Morgenroths Haus. Thomas Perlick. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Perlick
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783962851590
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      Morgenroths Haus

      Themarer Geschichten

      Thomas Perlick

      

       eBook EPUB: ISBN 978-3-96285-159-0

       Print: ISBN 978-3-939611-02-8

      1. Auflage 2006

      Copyright © 2006/2020 by Salier Verlag, Leipzig und Hildburghausen

      Alle Rechte vorbehalten.

      Lektorat: Hans-Jürgen Salier

      Umschlaggestaltung: Almut Siller

      Herstellung: Salier Verlag, Bosestr. 5, 04109 Leipzig, GERMANY

      www.salierverlag.de

      Inhalt

       Eins, zwei, drei, vier Eckstein

       Weißt du noch?

       Pepe, das Zigarrenkistchen

       Mannsbilder im Freibad

       Das Konzert der Flaschenhälse

       Die Liebe in den Zeiten der Sehnsucht

       Abendland

       Doktorstunde

       Eingesargt

       Dieweil die Menschen schlafen

       Die Frau des Schnitzers

       Im ewigen Eis

       Philosophie im Zeitladen

       Über den Autor

      Eins, zwei, drei, vier Eckstein

      Lola, Frank, Ulli, Andreas und ich hockten auf dem Platz vor Morgenroths Haus. Wir hatten viel Blödsinn im Schädel:

      Liebespaare am Bahnhof beschleichen, Mutproben beim Eisloch, Raubzüge in den Kirschbäumen. Wenn uns gar nichts mehr einfiel, dann spielten wir eben Verstecken.

      Ja, wir spielten noch richtig: Es gab keine Computer, und der Fernseher in Müllers guter Stube durfte auch nicht angerührt werden. Also ging es in den Ferien schon am Morgen raus.

      Treffpunkt Kino, Bahnschranke oder Morgenroths Haus.

      „Ich suche aber nicht wieder als erster“, sagte Andreas.

      „Ich auch nicht“, maulte Frank, der noch nicht ausgeschlafen hatte und schlecht gelaunt war. Blieben also Lola, Ulli und ich. Natürlich fanden sich in meiner Tasche Streichhölzer.

      „Losen wirs halt aus!“, sagte ich mit unschuldiger Miene.

      „Du machst das aber nicht!“, rief Ulli. „Du betrügst immer.“

      Ich wollte protestieren, aber es hatte keinen Zweck. Betrogen habe ich schon immer ein bisschen. Heute allerdings in der Regel nur noch mich selbst.

      „Gib her!“, sagte Frank. Er legte ein Streichholz in den Handteller, und schon begann die Qualifikation. Natürlich blieb ich übrig. Wer sonst? Ich bleibe immer übrig, wenn ich nicht schummle.

      „Und jetzt zählst du laut bis zwanzig“, sagte Lola drohend. Sie durfte das. Die anderen nicht.

      Also lehnte ich den Bauch an Morgenroths Hausmauer und schob den Kopf zwischen die Arme. Es hatte ja gar keinen Sinn zu schummeln. Das Gelände reichte auf der einen Seite bis zur Werra, auf der anderen bis zu Morgenroths Haus. Wer suchen musste, war die ärmste Sau. Er kam nur mit Glück wieder aus dieser Rolle heraus. Ständig flitzte jemand irgendwo lang. Dann ertönte das nervtötende:

      „Ulli frei! Lola frei“, und so weiter.

      „Du sollst den Vers sagen!“, rief Andreas.

      Also begann ich „Eins, zwei, drei, vier Eckstein, alles muss versteckt sein, Kopfnuss, Beinschuss, Hasenscheiße, Hosenstall, Doofe findste überall. Eins, zwei, drei, vier Eckstein ...“

      Ich zählte bis fünfzehn. Das musste genügen. Es waren ja alle längst weg.

      Ich stellte mich strategisch günstig. Freischlagen war an der oberen Ecke von Morgenroths Haus. Langsam lief ich Richtung Werra. Ullis Schuhe mit den Metallkanten waren in diese Richtung geklackt.

      Unüberhörbar. Vielleicht hockte er hinter der alten Schule? Nein, kein Ulli. Lag er auf der Mauer? Nein, auch nicht. Weiter unten hörte ich jetzt den ersten ernüchternden Schrei: „Frank frei.“ Na toll, der hat sich wieder nicht an die Regeln gehalten, dachte ich. Wir hatten nämlich eine Sperrfrist festgelegt, weil der Suchkreis so groß war. Aber wer hält sich schon an Sperrfristen, wenn es um die persönliche Freiheit geht!

      Irgendwo hier musste Ulli stecken. Darauf hätte ich meinen Lederhosenarsch verwettet und meine Glasmurmeln noch dazu. Am Wehr war Schluss – weiter oben konnte er also nicht sein. Vielleicht lag er ja im Wasser wie Bernhard damals, dieser verrückte Kerl: Hielt sich am Rand fest und tauchte ab, wenn man kam.

      Aber das war im Sommer. Jetzt, im April, konnte man es nicht aushalten.

      „Lola frei“, brüllte es aus der Stadt unten.

      „Scheibenkleister“, zischte ich durch die Zähne. „Jetzt kreischt gleich Andreas, und dann hab ich nur noch diesen einen Schuss.“ Ulli musste hier sein. Vor der Mauer hatte ich alle Möglichkeiten abgegrast, da war ich mir ganz sicher. Also weitersuchen!

      Auf dem Baum hockte der Kerl auch nicht. Hatte ich mich etwa doch geirrt? Nein, da war etwas: Ein Ton, oder besser ein Wimmern, aber außerhalb der Suchgrenze. Tja, mein Freund, das hast du nun davon, dachte ich. Bist irgendwo da draußen umgeknickt oder auf die spitzen Steine gekracht. Jenes kommt halt von diesem!

      Ich lief trotzdem hin, Kumpel bleibt Kumpel. Da lag er tatsächlich, der Ulli, aber merkwürdig verkrümmt. Irgend jemand hatte ihn gefesselt und ihm einen Knebel in den Mund geschoben. Jetzt konnte er nur noch laut stöhnen.

      Ich rannte schneller. Ulli wollte mich mit heftigen Kopfbewegungen davon abhalten. Aber es war zu spät. Plötzlich packte mich eine gewaltige Hand an der Schulter, zog mich zu Boden und schnürte mir die Hände auf den Rücken.

      „Eins, zwei, drei, vier Eckstein ...“ flüsterte eine merkwürdig tonlose Stimme in mein Ohr. „Nicht umdrehen! Wer mich sieht, der muss sterben.“

      Ich hoffte zunächst noch, es könnte Paul sein, aber der war niemals so kräftig. Das war kein Kind! Das war ...

      Nein, dachte ich. Nicht Ruben! Nicht der Kinderfresser! Alle sollten es sein: Der dicke Stefan von der Brückenbande meinetwegen. Dann gab es halt ein paar Beulen, na und? Auch den langen Lothar hätte ich noch ertragen können. Nur nicht Ruben, den Kinderfresser!

      „Eins,