Die Sonnenflöte. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467305
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      Hans Leip

      Die Sonnenflöte

      Roman

      Saga

      1

      Als Tidemunt den Abend nach Hause kam, ließ er den Wagen nicht warten. Er gedachte, es sich endlich einmal gemütlicher zu machen und nicht, wie zumeist in den letzten Monaten, auch noch die halbe Nacht im Büro zuzubringen. Was zu schaffen war, schien ihm weitgehend gediehen. Seine sämtlichen Pläne für das neue Hafengelände waren bis auf wenige Kleinigkeiten in allen Instanzen genehmigt.

      Behaglich schnaufend polterte er ins Treppenhaus. Die Stufen ächzten unter der Wucht seiner Statur. Doch dann verhielt er. Geigentöne zirpten durch den Schlund der Stockwerke. Oho, sie übt noch! dachte er zärtlich und stieg die letzten Stufen zum Dachgeschoß sehr behutsam hinan. Hier klangen die Geigentöne heftiger durch die dünnen Bauwände; unermüdlich wiederholte sich immer das gleiche Thema, es klang wie hastige Schreie. Nun, nun! dachte er: Nimms gelinde, Perchta! Der alte Brahms tats auch.

      Leise drehte er den Schnepper im Schloß. Auf Zehenspitzen ging er ins Wohnzimmer, ganz und gar eingeduscht — so war ihm — von den raschen Triolen und Doppelgriffen. Der Geigerin — sie übte wie gewöhnlich nebenan im Schlafzimmer — wollte es anscheinend nicht nach Bedarf und sauber genug gelingen, ihre Anläufe erfolgten ohne Pause, immer wieder in jäher Disharmonie zerbrechend.

      Tidemunt knipste kein Licht an. Er ließ sich, den Atem dämpfend, in einem Sessel nieder und wartete geduldig. Die Türritzen faßten das kleine fiebernde Motiv, das ungestört sich weiter mühte, in eine schmale Goldleiste. Er starrte darauf hin. Er meinte, sie vor sich zu sehen wie damals in ihrem ersten Konzert, so jung, so leidenschaftlich, so schmal und todesbleich, von Beifall umrauscht. Seine Zuneigung zu ihr hatte danach lange Zeit gehabt, sich zu prüfen. Erst nach dem Kriege, als er völlig allein dagestanden, allein wie sie, hatte er sie geheiratet, immer noch voll Bewunderung.

      Tidemunt zündete sich, so sachte es ging, eine Zigarre an. Er war neugierig, wie lange ihre Kraft reichen werde, so verbissen sich mit der Hörbarmachung eines Komponisteneinfalls zu plagen. Welche Zähigkeit! Aber auch welch steigende Verzweiflung! Man sollte dazwischenfahren! dachte er, aber er wußte zu gut, welch saure Wege zurückzulegen sind, bis etwas Vollendetes entsteht. Er strich ergeben mit der Handkante über den Tisch, der heute ungedeckt geblieben war, so, als werde niemand erwartet. Die Geige hats verspielt! knurrte er.

      Abschein von Schiffslampen wanderte über die niedrige Stubendecke, durchflackert vom Gegrell der Werftbrenner. Lärm von Verkehr und Betrieb drang gegen die Fenster, aber die Akkorde der Geige warfen sich dagegen, sie beherrschten den Raum, sprangen gegen die Wände, scheiterten und setzten von neuem an. Es sind ein paar großartig gebaute Takte, sagte sich Tidemunt duldend, aber die gehäufte Wiederholung selbst der Schönheit zerstört den Genuß. Sie quält sich, man sollte sie erlösen. So dachte er gemartert. Aber eine im Dunkeln aufquellende Müdigkeit lähmte ihn. Ihm war, als sitze er in einer Badewanne voll Quecksilber, und quecksilbern regnete ihm die Geigenstrophe aufs Gehirn. Die Überarbeitung der letzten Zeit, ja, der letzten Jahre machte sich bemerkbar. Er lachte kurz auf, seiner Leistung, seiner Erfolge jäh und ermunternd bewußt, und schlug sich die Hand vor die Lippen, bestürzt, zu laut gewesen zu sein. Sitze ich hier nicht glücklich und bequem? knurrte er sich an, und wohne dem Werden eines großen Konzertes bei? Wie sehr doch liebe ich sie, die sich so inbrünstig der Erweckung der sonderlichen Gebeine opfert, die da Noten heißen.

      So saß er da, gewillt, anzuerkennen und gutzuheißen, so wie er selber sich anerkannte und Anerkennung beanspruchte. Aus dem Übermüdeten hervor, das in ihm lauerte, aber erhob sich ein dürres nüchternes Auge und stellte sich neben ihn und betrachtete ihn. Du siehst grau und schlaff aus, stellte dieses Auge fest, du hast nicht nur zuviel gearbeitet, sondern auch im Übermaß in dich hineingeschlungen an Üppigkeiten und Freuden aller Art, gierig und wahllos, aufs törichteste vermischt mit Aufregung und Ehrgeiz, Hast und Ärger. Gestehe nur, du ahntest sehr wohl, wie dein Können nachgelassen hat, wie du drei Stunden brauchtest für Überlegungen, die du vormals in wenigen Minuten bewältigt. Du wolltest dich anfeuern und aufmöbeln und tatest überall so rauschend sicher und gewaltig, und jeder hat es geglaubt, sogar deine Frau. Sogar deine Frau?

