Kaśka Bryla
Roter Affe
Roman
Überlappungen mit Personennamen,
Institutionen oder Orten sind rein zufällig.
Diese Geschichte ist pure Fiktion.
© 2020 Residenz Verlag GmbH
Salzburg – Wien
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Umschlaggestaltung: Eva Grün, https://eva.einfach.org
Typografische Gestaltung, Satz: Lanz, Wien
Lektorat: Jessica Beer
ISBN ePub:
978 3 7017 4644 6
ISBN Printausgabe:
978 3 7017 1732 3
Für Władysława Monika Sułkowska Bryła
Inhalt
Prolog
Mania lief die Straße entlang. Sie war fünf Jahre alt und wusste, dass sie fünf Jahre alt war. Es war Sommer, später Nachmittag, vielleicht schon Abend. Die Uhrzeit kannte sie noch nicht, aber in diesem Sommer würde Mania von ihrem Vater die erste Uhr geschenkt bekommen.
Eine warme Windböe blies ihr ins Gesicht. Unter den nackten Füßen glühte der Asphaltboden. Sie sprang immer wieder von der Straße auf den Gehweg, wo Pflastersteine die verbrannten Fußballen kurz abkühlten. Die Arme hatte sie weit ausgestreckt. Rechts und links standen Einfamilienhäuser einer Reihenhaussiedlung, abwechselnd gelb und weiß. Hinter Mania rannte Tomek. Sie hörte das Klappern seiner Sandalen.
Es war ein Moment, in dem alles stimmte, und Mania beschloss, dass sie ihn für alle Zeit behalten wollte. Bisher war es so: Die Momente kamen und gingen. Aber ab jetzt bestimme ich. Ich, der Sommerwind, die Häuser, die Straße und Tomek hinter mir. Dieses Bild soll bleiben, bis ich sterbe.
Tomeks verschwitzte Hand klatschte auf ihre Schulter. »Hab dich!«, brüllte er ihr ins Ohr und rang nach Luft. Sie drehte sich um und kicherte. Dann streifte sie seine Hand ab. »Gar nicht!«, antwortete sie und rannte weiter. »Bis zum Badeteich! Wer zuerst ist, hat gewonnen.«
»Du bist gemein!«, hörte sie die Stimme von Tomek, der hinter ihr zurückfiel. Er würde nicht aufgeben, obwohl beide wussten, dass Mania die Schnellere war. Bei der Kreuzung hielt sie kurz an. Sie zögerte. »Das darfst du nicht!«, rief Tomek außer Atem. »Das darfst du nicht!«, schrie er noch lauter. Mania sah auf die Kreuzung. Alles war still, wie in einem ihrer Bilderbücher. Ihr Herz klopfte heftig. Sie kniff die Augen zu und rannte los. Es war nicht weit. Als sie die Kieselsteine unter den Füßen spürte, öffnete sie die Augen. Tomek stand noch immer auf der anderen Seite, die Arme vor der Brust verschränkt, den Blick zu Boden gerichtet. »Feigling!«, rief Mania und lachte. »Jetzt komm schon! Ich will schwimmen!« Tomek schüttelte den Kopf. Die blonden Locken wirbelten über sein Gesicht. »Bitte, bitte!« Sie wusste, er würde nachgeben. Ein Auto fuhr langsam über die Kreuzung und versperrte ihr für einen Augenblick die Sicht. Tomek hatte jetzt die Hände zu Fäusten geballt. Mania klatschte. Tomek lief los.
Dann schwammen sie gemeinsam so weit hinaus, wie sie konnten. Ein feuerroter Sonnenball verschwand zügig hinter der Reihenhaussiedlung.
»Und nun?«, fragte Tomek, als sie wieder am Ufer saßen, und warf einen Kieselstein ins Wasser. »Ich hab Hunger«, antwortete Mania. »Ich auch«, sagte Tomek, »aber wie kommen wir zurück?« Erschrocken blickte Mania auf. Das hatte sie nicht bedacht. Sie mussten noch einmal über die verbotene Kreuzung laufen. »Du immer und deine Ideen«, murmelte Tomek. Mania stand auf und schmiss eine Handvoll Kieselsteine ins Wasser. »Was denkst du? Wenn wir auf die andere Seite des Sees schwimmen und dann weiterlaufen? Sind wir dann in einem anderen Land?« Tomek zuckte mit den Schultern. »Ich möchte nach Hause«, sagte er, ohne sich zu bewegen. Mania setzte sich und legte den Arm um ihn.
Ganz plötzlich war es dunkel, und viele Schritte auf einmal näherten sich. Auch Stimmen, die ihre Namen riefen. Bevor sie antworten konnte, spürte Mania, wie sie von den Händen ihres Vaters hochgezogen wurde und auf den Beinen stand. Sie konnte sich nicht erinnern, eingeschlafen zu sein. Tomeks Vater kniete vor Tomek und schüttelte ihn so lange, bis Tomek zu weinen anfing. Mania sah zu ihrem Vater hoch. Sie wollte schnell sagen, dass es ihr leidtat, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken. Er hielt ihr das Kleid hin und befahl nur: »Zieh dich an!« Sie hörte Tomek schluchzen, und das machte, dass sie sich elend und schlecht fühlte. Es war meine Idee, wollte sie sagen, aber wieder kamen die Worte nicht heraus. Immer brachte sie Tomek und sich in Schwierigkeiten, dabei hatte sie nur kurz ins Wasser tauchen wollen. Jetzt war alles mies. Sie würde nicht bei Tomek schlafen dürfen. Und Tomek weinte. Sie wollte sich losreißen und Tomek das Weinen aus dem Gesicht wischen. Er sollte nicht weinen, nicht wegen Mania und am besten überhaupt nie. Morgen würde er wütend auf sie sein. Das