Gudrun Bernhagen
Wie ich aus derHüfte kam
und andere
Erzählungen
© Gudrun Bernhagen
Hamburg 2020
Umschlaggestaltung: Rudolf Bernhagen
Verlag und Druck:
tredition GmbH, Halenreie 40-44
22359 Hamburg, Deutschland
ISBN Paperback: | 978-3-347-04329-9 |
ISBN Hardcover: | 978-3-347-04330-5 |
ISBN e-Book: | 978-3-347-04331-2 |
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„Wie ich aus der Hüfte kam“ leitet den Reigen der Erzählungen ein. Alle folgenden Erzählungen sind entsprechend der Überschrift alphabetisch geordnet. Somit unterliegt die Reihenfolge keiner zeitlichen Zuordnung.
Wie ich aus der Hüfte kam
Demokrit (gr. Philosoph):
„Mut ist der Tat Anfang, doch das Glück entscheidet über das Ende.“
Dass zu meiner Entscheidung sicherlich auch Mut gehörte, dem wird jeder zustimmen. Ob für den Ausgang jedoch nur allein das Glück entscheidend war, möchte ich bestreiten. Denn an dem Ergebnis waren viele Personen beteiligt: Ärzte, Pflegepersonal, mein sich liebevoll um mich kümmernder Mann, meine mich aufmunternde Familie und Freunde. Und natürlich ich selbst. Alle haben mir die Daumen gedrückt. Und der Daumen waren es wirklich viele! Meine eigenen mitgerechnet. Ich bin von Anfang an optimistisch an die Sache herangegangen und habe mich so vernünftig wie möglich verhalten, um sicher und heil wieder aus der Hüfte zu kommen. Die Chancen stehen immer fifty-fifty. Entweder Hopp oder Flop!
Natürlich hatte ich schon darüber nachgedacht, was sein würde, wenn … Behindert? Oder gar tot? Auch von dieser Chance wurde in den Vorgesprächen gesprochen. Unter anderem sprachen auch viele von der Gefahr des mysteriösen Krankenhauskeims. Aber nichts konnte mich von meinem Vorhaben abbringen. Es wird schon gut gehen. Vielleicht war ich mit meinen braunen Augen auch etwas blauäugig. Aber man muss ja nicht immer gleich schwarz sehen. Schließlich kann ich mich ja auch nicht in den öffentlichen Verkehr begeben und ständig an die Möglichkeit eines Unfalls mit den unmöglichsten Folgen denken. Optimismus mit einer Portion Humor lautet schließlich meine Zauberformel.
Die Schmerzen kamen schleichend. Mal weniger, mal mehr. Hauptsächlich nach sportlichen Aktivitäten wurde es immer schlimmer. Schmerztabletten brachten eine Linderung, waren jedoch für mich auf Dauer keine Lösung, denn davon hatte ich früher schon einmal über einen langen Zeitraum zu viele genommen. Vor fünf Jahren schränkte ich zunehmend alle sportlichen Aktivitäten ein, bis vor einem Jahr gar nichts mehr ging. Hier war der Punkt erreicht, wo endlich festgestellt werden sollte, welches Gelenk hinüber ist, das Knie oder die Hüfte. Vielleicht auch beides. Ein nicht unbedingt angenehmes Gefühl, denn durch eine Untersuchung hätte auch etwas entdeckt werden können, was man lieber nicht hätte wissen wollen.
Röntgenaufnahmen reichten aus, um festzustellen, dass es meinem Knie gut geht, die Schmerzen vom kaputten Hüftgelenk jedoch bis dahin ausstrahlen. Was für eine Erleichterung! Nur noch eine halbe Sorge, aber auch Gewissheit, dass eine Operation nicht mehr vermeidbar ist. Ebenso eine gewisse Erleichterung, weil eine Hüft-OP sicherlich die weniger komplizierte ist. Die Gewissheit jedoch, sich jetzt aufschnippeln lassen zu müssen … Kein schöner Gedanke! Die bloße Vorstellung daran, reichte mir schon.
Mein behandelnder Orthopäde hätte die Operation lieber noch ein wenig hinaus gezögert. Böse Zungen behaupteten, dass er gerne noch etwas Geld an mir verdienen wollte. Aber lassen wir das gleich. Ich hatte immer noch die Worte meines Vaters im Ohr, der sich ebenfalls ein neues Hüftgelenk einsetzen lassen musste: „Hätte ich die OP nur eher machen lassen und mich nicht so lange rumgequält!“ Aber wie das so ist … Hätte, hätte, Fahrradkette … Unabhängig davon, hatte er mit seiner Prothese ein wenig Pech. Eines Tages, seine Operation war noch gar nicht so lange her, standen wir beide in der Küche und bereiteten das Abendbrot vor, als es plötzlich in seinem Bein laut hörbar knackte. Es stellte sich heraus, dass die Keramikkugel seiner Hüftprothese gebrochen war. Materialfehler?! Zum Glück gab es Ersatzteile. Er musste sich noch einmal unters Messer begeben, um die Kugel austauschen zu lassen.
