Da wir uns lieben. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711718445
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Erste-Klasse-Abteilung, angekommen und stürmte um die Ecke, als er plötzlich, wie ein Hund, der in vollem Lauf von seinem Herrn zurückgepfiffen wird, stehenblieb.

      Schwester Ute war gerade aus Zimmer 312 gekommen. Sie starrte mit dem Ausdruck flammenden Grolls auf eine riesige kreisrunde Schachtel, die sie vor sich hertrug. Es war deutlich, daß sie sich völlig unbeobachtet fühlte. Sie war schön, die junge Schwester Ute, darüber war sich Knut mit sämtlichen Ärzten des Kreiskrankenhauses einig – nicht einer, der nicht schon einmal versucht hatte, mit ihr anzubandeln oder, falls er sich nicht traute, zumindest mit dem Gedanken gespielt hatte – sie war schön auf eine geradezu herausfordernde Weise. Das braunrote, volle Haar trug sie streng aus der hohen Stirn gebürstet, ihre Augen, braunrot wie das Haar, waren von dichten dunklen Wimpern umgeben, die Nase gerade und kurz, das Kinn fest und energisch, die Lippen schmal, und die Herbheit dieses statuenhaften Gesichtes wurde – jedenfalls im Dienst – nie durch einen Hauch von Schminke, von Rouge, Lidschatten oder Lippenstift gemildert. Dadurch wirkte sie in ihrer hellblauen Schwesterntracht, der schneeweißen leicht gestärkten Schürze, dem weißen Häubchen auf dem Haar, auf eine faszinierende Art sauber.

      Jetzt machte sie eine wilde Bewegung, als wenn sie die runde Schachtel in den eisernen Papierkorb donnern wollte, tat es dann aber doch nicht. Sie blickte auf und geradewegs in die bewundernden und doch gleichzeitig belustigt blickenden Augen des jungen Mannes. Eine Blutwelle schoß ihr in Wangen und Stirn.

      Knut war sie nie so schön erschienen wie in diesem Augenblick. »Ärger, Schwester?« fragte er.

      »Sehen Sie sich das an!« Sie hielt ihm die mit einem Blumenbild bedruckte Schachtel hin. »Drei Wochen lang habe ich diesem alten Knacker das Stechbecken gereicht und ihm den Hintern ausgeputzt, und jetzt, wo er wieder über den Berg ist, schenkt er mir Pralinen!« Knut lachte. »Ich finde das nicht im geringsten komisch«, sagte sie, »ich möchte wirklich wissen, was sich so einer einbildet… und dabei hat er Geld wie Heu, liegt Erster Klasse, im schönsten Zimmer des Hauses.«

      »Ja, so sind nun mal die Kapitalisten«, meinte Knut philosophisch, »wenn sie anders wären, hätten sie wahrscheinlich weniger Geld.«

      »Aber darum geht es doch gar nicht!« rief sie wild. »Kapieren Sie denn nicht? Diese Schachtel hat mindestens fünfzig Mark gekostet, verlassen Sie sich drauf, ich kenne mich aus. Hätte er mir das Geld doch in bar gegeben! Aber Pralinen?!«

      »Knabbern, nehme ich an.«

      »Wenn ich nur die Hälfte aller Pralinen, die man mir zusteckt, knabbern würde«, sagte sie verächtlich, »wäre ich längst eine wandelnde Tonne. Wie kann ich das Zeug bloß loswerden?«

      »Stiften Sie es der Kinderabteilung«, schlug Knut vor, »oder den Ordensschwestern.«

      Ihr Blick flammte. »Aber ich will es verkaufen! Möchten Sie es nicht haben, Herr Miller? Es wäre ein schönes Geschenk für Ihre Freundin.«

      Er schmunzelte. »Die darf also ruhig fett werden?«

      »Sie wissen genau, wie ich es meine. Pralinen sind eine feine Sache, wenn man nicht dauernd damit gefüttert wird.« Sie legte den Kopf schief. »Ich weiß, daß Ihre Freundin sich darüber freuen würde.«

      »Wenn ich aber nun gar keine habe?«

      »Das nehme ich Ihnen nicht ab. Außerdem …« Sie hielt ihm die Schachtel hin. »Ich lasse sie Ihnen für zwanzig Mark… und wenn Sie keine Freundin haben, dann doch bestimmt eine Mutter oder eine Schwester, die…«

      Er fiel ihr ins Wort. »Wenn ich nun das Geschäft mit Ihnen mache, Ute – werden Sie mir dann auch einen Gefallen tun?«

      »Kommt darauf an.«

      »Ich verlange nicht viel von Ihnen.« Er streckte den Arm aus und stützte sich mit der Hand gegen die Wand, so daß sie eingeklemmt war. »Ich kaufe Ihnen die Schachtel ab, wenn Sie mit mir ausgehen.«

      »Warum nicht?« fragte sie ruhig.

