Die Schlange und die Krone. Fanny Hedenius. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fanny Hedenius
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711464809
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      Fanny Hedenius

      Die Schlange und die Krone

      Aus dem Schwedischen

      von Regine Elsässer

      Saga

      Die Jacke

      Meine Jacke ist wunderbar. Sie ist aus dickem Samt. Wenn man sie abwärts streichelt, wird sie graublau, aber wenn man mit der Hand aufwärts streicht, ist sie fast schwarz. Unten an den Ärmeln sind Silberfäden, aber sie hat keine sichtbaren Taschen. Innen im Futter gibt es allerdings verschiedene Geheimfächer. Die finde nur ich – und Mama natürlich, denn sie hat sie ja genäht. Sie näht alle meine Kleider, aber die Jacke ist schon mein bestes Stück. Der Kragen ist aus Otterfell. Er riecht ein bißchen merkwürdig, sie hat ihn auf dem Flohmarkt gekauft. Wenn unsere Jacken alle zusammen vor dem Klassenzimmer hängen, sieht man, daß alle in die gleiche Klasse gehen. Aber meine ist besonders. Sie ist ganz speziell für mich gemacht, und das sieht man.

      Deswegen habe ich natürlich auch sofort gemerkt, daß jemand sie in der Hand gehabt und sie schlampig an die falsche Stelle mitten unter die Sachen der Jungen gehängt hat. Wir kamen vom Essen, und ich drehte mich um, um zu sehen, wer ein schlechtes Gewissen hatte. Es dauerte eine Weile bis ich kapierte, was los war. Erst wurde es nur voll um mich herum, so voll von Jungen, daß ich mich nicht zu den Kleiderhaken durchkämpfen konnte.

      „Her mit der Jacke!“ schrie ich, weil ich wütend wurde, als ich merkte, daß ich eingeschlossen war.

      „Der geht es doch gut hier“, sagte Kristian. „Schließlich darf sie neben meiner hängen. Guck mal, wie nett!“

      Er stellte sich vor alle Jungen und machte vor, wie seine alte schmutzige Cordjacke die Arme um meine legen konnte. Er legte seine Wange an den Pelzkragen, verdrehte die Augen und sagte: „Mhmmm, ooohhh!“

      Er steckte seine Nase ins Fell und schnüffelte. Als ob dieser etwas modrige Geruch ganz besonders wunderbar wäre. Manchmal ist er so indiskret, daß ich gerne explodieren würde, um ihn in kleine Stücke zu sprengen. Aber das ging nicht, und all die anderen, die sich um mich drängten, waren noch schlimmer. Gunnar, dieses häßliche Gespenst, hielt mir den Arm mit einem festen Griff auf den Rücken, daß ich mich überhaupt nicht bewegen konnte, obwohl ich größer und stärker bin als er. Er blies mir in den Nacken und war einfach ekelhaft.

      „Was soll das denn, laß mich los, du fieser Kerl, laßt mich in Ruhe, haut ab, oder ihr könnt was erleben!“

      Die Jungen lachten alle nur und schubsten und drängten um mich herum. Man merkte, daß sie irgend etwas Bestimmtes vorhatten. Sie bewunderten wie immer Kristian. Er zog eine richtige Schau für sie ab. Er streichelte das Jackenfutter, und seine Augen glänzten. Wenn er bloß nicht die geheimste Innentasche fand, wo ich ein Foto hatte – von ihm nämlich! Er machte so viel blödes Zeug mit meiner Jacke, daß ich fast ohnmächtig wurde vor Zorn, er tanzte Tango mit ihr und so.

      „Eva! Agnes! Åsa!“ Ich rief die stärksten Mädchen in der Klasse. Ich wußte, daß sie kommen würden, ich hatte überhaupt keine Angst, ich war nur zornig. Das merkte Kristian. Ich sah, wie er die Lust verlor. Aber er mußte trotzdem weitermachen. Er konnte ja nicht vor den anderen zugeben, daß er von meinem Blick gebannt wurde. Aber er brauchte nicht länger als eine Minute zu spielen, daß er den Affen machte. Zum Glück klingelte es und alle liefen weg. Er warf mir die Jacke über den Kopf und verknotete die Ärmel um meinen Hals. Er ging als letzter. Ich hörte seine schlurfenden Schritte. Aber er ging doch nur deshalb ins Klassenzimmer, weil es klingelte.

      Göran, unser Lehrer, hat sich etwas Neues einfallen lassen, was ich gar nicht leiden kann. Er zählt die Minuten, die man zu spät kommt, und dann muß man nach der Schule doppelt so lange dableiben. Seine Ideen zünden, wenn sie neu sind, aber nicht bei mir. Ich kann ein ganzes Nachsitzen lang nur dasitzen und ihn anlächeln, daß er ganz nervös wird. Das macht mir Spaß. Er wird total unruhig und weiß am Ende nicht mehr, wo er hinschauen soll. Er ist so lächerlich, wenn er gleichzeitig wegschauen und herschauen will. Er würde mein Nachsitzen bestimmt am liebsten ausfallen lassen, wenn er sich das vor den anderen trauen würde. Aber die werden natürlich sauer, wenn er ungerecht ist.

