Ministerium der Liebe. Bettina Gugger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bettina Gugger
Издательство: Bookwire
Серия: Short Cuts
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783906037479
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Wie ein nasser Vogel, dachte er. Und dann bemerkte er noch etwas: heimliche Freude. Er dachte: Warum fällt sie mir nicht um den Hals? Er sagte: «Aber du hast doch gesagt, dass du die Pille nimmst.»

      Sie biss sich auf die Unterlippe. Warum beisst sie sich auf die Unterlippe, dachte er. Lernen Frauen das in Vorabendserien? Er wusste nicht mehr, was sagen; alles erinnerte ihn an die Szenerie einer blöden Seifenoper. Er wollte fragen: «Und, was willst du jetzt machen?» Stattdessen sagte er: «O.K., ich muss das erst mal sacken lassen. Bitte lass mich jetzt alleine. Wir können uns am Abend treffen.»

      Sie flüsterte: «O.K.»

      Er schloss die Haustüre, noch bevor sie sich zum Gehen abgewandt hatte. Er fühlte sich, als ob gerade eine Welt zusammenbrach. Er wollte fluchen, etwas gegen die Wand werfen. Schliesslich überkam ihn ein Lachanfall. Das konnte doch nicht wahr sein. Das durfte doch nicht wahr sein. Warum er? Und bei diesem Gedanken musste er noch mehr lachen, er sagte sich: «Mikesch, du bist nicht der Erste, dem das passiert. Gäbe es keine Väter, gäbe es auch dich nicht. So ist die Welt nun mal organisiert.» Und er hörte seine Schwester sagen: «Dazu gehören immer zwei.»

      Das Verb «organisieren» gewann fortan an Bedeutung. Und durch das Organisieren vergass er auch das Johanniskraut, und er sah davon ab, seinen sicheren Job zu kündigen.

      Er traf sich noch regelmässig mit seinen Kumpels in ihrer Stammkneipe, aber zunehmend stimmten ihn ihre Gespräche über Fussball, Musik und Weiber melancholisch. Seit Jahren führten sie dieselben Diskussionen, wie eine Band, die nur eine Hand voll Songs in ihrem Repertoire hatte und sich immer noch darüber stritt, ob der Schlagzeuger zu schnell und die Gitarre zu leise war. Ab und zu tauchte wieder eine neue Frau auf, aber je verrückter diese war, desto weniger unterschied sie sich von ihren Vorgängerinnen.

      Nathalie und er hatten beschlossen, sich zusammenzutun, so wie es das Schicksal wollte. Nathalie wurde mit jeder Schwangerschaftswoche anhänglicher. Mikesch dachte, sobald sie bei ihm eingezogen wäre, würde sich das legen, man würde zusammenleben, unaufgeregt und wie zwei Planeten umeinander und später um die neue Sonne kreisen.

      Nathalies Bedürfnis nach Kuscheleinheiten überforderte ihn aber schon bald. Wenn er Lust hatte, mit ihr zu schlafen, wollte sie bloss umarmt werden. Legte er daraufhin ihre Hand auf seinen Penis, damit sie ihn wenigstens streichelte und sanft wichste, wie sie das früher oft getan hatte, morgens im Halbschlaf, zog sie ihre Hand weg. Nathalie wurde schweigsam. Erkundigte er sich nach ihrem Befinden, zuckte sie bloss mit den Schultern. Andererseits reagierte sie auf kleine Fehlleistungen, wie eine geöffnete Zahnpastatube, äusserst gereizt. Dann begannen die Fragen, und Mike musste wieder an die Vorabendserien denken. «Wo warst du?», «Mit wem?», «Warum hast du nicht?», «Kannst du nicht mal?», «Denkst du auch an mich?», «Wann kommst du nach Hause?».

      Dann sagte er ihr eines Abends in aller Deutlichkeit: «Hör zu, wenn wir schon vorher kein symbiotisches Paar waren, dann kannst du auch nicht von mir verlangen, von heute auf morgen alle Freiheiten aufzugeben, um ausschliesslich um dein Wohl besorgt zu sein.»

      Sie schaute ihn mit funkelnden Augen an: «Vögelst du eine andere?»

      Ihre flegelhafte Ausdrucksweise liess ihn innerlich aufhorchen. Er erinnerte sich an ihren Ausraster vor Jahren, als sie auf Ecstasy gewesen war und zu viel getrunken hatte. Damals war sie auf ihren Bruder losgegangen. Zu viert hatten sie sie festhalten müssen. «Darum geht es doch gar nicht», stöhnte er. Er hätte im Moment gar nicht die Kraft gehabt, mit einer anderen Frau zu schlafen.

      «Wusste ich‘s doch!», fauchte Nathalie. «Was ist mit dieser Eva, mit der du jeden Morgen auf den Bus gehst?» Er sagte, ihm wäre das jetzt zu blöd, er ginge ein Bier trinken.

      Sein Freund Tom meinte, sie würde sich bestimmt beruhigen, sobald das Kind da wäre. Schwangere wären halt öfter mal gereizt. Jede Frau in anderen Umständen würde unter Eifersucht leiden, da der Mann rein biologisch gesehen zu anderen Frauen tendieren müsste, um seinen Samen möglichst breit zu verstreuen, das wäre nun wirklich kein Geheimnis. «Ausserdem kannst du weiter saufen und sie nicht. Viele Frauen fühlen sich in der Schwangerschaft einsam, wenn sie ihr Glück nicht teilen können, und das können sie eigentlich nur mit anderen Schwangeren.»

