Da wir uns lieben. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711718445
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hör mal, ich kann dir das doch nicht hier und jetzt erklären…«

      »Dann laß mich rein!«

      »Ausgeschlossen.« Egon wich nicht zur Seite; es zuckte nervös um seinen Schnurrbart. »Bitte nicht«, fügte er in weicherem Ton hinzu, »Rosy… sie fühlt sich nicht ganz wohl. Ich… wir dürfen sie keinesfalls beunruhigen.«

      »Egon! Keine Ausflüchte, bitte! Ich habe genug ausgestanden in den letzten Tagen… jetzt will ich die Wahrheit wissen!«

      Aber wieder wich Egon aus. »Weißt du was… treffen wir uns in zehn Minuten im Goldenen Löwen. Bis dahin habe ich Rosy zu Bett gebracht… also bis gleich!«

      Arnold wollte protestieren, aber da schlug ihm Egon die Tür vor der Nase zu. Langsam stieg er die flachen Steinstufen hinunter. Sein Verstand sagte ihm, daß das Schlimmste eingetroffen war. Aber er weigerte sich, es wahrzuhaben. Gewiß, Egons Verhalten war das eines Mannes gewesen, der sich nicht zur Wahrheit zu bekennen wagte. Aber es gab doch noch eine andere Erklärung für sein Benehmen. Vielleicht war die Spekulation des Schwagers doch richtig gewesen, und vielleicht suchte er jetzt, da es zum Klappen kam, nach einem Weg, ihn, Arnold, aus dem Geschäft auszubooten. Noch klammerte sich Arnold an diese schwache Hoffnung.

      Als Arnold Miller den Schankraum des Goldenen Löwen betrat, überkam ihn das Gefühl, daß es ein Fehler gewesen war, sich von Egon Kasparek hierherbestellen zu lassen. Auch erkannte die Kellnerin Therese, die sich wegen ihres gewaltigen Busens, ihres ausladenden Hinterteils und ihres schnellen Mundwerks besonderer Beliebtheit bei der Riesberger Herrenwelt erfreute, ihn sofort und wollte ihn zum Stammtisch führen. Es war nicht ganz einfach, ihr klarzumachen, daß er für heute nur einen kleinen Tisch suchte, möglichst einen Ecktisch, wo er in Ruhe mit seinem Schwager sprechen konnte. Dabei hatte er noch Glück, daß niemand an der großen runden Eichentafel saß, die durch die handgestickte bayerische Standarte ständig reserviert war. Denn wenn auch der Stammtisch offiziell nur Dienstag abends tagte, so pflegten doch die Herren, die zu ihm gehörten, auch sonst hier Platz zu nehmen, um einen Schoppen oder eine Maß zu trinken. Arnold hätte es unter normalen Umständen genauso gehalten, aber er wollte nicht riskieren, daß sein Gespräch mit Egon belauscht oder – wenn auch auf gut gemeinte Art – unterbrochen wurde. Doch als er an einem der normalen, mit Kunststoffplatten versehenen Gästetisch Platz nahm, kam er sich wie degradiert vor.

      Nach dem ersten tiefen Schluck Starkbier aus dem tönernen Literkrug ging es ihm besser. Der große, bis zur halben Höhe holzgetäfelte Raum war vollbesetzt mit Fremden, die sich laut und ungeniert benahmen und so eine Atmosphäre schufen, die ihm wenigstens einen Hauch der gewünschten Anonymität verschaffte. Fast gelang es ihm, sich zu entspannen. Aber als er dann Egon entdeckte, der die Tür aufgestoßen hatte und sich auf der Schwelle suchend umsah, war dieses trügerische Gefühl sofort wie weggewischt. Egon wirkte gehetzt, wie ein Mann auf der Flucht, ein Geschlagener und durchaus nicht wie jemand, der ein großes Geschäft entriert hat und nun darauf aus ist, den Rahm allein abzuschöpfen.

      So ersparte sich Arnold denn, als Egon ihn gefunden und sich neben ihm niedergelassen hatte, die Frage, wie die Stadtratssitzung ausgegangen war, sondern forschte ohne Umwege: »Wie ist es passiert?«

      »Eine ganz große Schweinerei.« Er winkte der Kellnerin und sagte, auf Arnolds Krug zeigend: »Mir das gleiche!« Er wandte sich Arnold zu und berichtete mit flackernden Augen: »Die haben alles umgeschmissen. Stell dir vor! Die Straße wird westlich der Stadt vorbeigeführt. Ich kann es ruhig laut sagen, denn morgen steht es in der Zeitung. Westlich! Obwohl da die Ries und die Eisenbahnlinie überbrückt werden müssen. Und warum das alles? Weil die Herren mit den guten Beziehungen…« Er schnippte mit Daumen und Zeigefinger »… dort Gelände besitzen. Zeltner und Zinner, du verstehst… diese verdammten Kapitalisten, die immer den längeren Arm haben. Ich hab’s ja gewußt.«

      Jetzt hätte Arnold erwidern können, daß Egon sich gerade deshalb nie in eine so gewagte Spekulation hätte einlassen dürfen; aber er war viel zu betroffen, daß seine schlimmsten Befürchtungen wahr geworden waren.