      »Es gibt keinen Grund, der dagegen spräche. Sagen Sie ja.«

      »Ja.«

      Knut war von ihrer schnellen Bereitwilligkeit angenehm überrascht. Dann hatten die anderen, die Schwester Ute als eine uneinnehmbare Festung schilderten, also doch übertrieben – oder hatte sie etwa ein Auge auf ihn geworfen? »Fabelhaft!« Er beugte sich so nahe zu ihr, daß seine Lippen sie fast berührten.

      Sie machte keine Bewegung der Abwehr. »Da kommt jemand«, sagte sie nur.

      Er zuckte zurück. Tatsächlich watschelte eine ältere Ordensfrau den Gang entlang. Schwester Ute benutzte die Ablenkung, um unter seinem Arm hindurchzuschlüpfen. »Also?« fragte sie und hielt ihm fordernd die freie Hand hin. »Wie haben wir’s?«

      Er begriff, daß er zu seinem Wort stehen mußte, griff unter seinen weißen Mantel in die Hosentasche, fischte zuerst einen Zehnmarkschein, ein Fünfmarkstück und dann endlich, in Mark und Groschen, das restliche Geld heraus, das er ihr in die ausgestreckte Hand zählte.

      »Danke. Es war sehr klug von Ihnen, diese Okkasion zu nutzen.« Sie gab ihm die Pralinenschachtel und wandte sich zum Gehen.

      »Hoppla, nicht so eilig!« Er erwischte sie gerade noch beim Arm. »Wir haben noch keine Verabredung getroffen… wann sind Sie heute abend frei?«

      Sie blickte ihm gerade ins Gesicht. »Wieso interessiert Sie das?«

      »Weil Sie mir versprochen haben…«

      »Jetzt verstehe ich, worauf Sie anspielen. Natürlich werde ich mein Versprechen halten und einmal mit Ihnen ausgehen. Aber von heute abend war ja nicht die Rede. Irgendwann einmal.« Sie befreite sich aus seinem Griff und schritt davon, schlank und geschmeidig, den Kopf hoch erhoben.

      Knut starrte ihr nach und begriff, daß sie ihn hereingelegt hatte. Aber er konnte ihr nicht einmal böse sein. Immerhin hatte sie länger mit ihm gesprochen als je zuvor. Erst als sie in der Teeküche verschwand, fiel ihm ein, daß er immer noch die riesige Pralinenschachtel unter dem Arm hielt. So konnte er die Krankenzimmer nicht betreten. Kurz entschlossen tat er das, was Schwester Ute vorhin schon vorgehabt hatte: Er steckte sie in den eisernen Papierkorb. Irgend jemand würde sie bestimmt dort herausfischen, spätestens die Putzfrauen, die ihn morgen früh zu leeren hatten.

      »Gute Nacht, Arnold, ich bin müde.« Sabine klappte ihr Buch zu, knipste die Nachttischlampe aus und rollte sich zu ihrem Mann hin, der neben ihr im Doppelbett lag.

      Er gab ihr einen leidenschaftslosen Kuß. »Stört es dich, wenn ich noch in bißchen lese?«

      Natürlich störte es sie, aber sie wußte, daß er es als Schikane empfinden würde, wenn sie es ausspräche. »Ich mache einfach die Augen zu.« Aber das Licht drang durch ihre geschlossenen Lider, und sie wartete mit nervöser Spannung darauf, daß er wieder umblätterte – er tat es nicht, denn er starrte blicklos in sein Buch. Beide hörten sie den Porsche Vorfahren, hörten Ilonas und Oswald Zinners unterdrückte Stimmen.

      »Wenn die Verlobungsfeier im Parkhotel stattfinden soll«, sagte Sabine, »muß ich rechtzeitig ein Extrazimmer bestellen.«

      »Hm, ja.«

      »Ich möchte aber vorher mit Ethel sprechen, damit sie mich berät.«

      »Tu das.«

      »Könntest du mich morgen früh mit in die Stadt nehmen?«

      Er schwieg, während er überlegte, wie er es verhindern konnte, daß sie ihm in die Quere kam. Sie wiederholte ihre Frage. »Ich fahre morgen später«, erklärte er, »weil ich vorher auf die Bank muß.«

      »Warum?«

      »Nur so.«

      Er war froh, daß sie nicht weiterbohrte. »Das paßt mir ganz gut«, sagte sie statt dessen, »da kann ich wenigstens noch die Betten auslegen.« Nach einer Weile fragte sie: »Was wird diese Feier wohl kosten?«

      »Das werden sie dir im Parkhotel sagen, wenn du danach fragst.« Sie legte sich auf die Seite und sah ihn an. »Mir kommt es ein wenig schäbig vor,