Tommie Goerz
Sandmann
Friedo Behütuns' neunter Fall
Kriminalroman
ars vivendi
Das zitierte Sandmann-Gedicht stammt aus:
James Krüss, Der wohltemperierte Leierkasten, © 1989 cbj Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (Erste Auflage Juli 2020)
© 2020 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Bauhof 1, 90556 Cadolzburg
Alle Rechte vorbehalten
www.arsvivendi.com
Lektorat: Dr. Felicitas Igel
Umschlaggestaltung: FYFF, Nürnberg
Motivauswahl: ars vivendi
Coverfoto: © Arun Raj / Unsplash
Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag
eISBN 978-3-7472-0181-7
Inhalt
V
VII
VIII
IX
X
XIV
XV
XVI
XVIII
XIX
XX
XXI
XXII
XXVI
Wenn es Nacht wird, wenn es Nacht wird,
und die Lampe ausgemacht wird,
zieht der Sandmann durch die Stadt.
James Krüss, »Der Sandmann«
Die meisten Menschen glauben, dass Polizeiarbeit
und die Aufklärung von Verbrechen und die Verhaftung
und Strafverfolgung von Kriminellen auf eine
systematische, lineare Weise erfolgt.
Das Gegenteil ist der Fall.
James Lee Burke, »Mein Name ist Robicheaux«
Teil I
Ein Serienmörder, der so ganz im Stillen und unerkannt arbeitet?
Matthias Wittekindt, »Der Unfall in der Rue Bisson«
I
Dienstag, 12.11.2019
Hundsverreck. Jetzt hatte er genau den Fall, den er nie hatte haben wollen. Vor dem man sich als Kriminaler sein ganzes Leben lang fürchtet. Sich wünscht, dass man so etwas nie erlebt, nie so etwas sehen muss. Es war schrecklich.
Vor wenigen Minuten war ein interner Anruf von der Vermittlung eingegangen. Die Uhr stand auf halb vier.
»Behütuns, sind Sie dran?«
»Wer sonst, wenn ihr meine Nummer wählt?«
»Sie müssen raus. Kraftshof.«
Es war grau draußen, und es regnete. Unwirtlich, kein Wetter zum Hinausgehen. Letztes Aufbäumen des Herbstes. Ein steifer Westwind jagte unter einer dicken grauen Wolkendecke immer wieder Regenschwaden zwischen den Häusern hindurch, die letzten Blätter ruckelten nass über den Gehsteig, der Wind riss sie los, trieb sie weiter, alte Zeitungs- und Prospektseiten klebten in den Rinnsteinen, McDonaldʼs-Trinkbecher rollten, Plastiktüten wurden mitgerissen. Die Menschen sind manchmal Schweine.
»Was gibtʼs denn?«
»Anruf eines Herrn Rothlauf, Benedikt Rothlauf, Kraftshof draußen, Lachfelderstraße, westliches Ortsende, gegenüber vom Friedhof. Kennen Sie?«
»Den Friedhof, ja. Hausnummer?«
»1 c.«
»Die zwei Häuserreihen da links?«
»Ja.«
»Und weiter?«
»Der Mann sagt, er sei nach Hause gekommen ... vom Bahnhof mit dem Taxi ... und hat seinen Sohn und seine Frau vorgefunden. Alles voller Blut.«
»Rettungsdienste sind informiert?«
»Schon unterwegs.«
»Okay, ich fahr raus.«
»Nehmen Sie noch jemanden mit.«
»Kann nicht, bin allein. Dick und Abend sind draußen im Einsatz.« Peter Dick und Peter Abend, genannt P. A., die beiden Kollegen aus dem Team. Klaus, der Teamassistent, hatte die Woche frei. Mailand, Oper, Scala, Onegin, Ballett in drei Akten nach John Cranko, zu aus verschiedenen Werken von Peter Tschaikowski zusammengeklaubter Musik, Bühnenbild und Kostüme Pier Luigi Samartini – wie oft hatte Klaus davon geschwärmt und sich darauf gefreut. Kostete ihn fast ein halbes Monatsgehalt, aber auf der Bühne stand Roberto Bolle in der Hauptrolle, und wenn er den sah, bekam er feuchte Augen. Unsere schwulen Mitmenschen sind oft so was von empfindsam, man könnte neidisch werden. Behütuns kannte so etwas von sich allenfalls aus