelli,“ sagte er noch einmal.

      „Korelli?“ Hatte er den Namen nicht schon einmal gehört? Er besann sich. Dann lächelte er. Ah so! Das war’s! Eben auf dem roten Zirkuszettel hatte er ihn gelesen, und in der Tat, der kleine Mann, der vor ihm stand, sah aus wie der geborene Kunstreiter.

      „Ach — Herr Korelli, vom Zirkus — Zirkus ...“

      „Brotti-Wellhoff“ fiel der andere ins Wort, und über den breiten, hässlichen Mund, den einige spärliche Schnurrbartshaare deckten, lief ein geschmeicheltes Lächeln. „Dachte ich es mir doch, dass Sie den Namen kennen würden. Alte, weltberühmte Reiterfamilie, die Korellis, mein Vater und Grossvater arbeiteten bereits als Jockei, und ich mache schon zwanzig Jahre in der Sache.“

      „Schon zwanzig Jahre?“ Direktor Wöhrmann sah verwundert auf den elastischen Körper, das frische, von der Schminke wenig zerfressene Antlitz, dessen Jugendlichkeit nur einige tiefe Falten quer über der eingedrückten Nasenwurzel Abbruch taten.

      „Ja, zwanzig Jahre ... die Arbeit, Herr Direktor hält geschmeidig. Das ist etwas anderes, als den ganzen Tag über den Büchern sitzen! Wäre nichts für mich, danke bestens! De gustibus — hab’ ich’s doch vergessen! Ja, ja, die alten Sprachen, nichts für unsereinen. Aber die neuen, Herr Direktor, das ist etwas ganz anders! Zehn Sprachen spreche ich, alle geläufig wie meine Muttersprache, die deutsche.“

      „Die deutsche? Ich glaubte, Sie wären Engländer oder Italiener.“

      „Ach, wegen des Mister und meines Namens? Nichts da, Herr Direktor, ich danke für die Ehre. Wir sind alles ehrliche Deutsche! Und dass ich mich Korelli nenne — nun sehr einfach: Weil Korelli doch ein bisschen völliger klingt, als Korz ... Wilhelm Korz, wie ich getauft bin.“

      Der Direktor konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Die Grandezza dieses Mannes, der sich längst ohne jede Aufforderung auf den Stuhl neben seinem Schreibtisch gesetzt, und dann — dieser Name für einen so grossen Künstler, der hier vor ihm stand!

      „Und nun, Herr Korelli, was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?“

      Ueber den breiten Mund huschte der Hauch einer gewissen Verlegenheit, die harte, aber nicht ungepflegte Hand, an deren kleinem Finger ein Ring prahlte mit einem Stein, ähnlich dem an der Brust, strich über den spärlichen Schnurrbart und brachte seine wenigen Haare dadurch in solche Erregung, dass