Leni Behrendt Classic 62 – Liebesroman. Leni Behrendt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leni Behrendt
Издательство: Bookwire
Серия: Leni Behrendt Classic
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740966966
Скачать книгу
n> Leni Behrendt Classic – 62 –

      »Nur nicht so stürmisch, ich komme ja schon«, brummte Jonas, als die Flurglocke schon zum zweitenmal anschlug. Dann stolzierte er mit gravitätischen Schritten nach dem schmalen, engen Korridor, öffnete die Tür und fuhr zurück.

      »Oh – der Herr…«, stammelte er verwirrt, »ich bitte um Entschuldigung.«

      »Warum entschuldigst du dich denn?« fragte lachend der vor ihm stehende große blonde Mann.

      »Weil ich mir so viel Zeit mit dem Öffnen ließ, Herr.«

      »Ach so…«, lachte der Besucher noch lustiger, trat in den Korridor und packte den Diener bei den Schultern. »Tag, Jonas, altes Haus, wo ist meine Mutter?«

      »Die Herrin hält ihr Kaffeestündchen.«

      »Ah, so…«, meinte der Gast. Er durchmaß mit zwei Schritten den Korridor, klopfte an die letzte Tür und stand gleich darauf vor einer Dame, die an einem runden Tischchen saß und mit Behagen den geliebten braunen Trank schlürfte.

      »Mutti!« rief der große Junge mit verhaltenem Jubel, stand mit einem langen Schritt vor ihr, hob sie wie eine Feder empor und drückte sie an sein Herz.

      »Unband!« drohte die Mutter, als sie wieder auf ihrem Sessel saß. Helle Freude leuchtete ihr aus den Augen.

      »Ach ja – schön ist es hier«, atmete der Sohn tief auf und streckte die langen Glieder, sich in einen Sessel niederlassend.

      Jäh war das Strahlende, Leuchtende aus den blauen Augen gewichen. Der junge Mann sprang aus dem Sessel hoch, trat an das Fenster und starrte hinaus. Doch gleich darauf fühlte er eine leichte Hand auf seiner Schulter, fuhr herum und sah in die gütigen Mutteraugen.

      »Jobst Oluf, ich weiß zwar nicht, was dir fehlt – du scheinst mir jedoch mutlos zu sein.«

      Der düstere Ausdruck war aus seinem Antlitz gewichen, die Augen strahlten fast wie vorher. Mit einer zarten Gebärde umfaßte er der Mutter Schulter, drückte sein Gesicht in ihr duftiges Haar.

      »Laß gut sein, Mami«, sagte er. »Ich selbst werde ja wohl bestimmt nicht untergehen. Doch du – der ich am liebsten die Sterne vom Himmel herabholen möchte…«

      Die Mutter strich tröstend über den tiefgeneigten Kopf ihres Sohnes. »Jetzt wieder Kopf hoch, Junge«, ermunterte sie ihn. »Mutlosigkeit ist keine rühmliche Eigenschaft. Und außerdem bist du rücksichtslos, indem du mir den geliebten Trank entziehst, der jetzt kalt und schal geworden ist.«

      Sie führte den Sohn zu dem Sessel zurück, auf dem er schon vorhin gesessen, nahm dann selber Platz und schenkte frischen Kaffee in die hauchdünnen Schalen.

      »Nun erzähle, Jobst Oluf«, bat sie leise.

      »Es ist mit wenigen Worten gesagt, Mutter – ich bin wieder einmal stellungslos.«

      Die Mutter war gar nicht überrascht, sie hatte etwas Ähnliches zu hören erwartet. Es war ja auch nicht das erste Mal, daß er so vor ihr saß, ihr eine solche Eröffnung machte. »Und was war es diesmal, mein Junge?«

      »Was wird es schon gewesen sein – Weibergeschichten«, war die kurze, aber erschöpfende Antwort. Und auch die überraschte die Mutter nicht, sie hatte auch die erwartet.

      »Gattin…? Tochter…?« fragte sie ebenso kurz zurück.

      »Beide…«, erwiderte er, und das klang nun schon humorvoll.

      Auch Frau Hortense konnte sich der Komik dieser kurzen Antwort nicht verschließen und lachte amüsiert auf. Sie konnte es sich nur zu gut denken, daß dieser Mann den Frauen und Mädchen gefiel. Wen er mit seinen blitzenden Augen anstrahlte, den hatte er schon halb gewonnen. Und wen diese Augen anfunkelten – in Spott, Mißbilligung und Überlegenheit, der schlug unwillkürlich den Blick vor ihnen nieder.

      So war es auch Herrn Wolle ergangen, auf dessen Gut er noch bis heute als Inspektor geweilt hatte, als er seinem Untergebenen klarmachte, daß er zu arbeiten hätte und nicht nach seiner jungen, hübschen Frau zu schielen. Hätte er es auf die Tochter abgesehen, das könnte er noch zur Not vertragen. Er wäre ja kein Unmensch, und er, Jobst Oluf Rave, ein schneidiger Kerl. Er hätte eben Anspruch auf eine Frau, die »klingende Werte« mit in die Ehe brächte und ihn so aus der mißlichen Lage risse, in der er sich augenblicklich befände.