      Tidemunt knurrte ungemütlich. Sollten hier etwa Zweifel gehegt werden an seiner, des geachteten Oberbaurates und Hafenbaumeisters Arnold Tidemunt unverbrüchlichen und anständigen Ehe und allerinnigsten Herzensbindung? Das Herz pochte ihm gegen die Gurgel. Die Saiten nebenan wurden immer schärfer hergenommen. Das holde Klingen schien sich zu wandeln in das Kreischen einer Kreissäge. Perchta! keuchte er verhalten: Wohin entfernst du dich! Ach, bleib doch!

      Und auf einmal hob er die Faust, oder vielmehr etwas in ihm, etwas Uraltes und Böses hob ihm die Faust, um sie entgegen aller liebenden Höflichkeit auf den leeren Tisch zu donnern. Doch drüben, im gleichen Wimperschlag und mitten im wildesten Tempo, platzte schrill eine Saite und milderte den niederschmetternden Hall der Männerfaust, und wie ein Echo polterte die Geige in den Kasten. Es war plötzlich still bis in den Hafen hinein.

      2

      Tidemunt war drauf und dran, sich in diesem Augenblick davonzustehlen. Er fühlte, sein Gesicht hatte die Fähigkeit verloren, freundlich auszusehen. Da jedoch öffnete sich die Tür, Licht ergoß sich, und seine Frau stand da, groß und füllig, dunkel auf goldenem Grund. Ihre Figur hatte sich mit den Jahren der seinen aufs dekorativste angeglichen. Das hatte er oft gepriesen. Nun schien sie erschreckend aufzuragen, und ein halb unterdrückter Aufschrei war vernehmbar. Tidemunt spürte, es klang nicht echt. Er hörte heraus, daß sie ihn längst bemerkt, und sei es durch den Duft der schwarzen Corona, der sich zu ihr durchs Schlüsselloch gefädelt hatte. Nun schaltete sie auch die Lampen des Wohnzimmers ein. Hier war nichts zu verbergen. Sie war in einem grauen soliden Jackenkleid. Als erwache sie aus einer Hypnose, blickte sie auf ihre Armbanduhr und verglich sie mit der Standuhr auf der Kredenz. Dann blickte sie fassungslos auf den ungedeckten Tisch. Es war, als erröte sie vom Kinn herauf, wo der Druck der Geige eine Spur hinterlassen. Sie schüttelte den Kopf, ihr Haar tanzte verwirrt, noch immer strohfarben wie einst. Tidemunt empfand einen trockenen Schmerz unterm Zwerchfell. Sie war im Reisekleid, sie wollte sichtlich von dannen. Er sah es, und sie wußte, daß er es sah. Es war nichts darüber zu reden. „Perchta“, sagte er darum so leichthin und so rasch es ihm von der Zunge wollte: „Am einfachsten gehen wir jetzt irgendwo essen.“

      Ihre Züge belebten sich. Ihre runden blassen Augen irrten an ihm vorbei an die vom Dunkel entblößten vier Wände, entlang an dem mancherlei Kleinkram, der aufgescheucht umherstand und umherhing, allerlei exotisches Schnitzwerk, Bastgeflecht, Negerfetische, Amulette, wunderliche Gefäße, Waffen, Löffel und Bootsriemen, was alles um so fremdartiger wirkte, als die Möbel des Raumes äußerst schlicht und einige Ölbilder höchst impressionistisch anmuteten. Tidemunt griff mit einem Ruck ins Jackett und zog einen vergilbten zierlichen Elefanten aus Elfenbein hervor. Er lobte die frühe indische Arbeit und äußerte angestrengt, es handle sich um ein glückbringendes Symbol übermenschlicher Kraft.

      Dann schob er das Mitgebrachte zart und bedeutsam über die blanke Ahornplatte des Tisches zu ihr hin, so, als ziehe er eine Verbindungslinie auf dem Reißbrett nach.

      Die Geigerin achtete nur flüchtig auf seine Bewegung und sagte, wie sie es so oft gesagt hatte: „Das ist lieb von dir, Arnus.“ Und fuhr dann ohne Übergang klagend fort: „Du mußt verzeihen, wenn du dich heut vernachlässigt findest. Ich war so versessen, das D-dur-Konzert endlich sauber hinzukriegen, aber dieser dritte Satz ...“

      Sie stockte, an Tränen schluckend, und er warf begütigend ein: „Allegro giocoso, Perchta, nimms scherzhaft, wie es sein soll! Was schuftest du dich damit ab? Willst du auf Tournee oder wohin geht sonst die Reise?“

      Sie fiel ihm ins Wort: „Mir ist nicht scherzhaft. Immer sitz ich hier und warte, und dann kommst du, schlingst dein Essen hinunter und gehst wieder.“

      „Und gerade heute wollte ich ...“ Er brach ab, sie nicht zu kränken, brummelte verlegen, er müsse tatsächlich bald wieder ins Büro.

      „Mag sein, Arnus“, entgegnete sie: „Heute zufällig wolltest du vielleicht einmal daheim sein, das hast du oft