Sophienlust Bestseller 11 – Familienroman. Marietta Brem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marietta Brem
Издательство: Bookwire
Серия: Sophienlust Bestseller
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740966690
Скачать книгу
Sophienlust Bestseller – 11 –

      »Mir ist so kalt, Tante Franzi«, nörgelte die kleine Marion Bölz, ein hübsches Mädchen von fünf Jahren. Vorwitzig lugten ihre schwarzen Locken unter der dunkelblauen Kapuze ihres Regenmantels hervor. Ihre Händchen hatte sie fröstelnd in den Taschen vergraben.

      »Sei still, Marion«, wisperte Franziska Bölz zurück. Hastig wischte sie mit der linken Hand die Tränen ab, die ihr über die Wangen liefen. Schon zum zweiten Mal in diesem Jahr stand die junge Frau am Grabe eines geliebten Menschen, und dieses Mal fiel es ihr besonders schwer, denn es war ihr einziger Bruder, dessen Sarg gerade langsam in die Erde hinabgelassen wurde.

      Es waren viele Menschen zu dieser Beerdigung gekommen, denn Ulrich Bölz, der Sprengmeister der Baufirma Hirzel und Sohn, war allseits ziemlich beliebt gewesen, hatte dem örtlichen Gesangsverein als aktives Mitglied angehört, und war im Betrieb sowohl von Kollegen als auch von seinen Vorgesetzten sehr geschätzt worden.

      Es war ein Unglücksfall gewesen, der ihn bei einer Sprengung im betriebseigenen Steinbruch das Leben gekostet hatte. Das hatte Manfred Hirzel, der Juniorchef und Franziskas Verlobter, immer wieder versichert.

      Aber das war für Franziska kein Trost. Sie hatte ihren Bruder und Marion ihren Vater verloren. Nun war das Mädchen eine Waise. Kaum daß sie den Tod der Mutter vor elf Monaten verkraftet hatte, mußte sie auch schon auf den Vater verzichten, dem ihre ganze kindliche Liebe gegolten hatte.

      Franziska konnte die Welt nicht mehr verstehen. Was sollte das noch für einen Sinn haben, wenn eine ganze Familie ausgelöscht wurde und nur ein kleines Mädchen von gerade fünf Jahren übrigblieb?

      »Komm, wir gehen heim, Tante Franziska«, quengelte Marion nun schon etwas lauter und riß energisch an der Hand der Tante. »Mir gefällt es hier nicht mehr. Ich will nach Hause zu meinem Papi.«

      Die junge Frau preßte voll ohnmächtigem Schmerz die blassen Lippen zusammen, während die Tränen wieder zu fließen anfingen. Sie spürte, wie einige der Trauergäste immer wieder verstohlen zu ihnen herüberschauten. Es war ihr peinlich, und sie senkte rasch den Kopf. Langes dunkles Haar fiel nach vorne und schirmte sie gegen die neugierigen Blicke ab.

      Franziska Bölz war eine schöne, blutjunge Frau, die schon viel Leid in ihrem Leben erfahren hatte. Kurz nacheinander waren die geliebten Eltern gestorben, als sie gerade sechzehn Jahre alt gewesen war.

      Ulrich, der ältere Bruder, war zu dieser Zeit schon mit Herta verheiratet gewesen. Mit offenen Armen hatte seine Frau die verwaiste Schwägerin in ihrem Haushalt aufgenommen. Dann, kaum zwei Jahre später, war Marion auf die Welt gekommen, und sie hatten schon geglaubt, daß nun die Zeit des Kummers und der Trauer endgültig vorbei sei. Es war jedoch nur eine kurze Atempause, die ihnen das Schicksal gönnte, ehe es erneut und unbarmherzig zuschlug.

      Herta begann zu kränkeln. Sie wurde immer blasser und magerer, und bald konnte sie nur noch für wenige Stunden am Tag aufstehen und in einem Stuhl sitzen.

      Ulrich wußte, daß seine Frau nur noch kurze Zeit leben würde, denn der Arzt hatte es ihm gesagt. Herta litt an einer unheilbaren Krankheit, die man zu spät erkannt hatte, um sie noch zum Stillstand bringen zu können. Seine Geduld und Beherrschung war bewundernswert gewesen, und erst, als Herta tot war, brach auch er zusammen. Die Monate, die dann folgten, waren die grausamsten in Franziskas Leben gewesen. Ulrich konnte den Schicksalsschlag nicht überwinden. Er hatte keine Freude mehr an seinem Dasein, und auch um sein Töchterchen Marion kümmerte er sich kaum mehr.

      Oft fragte die Kleine nach ihrem Papi, aber Franziska konnte dem Kind auch nicht helfen, sondern nur versuchen, es abzulenken.

      Irgend etwas riß Franziska aus ihren wehmütigen Gedanken. Jemand hatte sie ziemlich unsanft angerempelt. Wie erwachend schaute sich die junge Frau um und entdeckte, daß die Beerdigung ihrem Ende zuging. Mitleidig hielt der Pfarrer, ein älterer Herr mit schlohweißem Haar, ihre Hand und murmelte ein paar tröstende Worte, die wie nichtssagende Floskeln an ihr vorbeiglitten.

