Ministerium der Liebe. Bettina Gugger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bettina Gugger
Издательство: Bookwire
Серия: Short Cuts
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783906037479
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hinzugedichtet. Was ich damit sagen will: Ältere Damen treten immer nur als liebe Omas in Erscheinung. Das ist doch komisch. Die Männer aber bleiben immer Herren.»

      Daniel konnte Laras Logik nicht ganz folgen. Aber er ahnte, dass sich Lara regelmässig in ihren Fantasien verlor, da sie nicht bereit war, Tatsachen unhinterfragt hinzunehmen.

      Sie suchte ständig nach der Ausnahme, nach dem Regelverstoss und den wahren Gründen dahinter. Sie erinnerte ihn an seine Tochter, die ihn als Kind mit ihrer endlosen Fragerei oft an seine Grenzen gebracht hatte.

      «Schönen Urlaub!», rief ihm Lara hinterher.

      Ihre blonden strähnigen Haare fielen ihr ins Gesicht. Sie war ungeschminkt und ihre Nasenspitze braun gebrannt.

      Daniel packte seinen kleinen Reisekoffer, dazu trank er ein Bier. Immer wenn er dachte, an alles gedacht zu haben, kam ihm noch etwas in den Sinn. Badehose. Handtuch. Besser zwei Handtücher. Eines zum Duschen, eines für den Strand. Also noch besser drei Handtücher. Nämlich ein zweites, um sich am Strand abzutrocknen. Er ertappte sich beim Gedanken, die Sonnencreme nicht mitzunehmen, da seine Noch-Ehefrau ja bestimmt auch Sonnencreme einpacken würde. Seine lag nämlich auf dem obersten Regal seines Wandschranks, das er ohne Leiter nicht erreichen konnte.

      «Herrgott», sagte er schliesslich zu sich selber: «Du bist Museumstechniker, dann kannst du jetzt auch die Sonnencreme vom obersten Regal deines drei Meter hohen Wandschranks holen.» Die Decke war wirklich zu hoch, um ihm auf den Kopf zu fallen! Seine Frau wartete doch nur auf solch kleine Unachtsamkeiten, um ihre Augenbraue hochzuziehen, und sich gespielt enerviert zu beschweren.

      Kürzlich hatte sie zu ihm gesagt: «Jetzt bist du schon seit acht Jahren alleine und fragst mich immer noch nach Haushaltskram, den du ganz einfach im Internet nachschlagen kannst. Ich glaube, du wirst nie selbständig sein, weil du vorher an Alzheimer erkrankst.»

      Kein Wunder, dass sie sich getrennt hatten. Anfangs hatten sie der Tochter zuliebe zusammen Urlaub gemacht. Die Tochter war mittlerweile auch schon zwanzig, aber die Tradition hatten sie beibehalten.

      Für Cynthia war es wie ein spätes Kinderglück, dass sich ihre Eltern doch noch irgendwie verstanden, und zwar viel besser als damals, als sie noch alle unter einem Dach gelebt hatten. Carmen war davon überzeugt, dass dadurch das Beziehungsverhalten ihrer Tochter ganz bestimmt positiv beeinflusst wurde. Er hingegen war ziemlich skeptisch, was die Beeinflussung der Beeinflussung anging. Hätte sein Beispiel unrühmlicher Lebensführung uneingeschränkt auf das kleine Mädchen und später auf den Teenager abgefärbt, dann gute Nacht. Cynthia hatte zwar von seinen Alkohol- und Drogenexzessen nie direkt etwas mitbekommen, aber die Konsequenzen waren nicht zu leugnen gewesen. Tage, an denen er in den Seilen hing, überdrehte Gäste, die teilweise so wirres und grössenwahnsinniges Zeugs von sich gaben, dass sich Carmen gezwungen sah, ihre Tochter von den tollen Künstlern und Schriftstellern abzuschirmen, Versprechungen, die er nicht immer einhalten konnte, und schliesslich seine Frau selbst, die er vernachlässigte. Irgendwann sagte sie, er müsse sich entscheiden, wie er leben wolle. Ob er mit seinen Freunden weitermachen wolle oder mit ihr und dem Kind. Ob er sich selbst zerstören oder kämpfen wolle. Sie machte ihm keine Vorwürfe. Sie war Psychoanalytikerin, liess aber in den eigenen vier Wänden ihren Beruf weitgehend draussen. Manchmal sprachen sie über das eine oder andere «Müsterli», das schon. Für diesen Ausdruck hätte er sie jeweils ohrfeigen können. Ihr zuliebe las er Bücher wie «Wege zu sich selbst», um ihr abends den Inhalt vorzutanzen. Hätte Carmen ihre Methoden aber auf ihn anwenden wollen, wäre sie gescheitert, also entschied sie sich für die Intuition und das Ergründen ihres eigenen Schattens; warum sie sich einen Mann ausgesucht hatte, der sie immer wieder von sich wegstiess. Er gestand sich schliesslich ein, dass er nur darauf wartete, bis sie etwas sagen würde.