      Und jetzt stand ich allein in meiner Jacke da und muß überlegen sein. Wenn man in eine Situation gerät, in der man lächerlich wirken soll, dann ist das Dümmste, was man machen kann, sich zu eilen. Wenn man seine Würde behalten will, muß man langsam machen. Ich blieb eine Weile im Dunkel der Jacke stehen. Deshalb bemerkte ich schwache Spuren von Kristians Geruch drinnen. Er ist der einzige in der Schule, der mich interessiert. Ich erkenne seinen Geruch unter all den nichtssagenden Gerüchen. Er ist der einzige, der mich traurig und froh und ärgerlich machen kann. Deshalb muß ich ihm zeigen, wo sein Platz ist.

      Als ich noch darüber nachdachte, wie, knotete ich ganz langsam die Ärmel auf und kam wieder ins Helle. Ich streckte den rechten Zeigefinger in den Aufhänger, schüttelte die Jacke aus und dann streichelte ich sie und legte meine Wange an den Kragen. Ja, genau! Es ist meine Jacke, und die streichele ich so viel ich will.

      Als ich mich umschaute um zu sehen, ob mich jemand beobachtete, wurde ich stutzig. Ach so! Jetzt verstand ich den Witz der ganzen Vorstellung. Sie wollten, daß ich etwas zu sehen bekäme – nämlich, was in das gelb gebeizte Brett eingeritzt war, in dem die Kleiderhaken festgeschraubt sind. An dem Platz neben Kristians Jacke, genau da, wo sie meine hingehängt hatten, las ich meinen Namen: Lou-Lou stand da in großen Buchstaben. Und dann etwas kleiner: ist hübsch. Und dann noch mehr: Wer dafür ist, daß Loulou am sexysten in der Klasse ist, macht hier ein Kreuz! Überall um meinen Namen herum wimmelte es nur so von Kreuzen. Bleistiftkreuze und Kulikreuze und weiße eingeritzte Kreuze drängelten sich ganz genau so, wie sich die ekligen Kerle um mich gedrängt hatten. Ich schüttelte die Jacke noch mal extra kräftig aus, damit das eingeschlossene Gefühl verschwand, und dann rieb ich mir den Nacken, bis die Haut brannte, weil ich das Schaudern vor Gunnars Atem los sein wollte.

      Es war nicht schwer zu erraten, wer das hier arrangiert hatte. Verdammter Kristian! Das würde er büßen! Ich ging direkt aufs Klassenzimmer zu und riß die Tür auf. Jetzt saßen sie alle mucksmäuschenstill da und schauten.

      „Kristian! Ja, genau du! Komm her!“

      Kristian wurde so rot, als ob der Direktor höchstpersönlich ihn gerufen hätte. Dann wand er sich wie ein Wurm und versuchte gleichzeitig, cool auszusehen. Peinlich!

      „Komm jetzt her! Sofort!“

      Ehe ich mit dem Fuß aufstampfen konnte, war er aus seiner Bank aufgestanden. Göran saß auf dem leeren Platz neben Ann-Katrin, da sitzt er oft, weil sie so viel Hilfe braucht. Die beiden Dösköppe waren gemeinsam in ein schwieriges Problem vertieft – sehr schwierig offenbar, weil sie nämlich die einzigen waren, die mich nicht anschauten. Als Kristian einen entschuldigenden Blick in Görans Richtung schickte, der ungefähr sagte: „Du siehst ja, Loulou ist nun leider total verrückt geworden, was soll man machen, es ist besser, sie nicht noch mehr zu reizen“ – war das überflüssig. Von Göran bekam er keine Hilfe, er mußte zu mir herauskommen.

      „Aber Loulou … was ist denn …“

      Er wollte verständnisvoll und ruhig klingen, damit meine Wut lächerlich wirkte.

      „Idiot! Stell dich nicht dümmer an, als du bist! Das ist nicht nötig!“

      Ich streckte schnell meinen rechten Arm vor und packte ihn am Hals. Ich drückte ihm meine Nägel in die Haut, und die waren wahrlich nicht kurzgeschnitten. Ich schubste ihn vor mir her und stieß ihn in seine schmuddelige Cordjacke. Dann griff ich ihn mit beiden Händen von vorne am Kragen, daß er kaum mehr Luft bekam und schnaubte:

      „Du hast das hier geschrieben!“

      „Aber du siehst doch, daß auch andere …“

      Ich schüttelte ihn, bis er still war. Als ich merkte, wie viel stärker als er ich in dem Moment war, erschrak ich und ließ ihn sofort los.

      „Laß mich aus deinen saublöden Wettbewerben raus. Ich will von deinen Abstimmungen nichts wissen! Nimm, wen du willst, wenn du dich aufspielen willst. Nimm Danja! Oder Berit. Oder sonst wen. Vielleicht Ann-Katrin? Aber nicht mich. Hast du verstanden? Vor der nächsten Pause ist das hier weg! Geh