      «Tom», sagte Mikesch, «warum arbeitest du eigentlich nicht bei der Dargebotenen Hand?»

      «Das ist Freiwilligenarbeit, und die behalt ich mir für Dich vor.»

      Mikesch versuchte Nathalies Launen durch klassische Musik und Massagen zuvorzukommen. Er umsorgte fortan nicht mehr die Geliebte, sondern die Mutter seines Kindes.

      Wenn er sonntags Brötchen vom Bäcker holte und Rührei brutzelte, bedauerte er es, nicht schon eher damit angefangen zu haben. Sein früheres Leben kam ihm nun doch etwas schal vor im Vergleich zur Gegenwart, die rasend schnell voranschritt, wie die Ultraschallbilder bewiesen. Die hochschwangere Nathalie ächzte und stöhnte, und er lachte vergnügt, wenn er ihr die Schuhbändel schnürte. Noch vor einem Jahr hätte er jedem den Vogel gezeigt, der ihm gesagt hätte, dass er einmal einer Frau die Schuhe schnüren würde. Nur manchmal schaute Nathalie mit glasigen Augen in eine Ecke, ein Blick, der ihn leicht schaudern liess.

      «Zu welchen Namen tendierst du denn heute?», fragte er, um ihr Spiel wiederaufzunehmen.

      Die Kunst bestand darin, besondere, aber nicht allzu besondere Namen, die das Ungeborene hätten lächerlich machen können, zu finden. Wahrscheinlich würden sie aber dann im entsprechenden Moment intuitiv zu Marta, Maria und im Fall eines Buben zu Lukas oder Noah greifen.

      «Was hast du bloss immer mit diesen biblischen Namen?», fragte Nathalie, was auch schon den nächsten Konflikt heraufbeschwor. Sie wollte das Kind nicht taufen lassen, er schon. Er fand, Traditionen sollten weitergegeben werden, das Kind müsse ja irgendeine Reibungsfläche haben. Ausserdem mochte er Kirchen, hatte aber bis dahin keinen Anlass gefunden, sich in eine Kirche zu setzen. Das Studium der östlichen Religionen hatte er dem Bibelstudium bisher deutlich vorgezogen. Er würde seinen Buben heimlich Stanislaus nennen, dachte er. Und er überlegte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis Nathalie herausfinden würde, dass ihr Kind vom Vater heimlich Stanislaus genannt wurde. Dieser Gedanke belustigte ihn, und er dachte: Das arme Kind. Ich sollte mit meinen Spässen vielleicht etwas warten, sonst wird aus Stanislaus ein Narr.

      Nathalies Gedanken hingegen reichten nicht in die Zukunft. Frass das Kind ihre Fantasie weg? Wenn sie sich mit Freundinnen traf, die von ihren Liebhabern erzählten, von Städtetrips und Fitnessplänen, von ätzenden Chefs und Gehaltserhöhungen, überkam sie ein Neid, den sie sich kaum wagte einzugestehen. All diese Dinge waren in den nächsten Jahren für sie gestrichen. Die Karriereleiter hinaufzuklettern hatte sie ohnehin bereits versäumt. Sie würde nie mehr als eine einfache kaufmännische Angestellte sein, die Sekretärin, ein Beruf, der ihr nie Freude, sondern immer nur Verdruss bereitet hatte. Aber anstatt ihre Kraft auf eine neue Ausbildung zu verwenden, hatte sie ihre Freizeit mit der Verdrängung ihrer Situation verbracht. Jetzt war sie zum ersten Mal, seit sie zwanzig gewesen war, neun Monate am Stück nüchtern. Eine Tatsache, die sie selbst kaum zu denken wagte, zu erbärmlich schien sie ihr. Sie hatte geglaubt, eine Schwangerschaft würde alles verändern. Sie hatte sich das wie eine Erleuchtung vorgestellt.

      Livia erzählte gerade von ihrer Nacht mit dem Eishockeyspieler Fabien Eggenschwiler, dessen breite Statur sie komplett unterschätzt hätte, und sie wäre ja nun auch nicht gerade ein Spränzeli und würde schon was wegstecken können, aber so ein Hockeyeler wäre nun wirklich des Guten zu viel, definitiv nur etwas fürs Grobe, fürs Vaginale, feinmotorisch würde da gar nichts gehen. Nathalie fröstelte, ihr Blick verfing sich im bunten Laub der Bäume. Katharina, die, seit sie wieder studierte, nie auf Perlenschmuck verzichtete und stets so aufrecht ging, dass auch wirklich jeder sehen konnte, dass sie eine Ballettausbildung genossen hatte, verdrehte leicht die Augen. «Knapp verfehlt ist auch daneben. Im Oberland sind die guten Männer. Nächstes Wochenende gehen wir zusammen zum Chästeilet ins Rosenlaui!»

      Dann setzten die Wehen ein. Livia kreischte: «Das Kind kommt, das Kind kommt!» Katharina schrie unsinnigerweise nach Wasser. Eine Dame mit grauem Pagenschnitt und dem weichen Gesicht einer Ärztin erhob sich vom Nebentisch, packte Nathalie am Arm und sagte: «Kommen