      Ganz in Eifer hatte sich der gutherzige, selbstgefällige Herr Neureich geredet und war in gelinden Zorn geraten, als er Spott und Geringschätzung in Augen und Mienen seines Inspektors las.

      »Ach so – meine kleine Lia ist dem Herrn mit den großartigen Allüren nicht gut genug!« hatte er geschrien. »Unter diesen Umständen können wir beide nicht zusammen arbeiten, Herr Inspektor.«

      Das hatte dieser auch sofort eingesehen, und zuletzt trennte man sich in aller Güte, und Herr Wolle hatte erklärt, daß es ein Jammer und eine Schande sei, daß die Dinge lägen, wie sie nun einmal lagen.

      Alles das erzählte Jobst Oluf seiner Mutter, sprach mit so viel Humor, daß sie bei der launigen Schilderung mehr als einmal hellauf lachte.

      Mit keinem Wort fragte die Mutter, wie weit er schuld daran sei, daß die Frauen und Mädchen sich überall in ihn verliebten. Sie war von seiner Ehrenhaftigkeit überzeugt.

      *

      Langsam und sicher hielt nun die Sorge Einzug in das kleine Heim. Jobst Oluf unterhielt die Mutter, hatte ihr auch die kleine Wohnung in dem Neubau gemietet. Die Räumlichkeiten waren sehr beschränkt, genügten jedoch für Frau Hortense und den Bedienten Jonas. Die Möbel gehörten eigentlich nicht in diese mehr als schlichten Räume und nahmen sich daher recht deplaciert aus. Sie erzählten eindringlich von einer fernen glücklichen Zeit.

      Die Wohnung bestand aus Schlaf- und Wohnzimmer und einer schmalen Stube, in der Jonas hauste. Nun mußte er diese seinem Herrn einräumen und sich sein Bett allabendlich in der engen Küche aufschlagen, was er ohne Murren tat.

      In den ersten Wochen ging auch alles gut und glatt. Herr Wolle hatte seinem Inspektor ein volles Jahresgehalt ausgezahlt, von dem sie nun leben mußten. Doch die kleine Summe ging mit beängstigender Geschwindigkeit zur Neige, und weiteres Geld war in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Denn so sehr sich Jobst Oluf auch um eine neue Stelle bemühte, er hatte immer negativen Erfolg.

      Die Herren konnten es sich ja erlauben, wählerisch zu sein. Die meisten Landwirte waren gezwungen, sich bei der schlechten Konjunktur so viel wie möglich einzuschränken oder mußte ihre Güter selbst bewirtschaften. Und die, die sich noch einen Beamten leisten konnten, wählten bei dem Überfluß an Bewerbern selbstverständlich nur die, die ganz und gar ihren Wünschen entsprachen.

      Und Jobst Oluf Rave sagte keinem der Herren zu, denen er seine Dienste anbot. Sie suchten einen Beamten, der Hand in Hand mit ihnen arbeitete und das Gut leitete – aber keinen mit dem Auftreten des vornehmen Weltmannes. Sie trauten ihm ganz einfach keine ernste Pflichterfüllung zu.

      Es kam der Tag, an dem auch der letzte Rest des Geldes aufgebraucht war.

      So mußte man daran denken, die wenigen Wertstücke zu veräußern, die noch aus besseren Tagen stammten.

      Jobst Oluf, der schon länger als ein halbes Jahr ohne Stellung war, mußte nun einen bitter schweren Gang tun. Mußte sich von allerlei trennen, was ihm lieb und wert, von den beiden schweren Ringen, dem altgoldenen Zigarettenetui und der kostbaren Armbanduhr.

      Mit zusammengepreßten Zähnen und zitternden Händen reichte er dem Juwelier die Stücke hin. Die kalten, forschenden Augen des Geschäftsmannes glitten über die Gestalt des Mannes hin.

      »Die Dinge sind kostbar, mein Herr. Indes – ich bin nicht in der Lage, sie Ihnen abzukaufen. Heutzutage gibt niemand mehr so beträchtliche Summen für Schmucksachen aus, wie diese Stücke sie bringen müßten. Dazu weisen die Schmuckstücke noch ein Wappen auf – sind also durchaus persönlich. Vielleicht versuchen Sie es einmal in einer größeren Stadt, da kann es eher möglich sein, daß sich Liebhaber für derartiges finden.«

      Damit war Jobst Oluf abgefertigt und mußte noch tief im Herzen zugeben, daß er froh darüber sein konnte, daß es so und nicht anders gekommen war. Auch die Mutter schien es lange nicht so niederzudrücken wie