      Schliesslich sah er keinen anderen Weg, als in eine andere Stadt zu ziehen. Er hätte nicht neu anfangen können, wenn jedes Wochenende wieder einer seiner Freunde auf der Matte gestanden hätte. Er hätte nicht die Kraft gehabt, zu erklären, dass er nun beabsichtigte, ein anderer Mensch zu werden. Und so wurde er vom beliebten Konzert- und Eventveranstalter, der jeden kannte und der überall ein gern gesehener Gast war, zum Museumstechniker. Er war fünfzig und nirgends recht verankert.

      Die Wellen schlugen hoch. Es war ein kühler Abend, und Cynthia hatte sich bereits schlafen gelegt. Wahrscheinlich skypte sie aber noch mit ihrem neuen Freund. So sass er mit Carmen bei einem Glas Rotwein auf der Terrasse des Restaurants, das zehn Bungalows miteinander verband. Er stellte sich ihr Leben vor, das erfüllt war, das strahlte sie jedenfalls aus, während er verzweifelt nach Worten suchte, wie er seine Lage hätte schildern können, um nicht ganz und gar hoffnungslos zu klingen. Die Wahrheit von desolaten Lagen war aber, dass sie sich schlecht verbergen liessen. Die Grammatik des Leids war eine andere als die Grammatik des Glücks. War man unglücklich, sagte man entweder viel zu viel oder viel zu wenig. Das passierte keinem, der zufrieden war.

      «Gibt es denn keine Frau in deinem Leben?», fragte Carmen.

      Und er schüttelte langsam den Kopf.

      «Keine einzige, die dir gefällt?»

      Er dachte, dass sie bestimmt jemand Neues hatte, wenn sie so fragte.

      «Na ja», sagte er. «Aber sie ist viel zu jung.»

      «Wie jung?», wollte Carmen wissen.

      «Dreissig.»

      Sie lachte schallend. «Das ist doch nicht jung. Dreissig! Da hat man schon mal eine leichte Ahnung vom Schrecken der Welt bekommen.»

      «Ich kenne sie noch gar nicht richtig», winkte er ab.

      «Eine Arbeitskollegin?», fragte sie.

      «Hmm», machte er, wobei er darüber nachdachte, dass man sich so eigentlich nur in Arbeitskolleginnen verlieben konnte. Wäre sie die Nachbarin, hätten sie schon lange ein Bier zusammen getrunken und dabei eine bestimmte Gewissheit erhalten.

      Normalerweise verschaffte er sich schnell Gewissheit.

      «Warum zögerst Du?», fragte Carmen. «Das Bett ist doch die Voraussetzung für lange Träume.»

      «Sie ist Künstlerin», sagte er.

      «Oh-ooo!», machte Carmen. «Du lässt dir eine knackige Dreissigjährige entgehen, weil sie Künstlerin ist?»

      Er zuckte mit den Schultern.

      «Oder ist sie etwa nicht knackig?»

      Ihm wurde das Verhör langsam ein bisschen lästig. Eine Mücke summte um seinen Kopf herum. Trotz der Trennung, die nun auch schon länger zurück lag, fand er es immer noch unnatürlich, mit seiner Frau über andere Frauen zu reden. Sie hatten in zwanzig Jahren Ehe fast alle Arten der Kommunikation ausprobiert: Etwas sagen. Nichts sagen. Lügen. Die Eifersucht interessierte sich aber herzlich wenig für Gesprächskulturen. Sie war einfach da.

      «Säuft sie?»

      «Hast du deine Praxis aufgegeben?», stöhnte er.

      «Warum rückst du mir so auf die Pelle?»

      «Warum nicht? Wir waren immer viel zu nett miteinander.» Sie winkte mit einer souveränen Geste den Kellner herbei:

      «On prend encore une bouteille de ce jolie vin, Monsieur – je vous en prie!» Carmen schaffte es tatsächlich, dem strengen Franzosen ein Lächeln abzuringen. «Bien sûre, Madame! Avec plaisir!»

      «Was ist mit Dir? Du bist so anders. So frisch. Hast du jemanden?»

      «Ja», lächelte sie, «27».

      Er hätte beinahe seinen Wein hinausgespuckt. «Du meinst, so alt wie die Jungs, mit denen Cynthia ausgeht?»

      «Ich verstehe den Zusammenhang jetzt nicht. Cynthia kann genauso gut mit einem Vierzigjährigen ausgehen. Ich könnte auch mit einem Siebzigjährigen liiert sein.»

      «Ja, aber dann erklärst du ihm doch die Welt oder nicht?», versetzte er.

      «Nein, warum? Schliesslich ist es das erste Mal, dass ich einen so viel jüngeren Freund habe. Also warum sollte ich ihm die Welt erklären,