Von Versailles bis Potsdam. André François-Poncet. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: André François-Poncet
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783958902879
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und Wirtschaftsproblemen in ganz Europa. Während der französisch-belgischen Ruhrbesetzung 1923 beauftragte ihn Ministerpräsident Poincaré mit der Leitung des französischen Wirtschaftsnachrichtendienstes in Düsseldorf.

      Nach seiner Rückkehr übernahm André François-Poncet wieder die Direktion der »Société d’Études et d’Informations économiques« und verstärkte ab 1924 sein parteipolitisches Engagement: als Mitglied des Abgeordnetenhauses formulierte er das Wahlprogramm des liberal-konservativen »Comité exécutif de l’Alliance Républicaine-Démocratique« (Demokratische Allianz) und kandidierte bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer im Mai 1924 für diese Partei.

      1925 fasste er seine politische Philosophie in einer in mehreren Auflagen verbreiteten Programmschrift zusammen: »Réflexions d’un républicain moderne« (Reflexionen eines modernen Republikaners).

      In den darauffolgenden Jahren übernahm André François-Poncet zahlreiche parteipolitische Ämter: Er war Unterstaatssekretär in mehreren Kabinetten, Parlamentsabgeordneter für den 7. Pariser Gemeindebezirk sowie ab 1928 Mitglied des Finanzausschusses der Abgeordnetenkammer. Abseits seiner politischen Tätigkeit fand André François-Poncet Zeit, seinem Gönner Robert Pinot eine Biografie zu widmen, die 1927 erschien.

      Der Auftrag, in seiner Eigenschaft als Unterstaatssekretär für Volkswirtschaft im Herbst 1930 der Tagung des Völkerbundrates in Genf beizuwohnen, um mit Vertretern Deutschlands über eine engere Zusammenarbeit deutsch-französischer Industrien zu verhandeln, verschaffte ihm internationale Beachtung auf dem politischen Parkett, sodass er bei seiner Ankunft als neu akkreditierter Botschafter Frankreichs in Berlin im September 1931 kein Unbekannter mehr war. Den Untergang der Weimarer Republik und den Aufstieg der Nationalsozialisten erlebte er am Pariser Platz aus nächster Nähe. Er avancierte zur bekanntesten Persönlichkeit auf dem diplomatischen Parkett Berlins, die Französische Botschaft wurde nicht zuletzt auch dank Madame François-Poncet zu einem der gesellschaftlichen »Hot Spots« der Berliner »Society«.

      André François-Poncets Engagement, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die deutsch-französischen Beziehungen auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene zu verbessern, ging einher mit warnenden Dossiers an seine Vorgesetzten im »Quai d’Orsay« vor den aggressiv-hegemonialen Ambitionen Hitlers und der immer deutlicher zutage tretenden kriminellen Energie des NS-Systems. Spätestens seit seiner Teilnahme an der Münchner Konferenz im September 1938 – gemäß diplomatischem Protokoll begleitete er den französischen Ministerpräsidenten Edouard Daladier –, die die Zerschlagung der Tschechoslowakei besiegelte, offenbarten sich für André François-Poncet die tödliche Gefahr, die der Nationalsozialismus für die westlichen Demokratien darstellte, und der unvermeidbare Weg in einen Krieg. Da er nicht Empfänger der Kriegserklärung Deutschlands an Frankreich sein wollte, ließ er sich auf eigenen Wunsch im Oktober 1938 nach Rom versetzen, um dort die seit einiger Zeit auf »Eis« gelegten diplomatischen Beziehungen zwischen Italien und Frankreich zu revitalisieren und – in trügerischer Hoffnung – über Mussolini vielleicht doch noch Einfluss auf die immanente Kriegsgefahr nehmen zu können. Mit der Überreichung der Kriegserklärung Italiens an Frankreich durch den italienischen Außenminister Graf Ciano am 10. Juni 1940 endete vorerst seine diplomatische Laufbahn. Er nahm die eindringlichen Warnungen ernst, nicht nach Paris zurückzukehren, wo ihm die Verhaftung durch die Nazis drohte, und suchte mit seiner Familie im mittlerweile zur italienisch besetzten Zone gehörenden Grenoble Zuflucht.

      Nach der Besetzung Italiens durch die Alliierten im August 1943 und dem Waffenstillstandsabkommen von Cassibile im September überließen die Italiener die von ihnen besetzte Zone Nazi-Deutschland, woraufhin André François-Poncet im Handstreich von der Gestapo festgenommen und – als sogenannter »Ehrengefangener des Dritten Reiches« – deportiert wurde: zuerst nach Schloss Itter in Tirol und ab November 1943 bis zu seiner Befreiung im Mai 1945 in das Ifen-Hotel in Hirschegg im Kleinen Walsertal. Bewegende Einblicke in diese Zeit der Gefangenschaft vermittelt sein im Jahr 2015 erstmals auf Deutsch erschienenes »Tagebuch eines Gefangenen«.