Das hätte auf mich eher abschreckend wirken können, hat es aber nicht, da es schon sehr lange her ist. Dass es der Zufall will, dass mir genau das Gleiche wiederfährt, ist so gut wie ausgeschlossen. Oder nicht? Da ich mich endlich möglichst schnell wieder schmerzfrei bewegen wollte, fasste ich kurz und entschlossen den Beschluss, mich diesem chirurgischen Eingriff zu stellen. Allerdings wurde hier meine Geduld gefordert, denn „Gut Ding braucht Weile“!
Es begann mit der Anmeldung für einen Termin zu einem Vorgespräch in der Klinik, wo ich die Operation durchführen lassen wollte. Dieses Gespräch fand erst ein halbes Jahr später statt, wo ich dann meinen verbindlichen OP-Termin erhielt. Einige Monate später war es dann soweit.
Erster Tag:
Aufnahmetag. Ich bin bereit. Mein Mann bringt mich und mein Köfferchen mit dem Auto in die Klinik. An der Rezeption werden die formellen Sachen geklärt. Dann heißt es noch einmal: Blutentnahme, Krankenhauskeimkontrolle, verschiedene Messungen, unter anderem auch meine Sitzhöhe. Wozu das gut sein soll, weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, aber es wird schon seine Bedeutung haben. Nichts ist umsonst oder gar dem Zufall überlassen. Alles wirkt sehr professionell. Bei dem Pfeil, der auf meinen Oberschenkel gemalt wird, bin ich mir da jedoch nicht so sicher. Er soll die zu operierende Seite markieren. Manche Fragen, die man mir stellt, irritieren mich, da ich sie bestimmt schon mehrfach im Vorgespräch beantwortet hatte. Eine ist neu für mich: „Haben Sie Angst vor Stürzen?“ Ich stutze kurz, denn ich kann mit der Frage nicht viel anfangen, und verneine schließlich. Ich bekomme noch ein, nicht gerade schmückendes, Armband mit den wichtigsten Daten, dem Namen, das Geburtsdatum, der Station und der Zimmernummer. So kann ich nicht verwechselt werden oder verlustig gehen und bin als all-inclusive-Patient erkennbar.
Bei der Zimmereinweisung erfahre ich alle wichtigen Dinge. Um acht, zwölf und siebzehn Uhr gibt es Frühstück, Mittagessen beziehungsweise Abendbrot. Mein erster Gedanke ist: Oh …, fünfzehn Stunden zwischen Abendbrot und Frühstück, da nehme ich ja sogar ab. Ich darf nur noch heute Abendbrot essen, meine Henkersmahlzeit sozusagen, am nächsten Morgen gibt es kein Frühstück mehr. Zur Operation muss ich nüchtern sein.
Ebenfalls muss ich heute noch mit einer dekontaminierenden Waschlotion duschen. Nach dem Wecken am nächsten Morgen das Ganze noch einmal. Dann dürfte ich bakterienfrei und nicht mehr verstrahlt sein.
Als nächstes packe ich meinen Koffer aus. Ich habe nur wenige Sachen mitgenommen.
Mein Mann nimmt mich in seine Arme, schenkt mir ein Küsschen und wünscht mir viel Glück und dem Operateur ein sicheres Händchen. Mehr kann er für mich nicht tun. Durch den Rest muss ich alleine durch.
Ein wenig lesen, ein wenig fernsehen, zwischendurch Abendbrot. Nachtruhe. Es ist auch wirklich sehr ruhig in der Klinik. Trotzdem kann ich nicht schlafen. Die Nachtschwester lässt sich blicken. Kontrolle, ob alles in Ordnung ist. Sie tröstet mich damit, dass alle Patienten in der Nacht vor der Operation nicht oder nur schlecht schlafen können. „Sie können sich ja dann unter der Narkose ausschlafen“, bekomme ich zu hören. Schwesternhumor!
Zweiter Tag:
Um sechs Uhr werde ich geweckt und bekomme nochmals gesagt, dass ich nichts mehr essen dürfe. An meinem „Galgen“ über dem Bett hängt nun ein großes Schild mit dem Hinweis, „Nüchtern“ zu bleiben. Ich kann in Ruhe duschen, ziehe das hochmodische OP-Hemd an und warte. Hin und wieder kommt eine Schwester ins Zimmer. Ich werde wiederholt nach meinem Namen und dem Geburtsdatum gefragt. Sollte ich mich über Nacht so verändert haben?! Meine Temperatur wird gemessen, die Essenswünsche für den kommenden Tag werden notiert, und ich darf mir eine