      Die Kellnerin knallte die frische Maß vor Egon auf den Tisch, er führte den Krug zum Mund und leerte ihn mit einem Zug bis zur Hälfte. »Und weißt du«, fuhr er, sich über die Lippen wischend, fort, »mit welchem Argument sie diesen Wahnsinn begründen? Der Osten sei das Erholungsgebiet der Stadt und dürfe deshalb nicht zerstört werden!« Er lachte höhnisch.

      Arnold kämpfte gegen eine aufkommende Übelkeit. »Und das ist endgültig?«

      »Habe ich Brandel auch gefragt. Aber der konnte mir keine Hoffnung mehr machen.«

      »Mein Gott!«

      Jetzt wandte sich Egon ihm zu, als sehe er ihn jetzt erst richtig, und das mochte wohl auch sein, denn bisher war er nur mit seinem eigenen Unglück beschäftigt gewesen, ohne daran zu denken, was diese Katastrophe für Arnold bedeutete. »Selbstverständlich«, sagte er, »werde ich dir die Wiesen notariell überschreiben!«

      »Was soll ich mit Wiesen?«

      »Na immerhin, Grundbesitz behält seinen Wert. Da wir in einer schleichenden Inflation leben … dir brauche ich das wohl nicht zu erklären… ist Grund die beste und vor allem sicherste Kapitalanlage.«

      »Egon!« Arnold war nahe daran, ihn zu schütteln. »Ich brauche das Geld!«

      »Ach so.« Es war Egon anzusehen, daß er sich unsanft aus seinen Träumen in die Wirklichkeit zurück gerissen fühlte. »Ja, dann…«, schon wieder war er voller Optimismus, »…werde ich sie eben verkaufen.«

      »An wen?«

      »Du erwartest doch nicht im Ernst von mir, daß ich dir das jetzt aus dem Stegreif sagen kann? Aber mach dir nur keine Sorgen, ich sehe da verschiedene Möglichkeiten. Eine klappt ganz bestimmt.«

      »Egon, ich brauche das Geld in spätestens vierzehn Tagen zurück… oder zumindest die Hälfte.«

      »Ich soll die Gründe verschleudern? Nein, kommt nicht in Frage. Das, was ich reingesteckt habe, werde ich auch wieder rausholen.«

      »Es ist mir egal, wie du es machst.« Arnold warf ein paar Münzen für die Kellnerin auf die Kunststoffplatte. »Vielleicht kannst du eine Hypothek aufnehmen oder sonst etwas. Ich jedenfalls brauche die fünfundzwanzig Mille spätestens am…« Er rechnete nach, wann Rudolf Kienzel zurück sein würde, und zog ein paar Tage ab, »… am 28. August. Das ist, glaube ich, ein Samstag.«

      »Ich werde tun, was ich kann«, versprach Egon.

      »Das ist nicht genug. Du mußt die Wiesen verscherbeln, wenn nötig, mit Verlust. Sonst bin ich ruiniert.«

      Egon öffnete den Mund, um eine Frage zu stellen, verzichtete aber doch darauf, weil er sich nicht mehr als notwendig belasten Wollte. Sie trennten sich ohne ein weiteres Wort.

      Das Extrazimmer des Parkhotels, in dem die offizielle Verlobung Ilonas mit Oswald Zinner junior gefeiert wurde, war ein langgestreckter Raum mit hohen Fenstern, neben denen die dunkelroten Vorhänge schwer und glatt herunterhingen. Der rechteckige Tisch entsprach der Form des Zimmers; an der Schmalseite war eine weitere Tafel aufgestellt, auf der sich die Verlobungsgeschenke präsentierten: prachtvolle Blumenarrangements, ein kupferner Samowar, den Ilonas Kolleginnen gestiftet hatten, sechs goldene Kaffeelöffel, von den Zinners spendiert, ein österreichisches Kaffeeservice von den Eltern, verschiedene Aschenbecher, Leuchter, Zuckerdosen, Spiegel und Blumenvasen, mit denen Bekannte gratuliert hatten, auch Menschen, an deren Existenz sich Ilona nur schwach erinnerte. Das sehr vornehme Verlobungsinserat in der Zeitung und die auf Bütten gedruckten Anzeigen hatten ihre Wirkung getan. Das kostbarste Geschenk war jedoch ohne Zweifel der Ring mit dem einkarätigen Diamanten, den Ilona stolz am Ringfinger der linken Hand trug. Ein Kostüm aus hellblauer, handgewebter thailändischer Seide gab ihrer Schönheit etwas Exotisches. Alle anderen Frauen verblaßten neben ihr, und Sabine stellte fest, daß Oswald in seiner hellen, rotblonden Rundlichkeit genau den passenden Hintergrund bot, auf dem ihre Vorzüge voll zur Geltung kamen.

      Die beiden bildeten tatsächlich – er im schwarzen Anzug, weißen Hemd, mit silbergrauer Krawatte und Perlnadel, ein so attraktives