      Bereits wenige Monate nach Kriegsende war absehbar, dass André François-Poncet eine wichtige Funktion beim zukünftigen Wiederaufbau Deutschlands übernehmen würde. Die verbleibende Zeit bis dahin überbrückte er mit schriftstellerischer Tätigkeit: Schon 1946 erschien »Souvenirs d’une Ambassade á Berlin« (deutsch 1947 unter dem Titel »Botschafter in Berlin 1931–1938«) und 1948 »De Versailles á Potsdam« (deutsch 1949).

      1948 wurde André François-Poncet dem Oberbefehlshaber der französischen Besatzungstruppen und Militärgouverneur der französischen Militärregierung Pierre Koenig (1898–1970) als diplomatischer Berater zur Seite gestellt. Mit Inkrafttreten des Besatzungsstatutes am 21. September 1949 anstelle der Militärregierung übernahm André François-Poncet die Funktion des Alliierten Hochkommissars über die französisch besetzte Zone. Er war Mitunterzeichner des sogenannten Petersberg-Abkommens vom November 1949, dem ersten wichtigen Schritt der BRD hin zu einem souveränen Staat. François-Poncet behielt diese Funktion bis zur Ratifizierung des Deutschlandvertrages im Jahr 1955. Danach wurde er erster französischer Botschafter in Bonn unter Konrad Adenauer. Parallel zu seiner politischen und diplomatischen Tätigkeit verfolgte André François-Poncet eine literarische und journalistische Karriere, u.a. als Redakteur für den »Figaro« und Autor zahlreicher Bücher, in denen er sich vor allem mit dem »Dritten Reich« auseinandersetzte.

      1951 veröffentlichte er seine 1909 entstandene Dissertation über Goethes »Wahlverwandtschaften«. Im gleichen Jahr ernannte ihn die »Cité Internationale Univérsitaire de Paris« zu seinem Präsidenten (bis 1964). 1952 erfolgte seine Aufnahme in die ehrwürdige »Académie Française« als Nachfolger Marschall Pétains und 1961 in die »Académie des Sciences morales et politiques« (Akademie der Moralischen und Politischen Wissenschaften).

      Weitere Funktionen, die André François-Poncet im Lauf seines langen Lebens innehatte, waren u.a.: der Vorsitz der ständigen Kommission des internationalen Roten Kreuzes von 1959 bis 1965, Präsident des Französischen Roten Kreuzes von 1955 bis 1967 sowie Präsident der »Cité Internationale Univérsitaire de Paris«, einer Institution zur Förderung von internationalem Austausch, Frieden und Völkerfreundschaft unter Studenten von 1951 bis 1964.

      André François-Poncet, Träger zahlreicher Ehrendoktorwürden (wie etwa jener der Universität München) sowie des Großkreuzes des deutschen Bundesverdienstordens und der Französischen Ehrenlegion, starb am 8. Januar 1978. Er fand seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhof »Notre-Dame« in Versailles.

      Thomas Gayda, im Herbst 2019

       VORWORT

      Das vorliegende Buch ist eigentlich nicht als ein rein wissenschaftliches Werk zu betrachten; das Beiwort »wissenschaftlich« ist zwar immer ehrenhaft, zuweilen aber ist es eine schwere Bürde. Das Buch erhebt nicht den Anspruch, den behandelten Gegenstand von Grund auf zu erneuern oder zu erschöpfen. Wie hätte es dies auch auf so wenigen Seiten vollbringen können? Es steigt nicht in die Niederungen hinab; es verweilt vorsätzlich auf den Gipfeln der Ereignisse. Es wendet sich nicht an einen Kreis von Historikern und Spezialisten, sondern an das große Publikum, an den wissbegierigen Leser, der sich ohne großen Zeitverlust unterrichten oder seine Kenntnisse auffrischen will, besonders aber an die jungen Menschen, die mit dem Wunsch ins Leben treten, sich über die geschichtlichen Tatsachen klar zu werden, die sich kurz vor ihrer Geburt oder in ihren ersten Lebensjahren abgespielt haben und deren unmittelbare Auswirkungen ihre eigene Existenz in Mitleidenschaft ziehen. Diese Jugend schwebte mir vor, als ich es schrieb. Ich dachte an Guizots Wort, der irgendwo bemerkt, dass »die Geschichte von vorgestern am wenigsten bekannt, die von gestern am meisten in Vergessenheit geraten ist«. Ein Anlass, es zu verfassen, war ferner die Aufgabe, die ich übernommen hatte, den Stoff in einem Dutzend Vorlesungen vor den Studierenden der Pariser Hochschule für Verwaltungslehre vorzutragen. Mithin war mein Bestreben vor allem auf Synthese, auf enge Zusammenfassung und Vereinfachung gerichtet. Ich würde mich belohnt sehen, wenn das auf diese Weise entstandene Werk, dessen Unvollkommenheiten mir keineswegs entgehen, ohne Ermüdung und Langeweile und zugleich mit einem gewissen Nutzen gelesen werden könnte.

      Warum wurden die durch den 1918 über das