      Franziska war wie versteinert. Noch konnte sie keinen klaren Gedanken fassen, wie es weitergehen sollte.

      Ihre Schritte waren müde und schleppend, als sie an das offene Grab trat. Sie schaute hinunter auf den dunklen Sarg, auf dem bunte Blumen lagen. Und plötzlich hatte sie das Gefühl, als schaue ihr Bruder sie mit seinen dunklen Augen bittend an. »Sorge du für meine kleine Marion, wenn ich einmal nicht mehr bin«, hatte er noch wenige Tage vor seinem zu frühen Tod zu ihr gesagt, und sie hatte es ihm ganz fest versprochen, nicht ahnend, daß sie dieses Versprechen schon bald würde einlösen müssen.

      Marion war Ulrichs Vermächtnis, das sie zu schützen hatte. Irgendwie würde es schon weitergehen, wenn nur sie und das Kind zusammenbleiben durften.

      Lautlos fiel der Strauß weißer Nelken in das Grab hinab. Am liebsten wäre Franziska jetzt hinterhergesprungen, wenn sie nicht die kleine Hand ihrer Nichte in der ihren gespürt hätte. Daran klammerte sie sich wie eine Ertrinkende.

      »Wenn Sie Hilfe brauchen, Fräulein Bölz, dann scheuen Sie sich bitte nicht, zu uns zu kommen.«

      Franziska schaute überrascht in das schöne Gesicht der Frau, die so überaus freundlich zu ihr gesprochen hatte. Stumm hatte sie die Beileidsbezeigungen an sich vorüberrauschen lassen, ohne an jemanden ein Wort zu richten, aber diese Stimme klang anders. Sie drückte nicht seelenloses Mitgefühl, sondern echte Anteilnahme aus.

      »Das ist sehr freundlich. Vielen Dank, Frau…«

      »Ich bin Denise von Schoenecker«, stellte sich die Unbekannte in dem schwarzen Wollmantel vor. »Meinem Sohn gehört das Kinderheim Sophienlust. Wenn Sie also Hilfe brauchen oder einen Platz für Ihre kleine Nichte suchen, dann können Sie sich jederzeit an mich wenden.«

      Denise nickte der jungen Frau noch einmal zu und verschwand dann in der Menge. Sie kannte die traurige Geschichte der Familie, die durch ein unverständliches Schicksal so hart geprüft wurde.

      Nachdenklich schaute Franziska Bölz der Frau nach. Irgendwie fühlte sie sich sogar ein bißchen getröstet, auch wenn sie nicht im Traum daran dachte, das Angebot der fremden Frau anzunehmen. Ein Kinderheim! Wie sollte sie das mit der kleinen Waisenrente bezahlen?

      »Gehen wir jetzt endlich nach Hause?« flüsterte Marion, als sie langsam über den Kiesweg gingen. Das hohe, eiserne Friedhofstor war nicht mehr weit von ihnen entfernt, aber Franziska hatte das Gefühl, als würden sie es niemals erreichen.

      »Ja, Schätzchen, jetzt gehen wir heim«, antwortete sie noch schwach. Unbändige Sehnsucht nach Manfred überkam jetzt die junge Frau. Warum nur hatte er sie diesen schweren Weg ganz allein gehen lassen? Sie konnte das einfach nicht verstehen. Oder doch?

      Zugegeben, er hatte ihren Bruder nie besonders gemocht. Aber seit Hertas Tod, als sie, Franziska, den kleinen Haushalt ganz übernommen hatte, war er erst recht nicht mehr gut auf den zukünftigen Schwager zu sprechen gewesen. Er wollte nicht, daß sich seine Braut mit einem, wie er sagte, fremden Kind belastete, auch wenn es sich um die eigene Nichte handelte.

      Franziska sollte schön aussehen und sich nicht wie eine abgehetzte Hausfrau benehmen. Das waren seine Worte bei ihrem letzten Streit gewesen.

      Überhaupt stritten sie ziemlich viel, seit sie zu ihrem Bruder in die kleine Wohnung gezogen war und deshalb auch der Hochzeitstermin verschoben wurde.

      Manfred konnte nicht verstehen, wie man ihm, dem Juniorchef der Baufirma Hirzel und Sohn, einen Korb geben konnte. Schließlich konnte er jedes Mädchen haben, das er haben wollte. Und da wagte es ausgerechnet die Schwester eines seiner Angestellten, den Hochzeitstermin mit ihm abzusagen.

      Franziska hatte ihren Verlobten zwar durchschaut, aber sie hing an ihm, weil er außer Marion der einzige Mensch war, der ihr noch etwas bedeutete.

      Als sie die Tür zu der kleinen Wohnung aufschloß, fühlten sich ihre Finger wie Eis an.

      »Was machen wir jetzt, Tante Franzi?« piepste Marion mit ihrem zarten Stimmchen.

      »Ich weiß es auch nicht, Herzchen«, gestand Franziska, die erleichtert war, daß sie den Trauergästen entkommen war.

      Die Wohnung machte einen kalten, leeren Eindruck auf Franziska,